Wenn er zur Ukraine-Friedenskonferenz anreist
Die Schweiz müsste Netanyahu festnehmen

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu droht ein Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. Das könnte auch für die Schweiz eine diplomatische Zwickmühle bedeuten. Denn schon in wenigen Wochen könnte Netanyahu unser Land besuchen.
Publiziert: 23.05.2024 um 17:11 Uhr
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Aktualisiert: 23.05.2024 um 17:38 Uhr
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Wird Israels Premierminister Benjamin Netanyahu festgenommen, falls er Mitte Juni in die Schweiz kommt?
Foto: keystone-sda.ch
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Der Schweiz droht die diplomatische Bredouille. Schon bald könnte sich die Frage ganz konkret stellen, ob sie Israels Premierminister Benjamin Netanyahu (74) auf Schweizer Boden verhaftet – oder davor zurückschreckt. Immerhin hat der Bundesrat neben zahlreichen anderen Staaten auch die israelische Regierung zur Ukraine-Friedenskonferenz eingeladen, die Mitte Juni auf dem Bürgenstock NW stattfinden soll.

Deutschland seinerseits ist bereit, durchzugreifen. Sollte der Internationale Gerichtshof den Haftbefehl bestätigen, würde Berlin Netanyahu auf deutschem Boden festnehmen und nach Den Haag NL ausliefern. «Wir halten uns an Recht und Gesetz», hatte ein Regierungssprecher am Mittwoch vor den Medien erklärt. Deutschland sei grundsätzlich Unterstützer des Internationalen Strafgerichtshofs, und dabei bleibe es.

Antrag auf Haftbefehl löste weltweit Schlagzeilen aus

Der Chefankläger in Den Haag, Karim Khan (54), hatte am Montag weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Wegen des Terrorangriffs auf Israel, der den Gaza-Krieg ausgelöst hat, hat er nicht nur Haftbefehle gegen drei Hamas-Anführer beantragt. Ins Visier nahm er auch Netanyahu sowie Verteidigungsminister Joav Galant (65). Er wirft ihnen vor, absichtlich Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Gaza veranlasst und Hunger als Kriegswaffe eingesetzt zu haben.

Wie die Schweiz haben Deutschland und 121 weitere Staaten das Römer Statut unterzeichnet, auf dem der Internationale Gerichtshof gründet – anders etwa als die USA, Russland oder Israel. In deutschen Regierungskreisen gelte es daher als schwierig, einen möglichen Haftbefehl gegen Netanyahu nicht zu vollstrecken, sollte dieser nach Deutschland reisen. Andererseits aber sei die Verhaftung eines israelischen Regierungschefs wegen der deutschen Verantwortung für den Holocaust extrem heikel.

Schweiz ist zur Zusammenarbeit verpflichtet

Angesichts der Brisanz rund um den Ukraine-Gipfel will das Aussendepartement EDA die Frage nach einer möglichen Festnahme Netanyahus nicht beantworten und versteckt sich hinter Floskeln. Da es sich um ein laufendes Verfahren handle, kommentiere das Departement den Antrag des Chefanklägers nicht, erklärt ein EDA-Sprecher. Die Diplomaten wollen nicht unnötig Geschirr zerschlagen.

Ebenfalls wird nicht verraten, ob sich Israel für die Ukraine-Konferenz überhaupt angemeldet hat. Bisher lägen über 70 Bestätigungen für eine Teilnahme vor. Da die Anmeldefrist noch immer laufe, könne derzeit nicht gesagt werden, ob und auf welcher Stufe Israel teilnehmen wird.

Klartext will auch das Bundesamt für Justiz (BJ) nicht sprechen. Schliesslich seien allfällige Fahndungsersuchen vertraulich und unterstünden dem Amtsgeheimnis, erklärt eine Sprecherin. Klar aber ist, dass Vertragsstaaten wie die Schweiz dazu verpflichtet sind, grundsätzlich uneingeschränkt mit dem Internationalen Gerichtshof zusammenzuarbeiten.

Das BJ verweist denn auch auf das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Demnach wäre das Bundesamt wohl dazu verpflichtet, Netanyahu festzunehmen und zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Überstellung nach Den Haag gegeben sind. Bis das Überstellungsersuchen fristgerecht eintrifft, «bleibt die gesuchte Person grundsätzlich bis zum Abschluss des Überstellungsverfahrens in Haft». Sie könne aber gegen die Inhaftierung beim Bundesstrafgericht Beschwerde führen.

Südafrika erging es ähnlich

In einer ähnlichen Lage befand sich vor einem Jahr auch Südafrika, nachdem der Internationale Gerichtshof gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin (71) einen Haftbefehl erlassen hatte. Putin aber hatte sich für einen Gipfel in Südafrika angemeldet. Wissend, dass ihn die dortige Regierung nach der Landung noch auf dem Rollfeld hätte verhaften müssen. Der geballte russische Zorn wäre Südafrika gewiss gewesen. Putin aber verzichtete letztlich auf die Anreise und nahm per Videocall an der Konferenz teil. Die südafrikanische Regierung konnte aufatmen.

Gleich könnte es nun Bundespräsidentin Viola Amherd (61) und Aussenminister Ignazio Cassis (63) ergehen. Zwar hoffen die beiden auf möglichst viele Staatschefs, um dem Ukraine-Gipfel Gewicht zu verleihen. Auf Netanyahu aber werden sie gerne verzichten.

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