Karin Kayser-Frutschi (57) ist seit zehn Jahren Regierungsrätin in Nidwalden. Sie weiss, was zu tun ist, wenn die Grossen der Weltpolitik anreisen. Und sie weiss, wie man einen Stab mit Profis aus Polizei, Armee und Bund führt. «In einem kleinen Kanton bin ich als Regierungsrätin sehr nah am operativen Geschäft», sagt sie in ihrem Büro am Sitz der Polizei in Stans NW. Zugutekomme ihr auch, «dass ich ein sehr positiver Mensch bin». Sie freut sich auf den Grossanlass auf dem Bürgenstock: «Es ist motivierend, solch einmalige Sachen durchzuspielen.»
Auf Ihren Schultern lastet der Weltfrieden, Frau Kayser-Frutschi. Wie schlafen Sie?
Zurzeit arbeiten sehr viele Personen daran, die Sicherheit der Konferenz zu gewährleisten. Persönlich habe ich zum Glück einen guten Schlaf.
Dabei sind Sie verantwortlich für die Sicherheit von Regierungschefs – vielleicht gar für die Präsidenten der USA und Chinas.
Auch jetzt schlafe ich meistens sehr gut, sonst könnte ich diese Aufgabe nicht optimal lösen. Sie betrifft zudem die ganze Schweiz. Es ist ein Zusammenspiel zwischen Politik, Polizei und Armee. Ein Miteinander.
Der Bundesrat schickt 4000 Soldaten. Wie viele Polizisten und Experten kommen hinzu?
Ein solches Sicherheitsdispositiv bedarf einer sehr sorgfältigen Abwägung. Dabei wird auf den Schutzgrad der Gäste und deren Stellung in der Weltpolitik geachtet. Völkerrechtlich geschützte Menschen geniessen je nach ihrer eingeteilten Kategorie einen unterschiedlichen Schutz. Über ein solches Sicherheitsdispositiv und die genaue Zahl der Sicherheitskräfte informieren wir nicht.
Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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Wie viele Kategorien gibt es denn?
Zwölf. Die Einteilung erfolgt je nach Gefährdungspotenzial.
Wie würden Sie US-Präsident Joe Biden schützen?
Dieser Besuch würde das Sicherheitsdispositiv ganz sicher stark beeinflussen. Der amerikanische Präsident geniesst auf der ganzen Welt freie Fahrt.
Das müssen Sie erklären.
Bei schönem Wetter fliegt er von Zürich Kloten direkt auf den Bürgenstock …
… und wenn es regnet und stürmt …
… dann landet er in Zürich und fährt mit dem Auto auf den Bürgenstock. Und wir müssen auf der ganzen Strecke jede einzelne Ein- und Ausfahrt schliessen und jede Brücke absichern. Und wenn der Konvoi des US-Präsidenten die Autobahn verlässt, ist er im Ortsverkehr unterwegs. Da muss jede noch so kleine Seitenstrasse extra gesichert werden. Das alles benötigt sehr, sehr viel Personal.
Welche Spezialwünsche haben der Secret Service und andere Regierungsstellen?
Die Betreuung der Gäste läuft über das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA. Schon jetzt sind einzelne Delegationen da. Sie wollen wissen, wie die Verhältnisse auf dem Bürgenstock sind. Wo sie mit welchen Limousinen durchfahren können. Das EDA erhält aber auch Informationen darüber, wer gern unter welcher Bettdecke schläft. Und wer welchen Kaffee trinkt zum Zmorge.
Wer hat das Sagen: Sie oder diese ausländischen Grossmächte?
Klar gibt es Länder wie Amerika, die ihre Bedürfnisse klipp und klar kundtun. Aber zum Glück stehen wir mit den Sicherheitsvertretern dieser Länder in engem Kontakt und planen gemeinsam. Aufgrund des Uno-Standorts Genf und auch wegen des WEF besteht ein gutes Arbeitsverhältnis.
In James-Bond-Filmen wird oft Gift in Lebensmitteln geschmuggelt. Alles nur Fiction?
Überhaupt nicht. Der Bäcker, der Cremeschnitten für den Bürgenstock herstellt, der weiss: Jede einzelne Cremeschnitte wird getestet und durchläuft verschiedene Stationen, bis sie auf dem Teller eines Gastes auf dem Bürgenstock landet. Den Gästen wird nichts aufgetischt, das nicht von A bis Z unter die Lupe genommen wurde.
Wo sehen Sie mögliche Gefahren für Ihre Gäste?
Wir bereiten uns auf alles vor, um sie sicher vom Flughafen auf den Bürgenstock zu bringen und auch wieder zurück, sodass die Konferenz sicher durchgeführt werden kann. Wir schauen jede Szene an: Wie landen die Gäste? Wie erfolgt der Transport? Wir spielen alle möglichen Eventualitäten durch.
Beten Sie wegen der Anreise des US-Präsidenten für schönes Wetter?
Wir hoffen auf Sonnenschein. Dann können viel mehr Gäste über den Luftweg transportiert werden. Dadurch erfährt die Bevölkerung weniger Einschränkungen. Der Luftraum ist während der ganzen Konferenz in einem Radius von 40 Kilometern gesperrt. In diesem Raum sichert die Armee alles ab. Der Heli-Landeplatz ist in der Nähe des Bürgenstock Resorts. Von dort werden die Gäste direkt vor den Hoteleingang gefahren. Auch hier müssen wir auf kleinste Details achten.
Worauf?
Staatsgäste sitzen in einer Staatslimousine stets hinten rechts. Die Fahrroute muss so gewählt werden, dass der Gast immer direkt vor dem Hotelempfang aussteigen kann, ohne noch um das Auto herumgehen zu müssen.
Experten rechnen mit Cyberangriffen von staatlichen russischen Hackern.
Diesen sind wir bei allen Veranstaltungen ausgesetzt. Überall und immer. Auch bei dieser Konferenz rechnen wir mit erhöhten Störungen. Momentan registrieren das Bundesamt für Cybersicherheit und auch unsere Informatik vermehrt Angriffe auf unsere Infrastrukturen. Doch unser Cyberschirm ist aufgespannt. Es war für mich ein merkwürdiges Gefühl, als unsere Leute entdeckten, dass jemand an einer Sitzbank ein elektronisches Gerät angebracht hatte. Da gehen einem dann schon Fragen durch den Kopf: Fixiert der Mann die Kamera dort, um ein Panoramafoto zu machen? Oder was hat er vor? Es bewegen sich zurzeit schon andere Leute hier als sonst.
Das tönt nach Action. Trotzdem sehen Sie sehr entspannt aus. Wo schalten Sie ab, wie tanken Sie auf?
Wichtig ist, dass wir einen sehr guten Planungsstab haben, der von der Armee, den Bundesnachrichtendiensten und dem Fedpol unterstützt wird. Jedes Mal, wenn ich aus einer Stabssitzung komme, habe ich ein gutes Gefühl. Die Leute arbeiten professionell und intensiv. Danach kann ich mich in der Natur schnell und gut erholen.
Was machen Sie konkret?
Nur schon wenn ich eine Stunde in den Wald gehe, bringt das wieder Licht in den vollen Kopf. Mal auf einen Aussichtspunkt, mal zu einem Kraftort – das bewirkt Wunder.
Wo zieht es Sie am liebsten hin?
Für mich ist Maria-Rickenbach ein Kraftort, an dem ich Energie tanke. Und Kraft gibt mir auch der ständige Austausch, ich habe sehr gute Leute um mich herum.
Tauschen Sie sich täglich mit Bundespräsidentin Amherd und Aussenminister Cassis aus?
Nein, das wäre wohl kontraproduktiv. Natürlich reden wir miteinander. Die kurzen Wege zeichnen unser Land aus. Wichtige Informationen und Absprachen müssen jedoch immer über den Planungsstab laufen. Es wird über ihn organisiert und kommuniziert. Das ist extrem wichtig. Und es ist unsere grosse Stärke. Die Schweiz hat sehr viel Erfahrung in Stabsarbeit. Und wir als kleiner Kanton Nidwalden sind es gewohnt, mit andern zusammenzuspannen.
Und wer drückt im Notfall auf den berühmten roten Knopf?
Für Sicherheitsfragen ist der Einsatzleiter Stephan Grieder, Kommandant der Kantonspolizei Nidwalden, zuständig. Während der Friedenskonferenz ist die Armee der Polizei unterstellt. Wenn es politisch wird, dann kommts zu mir als Sicherheitsdirektorin und allenfalls zum Gesamtregierungsrat.
Weshalb übernimmt das kleine Nidwalden diese grosse Verantwortung?
Vor allem Staatschefs geniessen völkerrechtlich alle einen erhöhten Schutz. Das geht zurück auf die Antike mit Gesandten mit weissen Flaggen und später auf das Wiener Abkommen. Wer in Guten Diensten und unbewaffnet kommt, dem muss man Raum und Personenschutz gewähren. Das haben wir als Schweiz unterschrieben, und wir stehen seit Jahrzehnten für die Guten Dienste ein. Der Kanton, in dem eine solche Konferenz stattfindet, muss für den Schutz aufkommen. Diesen Schutz gewähren wir zusammen mit den anderen Korps und der Armee. Zum Glück haben wir in der Schweiz den Sicherheitsverbund mit allen sicherheitspolitischen Instrumenten des Bundes, der Kantone und der Gemeinden. Die Bevölkerung steht der Friedenskonferenz offen gegenüber. Gerade weil man gemeinsam etwas für die Guten Dienste machen kann. Es ist für uns alle eine riesige Herausforderung – aber auch eine äusserst spannende.
Wie viel kostet dieser Schutz?
Diese Zahl ist abhängig davon, welche Gäste an der Konferenz teilnehmen, und somit, welcher Schutz gewährt werden muss. Wir rechnen mit rund zehn Millionen Franken.
Haben Sie selber auch Personenschutz?
Nein. Ich glaube nicht, dass ich als Person hier im Fokus stehe.
Wo halten Sie sich während der Friedenskonferenz auf?
Am Samstagnachmittag manage ich als Präsidentin die GV unserer familieneigenen Holzverarbeitungsunternehmung.
Sie tauchen in der heissen Phase ab!
Nein, nein. Ich bin immer erreichbar und auch örtlich sehr nahe. Und ich bin zwischen Donnerstag und Montag sicher sehr viel in der Einsatzzentrale, in direktem Kontakt mit meinem Einsatzleiter. Dann wird mein Herz schon etwas schneller schlagen.