Bundespräsidentin Viola Amherd zur Bürgenstock-Konferenz
«Ein Scheitern ist gar nicht mehr möglich»

Das Ziel der Bürgenstock-Konferenz ist für Bundespräsidentin klar: einen Dialog anstossen, der zum Frieden in der Ukraine führt. Zufrieden wäre sie, wenn über dem Vierwaldstättersee eine weitere Konferenz beschlossen würde, an der beide Kriegsparteien am Tisch sitzen.
Publiziert: 27.05.2024 um 00:09 Uhr
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Aktualisiert: 27.05.2024 um 14:42 Uhr
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«Ein Scheitern ist gar nicht mehr möglich», sagt Bundespräsidentin Viola Amherd zur Ukraine-Konferenz.
Foto: TOTO MARTI
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Sermîn FakiPolitikchefin

Bundespräsidentin Viola Amherd (61) steuert auf den Höhepunkt ihres Amtsjahres zu: In knapp drei Wochen werden sich auf dem Bürgenstock hoch über dem Vierwaldstättersee Staatsmänner und -frauen zu einer Konferenz versammeln, um über mögliche Wege zu einem Ende des Ukrainekriegs zu sprechen. Doch daneben ist auch noch der bundesrätliche Alltag zu bewältigen: Als Blick Amherd in ihrem Büro im Bundeshaus Ost zum Interview trifft, kommt diese gerade aus einer dreistündigen Sitzung mit der Finanzdelegation des Parlaments.

Frau Bundespräsidentin, drei Wochen noch bis zur grossen Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock. Läuft alles nach Plan?
Viola Amherd: Ein Fazit kann man natürlich erst nach der Konferenz ziehen. Aber ich bin zuversichtlich, dass es eine gute Sache wird. Die Vorbereitungsarbeiten sind auf Kurs. Wir haben jetzt schon rund 70 Anmeldungen, von denen die Hälfte aus Europa, die andere Hälfte aus Südamerika, Afrika, dem Nahen Osten und Asien stammt. Wir sind also gut unterwegs. Auch die Sicherheitsvorkehrungen werden vorbereitet, der Bundesrat hat am Mittwoch den Assistenzdienst der Armee genehmigt.

Was Sie sich wohl anders gewünscht hätten, ist die Breite des Teilnehmerfelds. Weder wird China teilnehmen noch der brasilianische Präsident Lula Da Silva. Bleibt von den Russland nahestehenden Staaten noch Indien. Sind Sie damit zufrieden?
Schauen Sie, es ist heikel, etwas zur Teilnehmerliste zu sagen. Da wird es bis zum letzten Moment Änderungen geben. Aber über 30 europäische und über 30 nichteuropäische Staaten – das ist gut. Und es finden ja noch immer Gespräche mit verschiedenen Ländern statt.

Aber der Anspruch der Schweiz war eine Konferenz, die einen Friedensprozess einläuten soll. Wie soll das gehen, wenn nicht einmal Unterstützer von Russland dabei sind?
Unser Anspruch ist nicht, dass auf dem Bürgenstock ein Friedensvertrag unterzeichnet wird. Das wäre gar nicht realistisch in der heutigen Situation. Es geht darum, eine Diskussion über einen möglichen Friedensprozess einzuläuten. Das ist wirklich neu. Darum haben wir auch klar gesagt: Es kann nicht nur über den 10-Punkte-Plan der Ukraine gesprochen werden. Die Diskussion muss breiter sein.

Ist es denkbar, dass der ukrainische Präsident Selenski wegen der dramatischen Lage an der Front nicht teilnimmt?
Niemand weiss, wie die Situation in drei Wochen sein wird. Aber Stand heute ist sicher, dass er dabei sein wird. 

Was wäre der grösste Erfolg, den Sie sich persönlich für die Konferenz vorstellen können, wenn Sie ein bisschen träumen dürften?
Für mich wäre es ein guter Erfolg, wenn man wirklich ein breites Teilnehmerfeld hat, in dem auch die Länder des globalen Südens gut vertreten sind …

… wieso sind die Länder des globalen Südens so wichtig?
Das sind Länder, die je länger je wichtiger werden, und die zum Teil Russland nahestehen. Wir wollen uns nicht nur gegenseitig auf die Schulter klopfen, sondern eine breite Diskussion, in der andere Meinungen gehört werden. Ein Erfolg wäre, wenn man sich in den vier Themen, die wir definiert haben – Humanitäres, nukleare Sicherheit, freie Schifffahrt, Ernährungssicherheit – auf Erklärungen einigen könnte. Und wenn man sich auf eine zweite Konferenz einigen könnte, an der beide Kriegsparteien teilnehmen.

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«Stand heute ist sicher, dass Selenski dabei sein wird.»
Bundespräsidentin Viola Amherd
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An dem dann auch Russland oder deren Verbündete am Tisch sitzen?
Genau.

Davon muss man auch die Ukraine überzeugen, oder nicht?
Die Ukraine hat sich bereit erklärt, jetzt den Dialog zu führen und offen zu sein über ihren 10-Punkten-Plan hinaus.

Was würden Sie als Scheitern betrachten?
Ich glaube, ein Scheitern ist gar nicht mehr möglich mit einem so grossen Teilnehmerfeld.

Könnte die aktuelle Kriegslage einen Einfluss auf die Konferenz haben? Dass etwa der Druck auf die Ukraine, Konzessionen zu machen, grösser wird, sollte Russland auf dem Schlachtfeld gerade die Oberhand haben?
Im Moment geht es nicht darum, über Konzessionen zu sprechen. Sondern überhaupt mal den Dialog zu starten. Um Ihre Frage zu beantworten: Ich glaube nicht.

Wie gross ist die Bedeutung dieser Konferenz für die Stellung der Schweiz als Vermittlerin?
Bei allen internationalen Kontakten, die ich seit der Ankündigung im Januar hatte, wurde der Schweiz für ihren Mut, diese Konferenz durchzuführen, gedankt. 

Viola Amherd

Bundesrätin Viola Amherd (61) steht seit 2019 dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) vor. Die Walliserin studierte Jura, arbeitete als Anwältin und Notarin und gehörte von 2005 bis 2018 dem Nationalrat an. Die Mitte-Politikerin ist ledig und wohnt in Bern und in Brig-Glis. Kulinarische Vorliebe: vegetarisch.

Marco Zanoni

Bundesrätin Viola Amherd (61) steht seit 2019 dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) vor. Die Walliserin studierte Jura, arbeitete als Anwältin und Notarin und gehörte von 2005 bis 2018 dem Nationalrat an. Die Mitte-Politikerin ist ledig und wohnt in Bern und in Brig-Glis. Kulinarische Vorliebe: vegetarisch.

Hat es Mut gebraucht, die Konferenz durchzuführen?
Ja. Wie gesagt ist ein Scheitern aus heutiger Sicht nicht mehr möglich. Aber das wussten wir zu Beginn des Jahres nicht. Es gab ein Risiko, dass das Ansinnen nicht umgesetzt werden könnte. Dennoch war für mich sofort klar, dass wir die Konferenz organisieren, als die Anfrage der Ukraine kam. 

Russland bestreitet, dass die Schweiz noch neutral ist, weil man die Sanktionen übernommen hat. Haben Sie aus dem Teilnehmerfeld oder von anderen Staaten auch Signale bekommen, dass es Zweifel gibt an der schweizerischen Neutralität?
Nein, niemals. Ich war vor allem in Europa unterwegs und da war dies kein Thema. Wenn man das Neutralitätsrecht anschaut, erfüllen wir unsere Pflicht zu 100 Prozent. 

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«Es geht jetzt nicht darum, über Konzessionen zu sprechen.»
Bundespräsidentin Viola Amherd
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Bis zu 4000 Armeeangehörige werden eingesetzt, um die Konferenz zu sichern. Ist das angesichts der jahrelangen Erfahrung am WEF courant normal für die Schweizer Armee oder doch eine Herausforderung?
Wir können von unseren Erfahrungen am WEF profitieren, aber es werden schon deutlich mehr völkerrechtlich geschützte Personen auf dem Bürgenstock sein als jeweils in Davos. Allein die Sicherheit von Präsident Selenski zu garantieren, eine der gefährdetsten Persönlichkeiten weltweit, ist eine Herausforderung. 

Sie selbst werden auf dem Bürgenstock einen grossen Auftritt vor der Weltöffentlichkeit haben. Sind Sie ein bisschen nervös?
(lacht) Bis jetzt nicht. Nein, ich freue mich darauf. Denn mit dieser Konferenz können wir wirklich etwas zum Frieden beitragen, ohne mit der Neutralität in den Konflikt zu kommen. Ich finde: Wenn wir diese Chance schon haben, sollten wir sie ergreifen.

«Die Alternative wäre, nichts zu tun»
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Bundesrätin Viola Amherd (61):«Die Alternative wäre, nichts zu tun»
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