«Können uns im Hinblick auf den Herbst nicht zurücklehnen»
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SP-Co-Präsidentin Meyer:«Können uns im Hinblick auf den Herbst nicht zurücklehnen»

Mattea Meyer und Cédric Wermuth zum Schweizer Beitrag für die Ukraine
«Die Schweiz kann und muss mehr tun»

Dem Führungsduo der Sozialdemokraten reicht das Hilfspaket nicht, das der Bundesrat für die Ukraine gezimmert hat. Mattea Meyer (35) und Cédric Wermuth (37) verlangen mehr.
Publiziert: 23.02.2023 um 01:43 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2023 um 10:15 Uhr
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Die SP-Co-Chefs Cédric Wermuth und Mattea Meyer sind mit dem Bundesrat unzufrieden. Für sie reicht das Engagement der Schweiz nicht.
Foto: Philippe Rossier

Am Freitag jährt sich der Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das Verbot der Weitergabe von Waffen aus Schweizer Produktion ist anhaltend in der Diskussion. Es stellt sich die Frage, wie weit die Schweiz aus Neutralitätsgründen gehen kann. Auf einem Spaziergang an der Aare entlang nimmt die SP-Spitze Stellung – und blickt auf die Wahlen im Herbst.

Blick: Vor einem Jahr hat Russland die Ukraine angegriffen. Wir hielten Krieg in Europa nicht mehr für möglich. Wir alle mussten uns selbst hinterfragen. Hat die SP ihre Positionen justiert?
Cédric Wermuth: Wir stehen seit Kriegsbeginn an der Seite der ukrainischen Bevölkerung, da hat sich nichts geändert. Für uns heisst das: endlich sicherstellen, dass der Angriffskrieg von Putin nicht aus unserem Land mitfinanziert wird. Hier handelt der Bundesrat viel zu zögerlich: Oligarchengelder werden nicht aktiv gesucht und der Handel mit russischen Rohstoffen ist immer noch möglich. Was wir tatsächlich intensiv diskutiert haben, ist die Frage der Wiederausfuhr von Schweizer Munition.

Die SP hat zusammen mit der Mitte und der FDP einen Kompromiss geschmiedet. Sie wollen die Waffenweitergabe ermöglichen. Ist die SP für Waffenlieferungen?
MatteaMeyer: Nein, aber Ländern wie Deutschland oder Dänemark soll es in eng gefassten Ausnahmefällen und im Falle der völkerrechtlichen Selbstverteidigung möglich sein, ehemals aus der Schweiz gekauftes Kriegsmaterial an die Ukraine weiterzugeben. Direkte Waffenlieferungen aus der Schweiz an in Kriege involvierte Staaten bleiben aber ausgeschlossen.

Gleichzeitig ruft die deutsche Partei Die Linke zum Frieden auf. Das sieht nach einem Appell an die Ukraine aus, einfach aufzugeben.
Meyer: Wir alle wünschen uns sehnlichst Frieden. Aber was die Feministin Alice Schwarzer und die Linke-Abgeordnete Sahra Wagenknecht in Deutschland mit ihrem Appell verlangen, ist anmassend: Die angegriffene Ukraine müsse dem Frieden zuliebe aufgeben. Dass Putin dann Ruhe geben würde, ist illusorisch.

Konsequent wäre es, auf die Neutralität zu verzichten und direkt Waffen zu liefern.
Wermuth: Die SP war eine der ersten Linksparteien in Europa, die den Krieg als Aggression Russlands verurteilten. Die Ukraine hat das Recht, sich mit Waffengewalt zu wehren. Diejenigen Länder, die Waffen liefern können, sollen das tun. Die Schweiz hat eine andere Rolle. Aber Staaten wie Deutschland sollen bereits gelieferte Munition weitergeben können.

Nato-Staaten sollen liefern und die Schweiz nicht?

SP-Führungsduo Meyer/Wermuth

Nach dem Rücktritt von Christian Levrat (52) übernahmen Mattea Meyer (35) und Cédric Wermuth (37) im Oktober 2020 den SP-Chefposten. Die beiden sind schon seit Juso-Zeiten ein eingespieltes Duo. 2015 wurde Meyer in den Nationalrat gewählt. Sie sitzt derzeit in der Sozial- und Gesundheitskommission. Wermuth wurde 2011 Nationalrat. Er hat Einsitz in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben. Beide haben Kinder.

Nach dem Rücktritt von Christian Levrat (52) übernahmen Mattea Meyer (35) und Cédric Wermuth (37) im Oktober 2020 den SP-Chefposten. Die beiden sind schon seit Juso-Zeiten ein eingespieltes Duo. 2015 wurde Meyer in den Nationalrat gewählt. Sie sitzt derzeit in der Sozial- und Gesundheitskommission. Wermuth wurde 2011 Nationalrat. Er hat Einsitz in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben. Beide haben Kinder.

Wermuth: Die zentrale Frage ist ja: Wie können wir den Menschen in der Ukraine am besten beistehen? Der wirkungsvollste Hebel der Schweiz als Finanzdrehscheibe ist ein anderer: Wir müssen die Finanzierung der Kriegsmaschinerie des russischen Regimes unterbinden. Mich ärgert diese Scheinheiligkeit: Diejenigen, die im Parlament verhindern, dass wir russische Rohstoffe boykottieren, sind die, die sich jetzt für Waffenlieferungen in die Bresche werfen – und zwar für Lieferungen an möglichst viele Staaten.
Meyer: Und dann hat die Schweiz noch eine zweite Rolle: Wir könnten als neutrales Land ein Platz für Friedensverhandlungen sein. Und wir haben eine Tradition bei der Übernahme von Schutzmandaten. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass wir hier eine Rolle spielen, sollten wir uns diese nicht verbauen.

Hat die Schweiz nicht vielmehr eine humanitäre Verantwortung? Der Bundesrat hat ein 140-Millionen-Paket geschnürt. Reicht das?
Meyer: Nein, das reicht nicht. Die Schweiz kann und muss mehr tun.

Die Schweiz belegt bei der Ukraine-Hilfe den letzten Platz. Auch wenn die Landesregierung nun mehr tun will. Ist das nicht peinlich?
Wermuth: Natürlich, verglichen mit der Unterstützung durch andere europäische Staaten sind wir nicht grosszügig, leider. Dabei ist unsere Verantwortung besonders gross, denn Banken und Rohstoffhändler haben über lange Zeit vom russischen Regime profitiert und tun es teilweise immer noch. Eines der grossen Probleme der Ukraine ist ihre Schuldenlast. Das Land war schon vor dem Krieg verschuldet und hat mittlerweile exorbitante Auslandsverpflichtungen. Die Schweiz muss vorangehen bei einem Schuldenschnitt für die Ukraine. Auch der Umgang mit Geflüchteten in der Schweiz muss angeschaut werden.

Die Menschen aus der Ukraine haben als einzige den Schutzstatus S erhalten.
Meyer: Wir fokussieren zu sehr darauf, dass die Leute sofort wieder gehen, wenn Frieden herrscht. Die allermeisten wollen ohnehin zurück. Aber ihr Status ist derart unsicher, dass es auch für Arbeitgeber ein Risiko ist, jemanden auszubilden oder anzustellen. Hier bräuchte es bessere Perspektiven. Wenn die Leute dann mit den hier erworbenen Berufsqualifikationen zurückkehren, hilft das beim Wiederaufbau.
Wermuth: Ausbildungen zu finanzieren, ist in jedem Fall ein Gewinn für die Ukraine wie für die Schweiz. Es haben zwar mehr Ukrainerinnen und Ukrainer eine Stelle gefunden, als es in anderen Gruppen von Flüchtlingen der Fall ist. Wir sind aber noch nicht dort, wo wir sein sollten.
Meyer: Es sind häufig Frauen mit kleineren Kindern bei uns. Sollen diese etwa arbeiten und ihre Kinder allein zu Hause lassen? Es braucht auch hier mehr Betreuung, damit diese Mütter tatsächlich arbeiten können.

Kommen wir zur Innenpolitik: In der Frühlingssession kommt es zum Showdown bei der Pensionskassen-Reform. Sie fordern bessere Renten und kündigen das Referendum an, obwohl die Reform Tieflöhnern bessere Renten bringt. Wie geht das zusammen?
Meyer: Bessere Renten? Eben nicht! Ein Beispiel: Wer heute 45 Jahre alt ist und knapp 3000 Franken im Monat verdient, erhält zwar rund 100 Franken mehr Pensionskassen-Rente. Aber auch zusammen mit der AHV reicht das nicht zum Leben. Die Person bleibt auf Ergänzungsleistungen angewiesen, womit sie im Alter gleich wenig Geld hat wie mit der heutigen Regelung. Dafür soll sie neu aber monatlich über 110 Franken mehr Lohnbeitrag zahlen. Geld, das im Portemonnaie fehlt! Mit dieser Pensionskassen-Reform wird auf dem Buckel der Geringverdienerinnen einzig bei den Ergänzungsleistungen gespart. Eine solche Rentenreform hat beim Volk keine Chance.

Sie reden die Reform schlecht, weil Sie die AHV ausbauen wollen.
Meyer: Bei der Pensionskasse stimmt das Kosten-Nutzen-Verhältnis hinten und vorne nicht. Die Reform kostet bei den Lohnbeiträgen drei Milliarden mehr. Setzen wir dieses Geld hingegen für die AHV ein, können wir den meisten Rentnerinnen und Rentnern eine 13. AHV auszahlen. Bar auf die Hand! Aber wenn man halt die Gewinne von Banken und Versicherungen erhöhen statt den Geringverdienenden helfen will ...

Die SP hat bei den Zürcher Wahlen besser abgeschnitten als erwartet. Sie wirken seither gelassener.
Meyer: Ich habe vom Wahlsonntag auf den Montag gut geschlafen. Das Ergebnis ist eine Erleichterung, natürlich! Aber es kann viel passieren bis im Herbst. Zurücklehnen können wir uns nicht.

Die Grünen sind die Wahlverlierer. Wie gross ist Ihre Schadenfreude?
Meyer: Null. Wir haben in Zürich, aber auch in Baselland einen Rechtsrutsch erlebt. Verstärkt sich dieser im Herbst, ist das ein Rückschlag für eine soziale und ökologische Schweiz. Wir fortschrittlichen Kräfte müssen diese Wahl unbedingt gewinnen.

Ein wenig freuen werden Sie sich schon. Ein grüner Angriff auf einen SP-Bundesratssitz ist unwahrscheinlicher geworden.
Wermuth: Die Zusammensetzung des Bundesrats ist nicht das vordringlichste Thema. Die Lebenshaltungskosten explodieren, die Mieten sind für viele unbezahlbar, die Krankenkassenprämien steigen – dagegen müssen wir Lösungen bringen.
Meyer: Der heutige Bundesrat weigert sich, etwas gegen den Kaufkraftverlust zu tun. Es ist für uns deshalb entscheidend, dass die SVP-FDP-Mehrheit im Bundesrat gebrochen wird.

Die Aussichten stehen schlecht. In Zürich hat es die SP nicht geschafft, die Grünen-Verluste zu kompensieren.
Meyer: Aber mit unserem Sitzgewinn haben wir die knappe Mehrheit der Klima-Allianz gerettet. So können wir mit Klimaschutz und Gleichstellung vorwärtsmachen.

Beim Wähleranteil hat die SP nur minimal zugelegt. Die grünen Stimmen sind anderswo hin!
Wermuth: Die Zunahme der SVP-Stimmen ist erschreckend. Es besteht die Gefahr, dass die Rechte unter der Führung der SVP gestärkt wird. Es gilt, den Rechtsblock in die Schranken zu weisen. Wir müssen zulegen.

2019 hat die SP 16,8 Prozent gemacht. Um wie viel wollen Sie den Wähleranteil steigern?
Wermuth: Das ist die falsche Frage. Wir stellen politische Lösungen ins Zentrum, nicht den Wähleranteil.

Weil Sie Angst haben, sich daran messen zu lassen?
Meyer: Im Nationalrat wollen wir zulegen, im Ständerat die Sitzzahl halten. Wir wissen, das ist ambitioniert.

Im Ständerat tritt die alte Garde ab. Die SP hielt zu ihren besten Zeiten zwölf Mandate. Es droht die Bedeutungslosigkeit.
Wermuth: Dieser Rekord war dem besonderen Umfeld geschuldet. In bürgerlichen Kantonen wie St. Gallen oder Freiburg muss die Konstellation stimmen, um ins Stöckli zu kommen.
Meyer: Wir dürfen sicher nicht verlieren! Der Ständerat ist bei sozialen Fragen eine Katastrophe in der aktuellen Legislatur. Während Corona hat er die Unterstützung der Geschäftsmieten abgeschossen und jüngst die zusätzliche Prämienverbilligung.

Weil Mitte-Chef Gerhard Pfister seine Ständeräte nicht im Griff hat?

Meyer: Dieser Eindruck drängt sich auf. Wir haben mit Pfister ein Kaufkraft-Paket abgesprochen für mehr Prämienentlastung für Familien und einen Teuerungsausgleich bei den Renten. Doch seine Leute haben ihn verraten.

Die SVP pocht auf flächendeckende Listenverbindungen mit der FDP.
Meyer: Dass die SVP mit der FDP zusammenspannen will, ist die Folge der freisinnigen Anbiederung an die SVP.
Wermuth: Im Aargau kenne ich nichts anderes. Ein Freisinn mit einer selbständigen Position und einem sozialen Gewissen wäre wichtig. Das hat die FDP unter Präsident Thierry Burkart aber vollständig aufgegeben.

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