3,9 Milliarden Franken: So viel kostet der Tabakkonsum die Schweiz – jedes Jahr. Zigaretten sind das Gesundheitsrisiko Nummer 1 hierzulande. Dennoch gibt es kaum einen Staat, der so lasche Tabakgesetze kennt wie wir. Daran wird sich auch nur wenig ändern, sollte die Schweiz am 13. Februar Ja zur Tabak-Initiative sagen, die praktisch sämtliche Werbung für Zigaretten und andere Tabakprodukte verbieten will.
Denn da wäre beispielsweise die vergleichsweise tiefe Tabaksteuer. Letztmals erhöht wurde diese vor neun Jahren, um 10 Rappen. Erst 2010 trat zudem ein schweizweites Rauchverbot unter anderem in Restaurants oder Büros in Kraft, in mehreren Kantonen gibt es bis heute kein Mindestalter für den Kauf von Zigaretten. Und: Als einziges europäisches Land hat die Schweiz die Tabakkonvention der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht ratifiziert, die zum Ziel hat, die durchs Rauchen verursachten Schäden zu minimieren.
Die Schweiz gehört zu den Schlusslichtern
Das alles führt dazu, dass die Schweiz im Tabaklobby-Ranking 2021 des Global Centre for Good Governance in Tobacco Control (GGTC) auf dem zweitletzten Platz landet. 80 Länder weltweit werden für den Index miteinander verglichen. Nur in der Dominikanischen Republik geschäftet es sich für die Tabakindustrie noch paradiesischer. «Eine Schande für die Schweiz», sagt Bruno Meili (75), Präsident der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention.
Doch woran liegt es, dass eines der reichsten Länder der Welt beim Gesundheitsschutz seiner Bürgerinnen und Bürger im internationalen Vergleich so hinterherhinkt?
«Rauchen wird weniger problematisiert»
Teilweise sei das wohl kulturell bedingt, glaubt Felix Gutzwiller (73), Präventionsmediziner und ehemaliger Zürcher FDP-Ständerat. «Die Schweiz ist ein Land mit hoher Suchtbereitschaft», sagt er. Egal ob Tabak, Alkohol oder auch illegale Drogen. Im Gegensatz zu anderen Kulturen nehme man in der Schweiz Suchtphänomene relativ locker. «Alkoholismus ist eine Art Kavaliersdelikt, auch Rauchen wird weniger problematisiert», stellt er fest. Gehts um ihre Gesundheit, lassen sich die Schweizerinnen und Schweizer zudem nicht gern vom Staat dreinreden – das hat die Diskussion um die Covid-Impfung beispielhaft gezeigt.
Drei weitere wichtige Gründe für die lasche Gesetzgebung sind in der Westschweiz zu finden: Die drei grössten Tabakkonzerne der Welt haben in der Romandie ihren Hauptsitz beziehungsweise einen grossen Produktionsstandort. Die europäischen Krebsligen schreiben in ihrem jüngsten Anti-Tabak-Bericht scharfzüngig: «Die Schweiz scheint stärker interessiert am Wohlergehen der Tabakkonzerne als der Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger.»
Wobei es nicht nur um die eigenen Bürger geht. Drei von vier in der Schweiz hergestellten Zigaretten gehen ins Ausland. Darunter auch Produkte, die in der Schweiz selbst wegen ihres Gesundheitsrisikos nicht verkauft werden dürfen. Sie zu exportieren ist aber, anders als beispielsweise in der EU, erlaubt.
Lobbying leicht gemacht
Die Tabakindustrie weiss so gut wie kaum eine andere Branche, im Parlament für ihre Anliegen zu werben. «Die Tabaklobby ist so gut vernetzt, dass sie es bis jetzt fast immer hinbekommen haben, ihre Interessen durchzusetzen», sagt Thomas Zeltner (74). Der ehemalige Direktor des Bundesamts für Gesundheit gilt als einer der wichtigsten Figuren in der jüngeren Geschichte der Schweizer Präventionspolitik. Er stellt fest: «Vor allem Philipp Morris hat es geschafft, die Tabakprävention als ersten Schritt einer drohenden Bevormundungspolitik darzustellen.» Nach dem Motto: Achtung, als Nächstes wird dann alles andere reguliert, was zwar ungesund sein mag, aber halt einfach fein ist – zum Beispiel Zucker oder Salz.
Der Einfluss der Tabaklobby ist teilweise aber auch dem politischen System der Schweiz geschuldet. Lobbyisten haben es hierzulande vergleichsweise leicht. «Was in anderen Ländern als Korruption gilt, kann man bei uns sogar von den Steuern abziehen», ärgert sich Tabakpräventions-Präsident Bruno Meili. Er gibt sich aber auch selbstkritisch: «In anderen Ländern setzen sich Krebsligen und andere Organisationen viel engagierter und kämpferischer für ihre Anliegen ein.»
Zahnloser Gegenvorschlag
Bestes Beispiel dafür, wie schwer es Anti-Tabak-Vorlagen in der Schweiz haben, ist das neue Tabakproduktegesetz. Nach jahrelangem Tauziehen verabschiedete das Parlament das Gesetz vergangenen Herbst – als indirekten Gegenvorschlag zur Anti-Tabak-initiative (siehe Tabelle). Es tritt in Kraft, wenn die Initiative abgelehnt wird.
Die Tabaklobby hatte aus abstimmungstaktischen Gründen dafür gekämpft, dass das Gesetz durchkommt – aber möglichst zahnlos. Ein Unterfangen, das gelungen ist. Die Kriterien der WHO-Tabakkonvention erfüllt die Schweiz mit den verschärften Vorschriften nämlich immer noch nicht.