Kesb steckt Jugendliche wegen Platzmangel ins Gefängnis – Kritik von Staatsrechtler
«Inhaftierungen gefährden die Entwicklung der Kinder»

Die Kesb steckt unschuldige Jugendliche bis zu drei Monate in Haft. Die Behörde spricht von «Time-outs». Staatsrechtler Markus Schefer kritisiert die Massnahmen scharf.
Publiziert: 18.11.2023 um 17:21 Uhr
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Aktualisiert: 05.01.2024 um 11:33 Uhr
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Im Regionalgefängnis Thun werden auch Jugendliche eingeliefert, die kein Delikt begangen haben.
Foto: Keystone
Miriam Weber
Beobachter

Eine kürzlich veröffentlichte Recherche von SRF zeigt auf, dass die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) in mehreren Kantonen Jugendliche im Gefängnis platziert, wenn sie für diese in Heimen oder in der Jugendpsychiatrie keinen Platz mehr findet. Betroffen sind Jugendliche, die weder Eltern noch eine Bezugsperson haben und therapeutische Betreuung bräuchten.

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Wie die Kesb des Kantons Bern gegenüber SRF sagt, geschehe das nur in absoluten Ausnahmesituationen und nur «zum Schutz der Kinder». Zum Beispiel, wenn die Jugendlichen auf der Strasse aufgegriffen würden, nachdem sie aus einer Institution geflüchtet seien. Die Jugendlichen sollten sich nur für eine kurze Zeit – für sogenannte Time-outs – im Gefängnis aufhalten, bis die Kesb eine Lösung gefunden hat.

Ist es zulässig, Minderjährige zivilrechtlich im Gefängnis unterzubringen? Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel, ordnet ein.

Herr Schefer, eine 14-Jährige verbringt, obwohl sie unschuldig ist, drei Monate hinter Gittern – weil sie keinen betreuten Platz findet. Wie beurteilen Sie das?
Markus Schefer:
Dass die Kesb Jugendliche in Gefängnissen unterbringt, ist aus Sicht der Kinderrechtskonvention fragwürdig. Der Uno-Ausschuss für die Rechte der Kinder hat der Schweiz empfohlen, auf die Unterbringung in Institutionen grundsätzlich zu verzichten.

Die Kesb stützt sich auf das Zivilgesetzbuch. Es besagt, dass die Behörden solche Massnahmen ergreifen können, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist. Rechtfertigt das eine Unterbringung in Strafanstalten?
Das Zivilrecht verlangt «geeignete Massnahmen». Geeignet bedeutet, dass die Massnahme im Sinne des Kindeswohls passiert. Die Gefängnisse verfügen nicht über den nötigen Unterstützungsdienst. Sie können gar die Entwicklung der Jugendlichen gefährden. Es ist also schwer vorstellbar, dass eine Inhaftierung dem Kindeswohl entspricht. Generell haben Kinder, die nicht mit dem Strafrecht in Kontakt gekommen sind, im Gefängnis nichts zu suchen.

Wie SRF berichtet, brachte die Kesb innerhalb von zwei Jahren 27 unschuldige Jugendliche im Regionalgefängnis Thun unter. Können sich die Jugendlichen dagegen wehren?
Ja, Betroffene können beim Gericht eine Beschwerde einreichen und sie weiterziehen bis vor das Bundesgericht. Wenn auch das höchste Gericht die Unterbringung im Gefängnis als zulässig einstuft, bleibt noch der Uno-Kinderrechtsausschuss in Genf, an den man sich mit einer Beschwerde wenden kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er eine solche Massnahme als zulässig erachten würde. Besonders, wenn man seine bisherige Haltung in Betracht zieht, die er auch gegenüber der Schweiz geäussert hat.

Was meinen Sie damit?
Der Kinderrechtsausschuss hat die Schweiz wiederholt aufgefordert, die nötigen Unterstützungsleistungen aufzubauen. Die Kesb bringt die Jugendlichen auch nur im Gefängnis unter, weil es zu wenig andere Betreuungsmöglichkeiten gibt. Das rechtfertigt zwar den Gefängnisaufenthalt nicht. Es zeigt aber auf, wie dringend es ist, endlich zu handeln.

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