Corona schleicht sich wieder an, neue Varianten sind auf dem Vormarsch. Der Bund empfiehlt Risikopersonen im Herbst daher eine Auffrischimpfung. Doch diese findet nicht mehr in Impfzentren statt, sondern in Arztpraxen und Apotheken. Der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri (63) erklärt im Blick-Interview, für wen der nächste Piks sinnvoll ist und warum er immer eine Maske dabei hat.
Blick: Herr Hauri, das Coronavirus breitet sich wieder aus. Müssen wir uns Sorgen machen?
Rudolf Hauri: Wir sind immer davon ausgegangen, dass die Virusaktivität in der kälteren Jahreszeit wieder zunehmen wird. Das gilt für das Coronavirus ebenso wie für andere Atemwegserkrankungen. Es gibt derzeit keinen Grund zur Sorge. Wir müssen aber gegenüber Corona Respekt haben, da bei Risikopersonen schwere Verläufe weiterhin möglich sind.
In der Schweiz dominiert derzeit die Omikron-Variante XBB. Nun kommen neue Varianten wie Eris und Pirola auf uns zu, die die WHO als «besorgniserregend» einstuft. Wird es doch noch gefährlich für uns?
Ich muss relativieren: Wenn eine Variante als «besorgniserregend» gilt und unter Beobachtung steht, ist dies ein epidemiologischer Arbeitsbegriff. Das heisst: Wir interessieren uns für die Variante, weil sie ein gewisses Potenzial hat, sich stärker auszubreiten. Der wissenschaftliche Beirat geht derzeit davon aus, dass diese Varianten künftig auch stärker in der Schweiz vorkommen. Das bedeutet aber nicht, dass das auch für die Bevölkerung besorgniserregend sein muss.
Dann geben Sie Entwarnung?
Es ist noch schwer, abzuschätzen, wie sich die Situation in den Herbst hinein entwickelt. Aufgrund der Abwasseranalysen rechnen wir mit einer Zunahme der Corona-Fälle. Auch in den Spitälern registrieren wir vereinzelt eine Zunahme. Die Situation ist aber beherrschbar und dürfte es bleiben.
Haben wir im Ernstfall genügend Spitalbetten?
Wegen Corona wird es sicher keinen Ausnahmezustand mehr geben. Wenn es zu einem Bettenmangel kommt, dann nur, weil es nicht genügend Pflegepersonal hat. Die Betten selbst sind nicht das Problem.
Die Situation bleibt also beherrschbar. Braucht es dann überhaupt eine Impfung?
Wir empfehlen die Auffrischimpfung für gefährdete Personengruppen, bei welchen weiterhin ein grösseres Risiko für einen schweren Verlauf einer Corona-Erkrankung vorhanden ist. Stand während der Corona-Pandemie der kollektive Schutz im Fokus, steht nun der individuelle Schutz im Vordergrund. Jeder muss für sich selber entscheiden, ob er sich impfen lassen will.
Die Impfempfehlung gilt pauschal für alle Seniorinnen und Senioren ab 65. Dabei sind doch viele von ihnen noch voll im Saft.
Das mag ich ihnen auch gönnen! Statistisch gesehen ist das Immunsystem ab einem gewissen Alter aber anfälliger, Herzkreislauferkrankungen oder Atemwegserkrankungen nehmen deutlich zu. Wer sich gesund fühlt, kann auf eine Impfung verzichten. Er muss aber auch bereit sein, das Risiko zu tragen, das damit einhergeht.
Mittlerweile gibt es Untersuchungen, wonach der Booster nicht viel gebracht hat.
Bei einem funktionierenden Immunschutz gewinnt man mit dem Booster nicht gross. Bei den Risikogruppen ist man zwar auch mit einer Impfung nicht vor einer Erkrankung und einem milden Verlauf gefeit. Die Impfstoffe bringen aber einen zusätzlichen Schutz gegen schwere Verläufe. Wenn man gesundheitlich schon angeschlagen ist, ist das entscheidend!
Der Bund rechnet grob mit 1 bis 1,5 Millionen Impfungen. Sind die Kantone dafür gewappnet?
Ich rechne eher mit etwas weniger Impfungen. Diese werden nun in den normalen Strukturen – also Arztpraxen und Apotheken – durchgeführt und sind gut zu bewältigen. Die Corona-Impfung läuft nun ähnlich wie eine Grippe-Impfung ab. Einzig die Impfstoff-Logistik läuft noch über Bund und Kantone.
Sollte sich das Gesundheits- und Pflegepersonal zum Schutz der Patienten nicht auch impfen lassen?
Das muss der Arbeitgeber entscheiden. Zum Schutz der Patienten ist das Maskentragen heute wichtiger als die Impfung des Gesundheitspersonals, da die Impfung die Virusübertragung selbst nicht verhindert.
Mit dem Corona-Herbst macht sich auch der Kantönligeist bemerkbar: Die Stadt Zürich bietet wieder Gratistests an, der Kanton Basel-Stadt will Impfungen finanziell unterstützen. Droht nun wieder ein Flickenteppich?
Ein einheitliches Vorgehen wäre aus epidemiologischer Sicht sicher zu begrüssen. Wir befinden uns aber nicht mehr in einer Ausnahmesituation. Gewisse Unterschiede zwischen Kantonen gehören da einfach zum Föderalismus. Das ist verkraftbar. Die Unterschiede stören mich auch als obersten Kantonsarzt nicht.
Und wann wird der erste Kanton wieder eine Maskentragpflicht ausrufen?
Ich glaube nicht, dass es wieder eine generelle Maskenpflicht geben wird. Weder kantonal noch national. Wer sich aber schützen will, soll eine Maske tragen. Das begrüsse ich ausdrücklich. Und ich appelliere an die Nicht-Maskenträger, jenen gegenüber tolerant zu sein, die ihre Eigenverantwortung so wahrnehmen möchten.
Tragen Sie selber auch wieder Maske?
Ich habe immer eine Maske dabei, brauche sie aber selten. Ich behalte mir aber vor, sie jederzeit zu nutzen – nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen anderer Viren.