Die Schweiz steuert direkt in die dritte Corona-Welle. Daran zweifelt kaum mehr jemand. Teststrategie, Impfungen und geplante Lockerungen hin oder her – verhindern lässt sich der Anstieg der Infektionen nicht mehr, wohl aber abschwächen.
Entscheidend sind die nächsten Lockerungsschritte. Der Gesamtbundesrat schlägt vor, bald die Aussenterrassen von Restaurants zu öffnen, ebenso sollen kleinere Veranstaltungen wieder erlaubt und beim Sport wieder mehr möglich sein.
Kantone stärken dem Bund den Rücken
Zu diesen Vorschlägen haben die Kantone Stellung nehmen können. Dabei sind wie üblich diejenigen Regierungen am lautesten, die den Wählern im Kanton zeigen wollen, wie sehr sie sich für Lockerungen ins Zeug legen. So fordern St. Gallen, der Thurgau, Uri und die beiden Appenzell lautstark, auch die Innenräume der Beizen wieder zu öffnen. Diesem Wunsch schliesst sich etwa die Hälfte der Kantone an.
Grundsätzlich sind die Kantone aber mit den vom Bundesrat vorgeschlagenen Lockerungen einverstanden. Praktisch alle fordern aber, dass der Präsenzunterricht an den Unis wieder aufgenommen wird. Die Zürcher Regierung stützt die Pläne des Bundes ebenfalls. Und die will auch, dass man die Aussenbereiche von Restaurants öffnet. In jedem Fall aufzuheben sei die 5er-Regel in Privathaushalten. Es sollen sich unbedingt wieder mehr als fünf Personen in einer Wohnung treffen dürfen.
Doch es gibt sie durchaus, die vorsichtigeren Stimmen – etwa aus dem Aargau oder Solothurn. Alles in allem hat der Bundesrat etwas mehr Rückhalt als auch schon – bei der letzten Konsultation war es noch eine Mehrheit der Kantone, die mehr Tempo wollte.
Nach der nächsten Lockerung soll Schluss sein
Ob überhaupt die Öffnung der Restaurantterrassen per 22. März kommt, ist aber alles andere als gesichert – geschweige denn, ob es später weitere Lockerungen gibt. Denn erstens sind dafür die Corona-Zahlen eigentlich zu hoch. Und zweitens raten die Szenarien der wissenschaftlichen Taskforce davon ab. Diese haben die Kantone zusammen mit den Konsultationsunterlagen erhalten. Nach diesen ist höchstens noch ein einziger weiterer Öffnungsschritt zulässig.
In diesem Fall dürfte insbesondere die Intensivbettenbelegung unproblematisch bleiben. Doch das klappt laut der Taskforce nur, wenn alle weiteren Massnahmen «bis Ende Sommer beibehalten werden».
Bundesrat auf Kurs «Szenario Rot»
Sehr viel schlechter sieht das Szenario aber aus, wenn der Bundesrat auf dem im Februar eingeschlagenen Weg bleibt und im Drei-Wochen-Takt weitere Lockerungen beschliesst (rote Linie in der Grafik). Dann wäre mit ähnlich vielen Todesfällen und Schwerstkranken zu rechnen wie beim bisherigen Höhepunkt der Pandemie – und das, obschon ein Teil der Risikopatienten geimpft ist. Taskforce-Chef Martin Ackermann (50): «Im roten Szenario können die Intensivstationen ähnlich belastet werden wie während der zweiten Welle.»
Statt grösserer nur ganz kleine Lockerungen zu beschliessen, diese dafür kontinuierlich, ist im Übrigen auch keine Alternative: Auch dann fällt die Bilanz vergleichsweise schlecht aus (blaue Linie).
Laut den Experten handelt es sich hier um mögliche Szenarien, nicht um Prognosen. Neue Virenmutationen könnten die Ansteckungen noch weiter erhöhen. Schon die bereits bekannten neuen Mutanten machen laut Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) inzwischen etwa 80 Prozent aller Ansteckungen aus. Noch nicht berücksichtigt sind bei den Szenarien die Massentests. Laut Mathys ist es das Ziel, dass sich künftig 40 Prozent der Bevölkerung einmal pro Woche testen lassen.
Lieber süüferli
Nicht nur bei den Kantonen wird man vorsichtiger. Auch aus der Bevölkerung kommen mahnende Stimmen. So in einer Petition. Unter dem Motto «Sicher öffnen» fordert die Allianz «Voix civique», erst tägliche Fallzahlen von rund 120 Neuinfektionen abzuwarten, bevor weitere Lockerungen beschlossen werden.
So oder so: Dass der vorgeschlagene Weg nicht der sicherste ist, ist auch dem Bundesrat klar. Er warnt davor, nach dem nun anstehenden Öffnungsschritt gleich weitere zu beschliessen. Ansonsten sei «eine Normalisierung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens im Sommer nicht möglich».