Auf einen Blick
- Gewerkschaft warnt vor Gratis-ÖV und Abbauwellen
- SEV-Präsident befürchtet Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen
- ÖV wird heute zu 60% durch Kunden finanziert, etwa 7,5 Milliarden Franken jährlich
Sollen Bahnen, Busse und Trams in der Schweiz kostenlos sein? In einigen europäischen Städten ist der Gratis-ÖV bereits Realität. Auch in Genf fahren Jugendliche seit Anfang Jahr umsonst mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Andernorts im Land wird ebenfalls über die Einführung diskutiert. Oft wird die Idee, den öffentlichen Verkehr gratis anzubieten oder stark zu vergünstigen, von Vertretern der SP vorangetrieben.
Sie sehen darin einen sozialen und ökologischen Fortschritt. Die Hoffnung: Das Gratisangebot führt zu einer höheren Auslastung, selbst zu Randzeiten. Fahren noch mehr Menschen mit dem ÖV, finanziert vom Staat, haben die Bähnler noch mehr zu tun. Müsste man sich also um die Arbeitsplätze keine Sorgen machen?
Ausgerechnet eine Organisation, die für die ÖV-Büezer kämpft und den Sozialdemokraten traditionell nahesteht, warnt eindringlich vor Gratisangeboten: der SEV, die Gewerkschaft des Verkehrspersonals.
«Löst neue politische Verteilkämpfe aus»
«Wer bezahlt die Zeche?» Diese Frage wirft SEV-Präsident Matthias Hartwich (57) in einer Stellungnahme auf. Für ihn ist die Antwort klar: «Gratis-ÖV ist teuer.» Ein kostenloses Angebot gehe «im schlimmsten Fall auf Kosten und zu Lasten des Personals und der Kundinnen und Kunden».
Hartwich erinnert daran, dass der ÖV heute zu 60 Prozent durch Beiträge der Kundinnen und Kunden finanziert wird – macht rund 7,5 Milliarden Franken jährlich. «Muss dieser Betrag ebenfalls aus öffentlichen Geldern finanziert werden, fehlt dieses Geld an anderen Orten», so Hartwich. «Das löst unweigerlich neue politische Verteilkämpfe aus.»
Der Gewerkschaftsboss befürchtet, dass der Gratis-ÖV zu massivem Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen führen könnte. Der Kostendruck sei zudem «Wasser auf die Mühlen der Liberalisierungsturbos», ist Hartwich überzeugt. «Diese Leute werden sicherlich fordern, dass Verkehrsleistungen vermehrt ausgeschrieben werden, um das billigste Angebot zu finden.»
Wo über Gratis-ÖV gestritten wird
Auch für den SEV steht aber fest, dass mehr Menschen ermuntert werden sollten, statt aufs Auto auf den Bus oder die Bahn zu setzen. Nur sei Gratis-ÖV das falsche Mittel dazu. Hartwich: «Es ist unbestritten, dass der ÖV ausgebaut werden muss, wenn die Schweiz das Netto-Null-Ziel beim CO₂-Ausstoss erreichen will.»
In Bern wurde kürzlich ein Vorstoss der SP abgelehnt, der die Gratisbenützung des öffentlichen Verkehrs für Kinder und Jugendliche forderte. Auch in anderen Kantonen wurden entsprechende Vorstösse lanciert. In der Stadt Zürich hat die SP eine Initiative eingereicht, wonach der ÖV nur noch einen Franken pro Tag kosten soll. Und die Zürcher Juso setzte sich gleich für Gratis-ÖV ein.
In Luzern verlangt die SP aktuell, dass ÖV-Abos für Jugendliche massiv subventioniert werden, ebenfalls mit 365 Franken pro Jahr. Die Bürgerlichen lehnen dies ab: Die Zeche zahle am Schluss immer einer, nämlich der Steuerzahler. Bereits 2016 forderte der heutige SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (38) als Aargauer Parteichef, dass der Staat den ÖV im Aargau gratis zur Verfügung stellt.