In Israel kehrt wieder Normalität ein
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Nach Impfen im Schnellzugtempo:In Israel kehrt wieder Normalität ein

Israel-Schweizer berichten über ihre neue Freiheit
Party, Kino, Fitness – alles dank Turbo-Impfung

Fitnesscenter, Kinos und Theater – in Israel kann die Bevölkerung die meisten Angebote wieder nutzen. Zumindest jene Menschen, die einen grünen Impfpass besitzen. Einer davon ist der Israel-Schweizer Gil Paz. Er berichtet von seiner neuen Freiheit.
Publiziert: 27.02.2021 um 14:42 Uhr
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Aktualisiert: 03.03.2021 um 14:22 Uhr
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Es war für die Israelis ein langer und harter Lockdown.
Foto: Keystone
Noa Dibbasey

Purim ist eines der wichtigsten Feste in der jüdischen Kultur. Die Leute verkleiden sich, wie in der Schweiz während der Fasnacht, um sich an die Errettung der Juden vor der Ermordung durch den persischen König zu erinnern. Ein guter Grund zum Feiern. Doch vor einem Jahr wollte während der Festtage nicht so richtig Stimmung aufkommen – die ersten Corona-Fälle plagten die Bevölkerung.

Politiker halten sich nicht mehr an Corona-Regeln

In diesem Jahr lassen sich die Israelis die Freude aber nicht vermiesen, schliesslich ist bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung geimpft. Darunter auch Gil Paz (46). Vor mehr als 20 Jahren ist er in den Nahoststaat ausgewandert – und könnte darüber momentan nicht glücklicher sein. «Ich finde es fantastisch, wie schnell wir impfen», erzählt er. Paz wohnt in der Nähe der Grossstadt Tel Aviv, wo schon fast alle Bewohner immunisiert wurden.

Obwohl es noch nicht erlaubt ist, sich in Gruppen mit mehr als 20 Personen zu treffen, haben sich die Leute in der Stadt am Meer während der letzten Tage zu Hunderten getroffen – um Purim zu feiern, berichtet der Israel-Schweizer. Dabei hat Premierminister Benjamin Netanyahu (71) eigens für die Festtage eine Sperrstunde zwischen 20.30 Uhr und 5 Uhr verfügt. «Aber nicht einmal Minister und Parlamentarier halten sich noch an die Corona-Massnahmen», erklärt Paz.

Keine schweren Verläufe unter Geimpften

Zu gross sei die Impfeuphorie. Schliesslich müssen sich die Geimpften kaum mehr Sorgen machen: Zwar sind die Fallzahlen im Land immer noch relativ hoch, unter den Geimpften haben sich bisher aber kaum schwere Corona-Verläufe ergeben. Anscheinend auch dann nicht, wenn sich jemand mit einer Mutation ansteckte.

So sind in Israel Läden, Schulen und Freizeitparks im Freien bereits wieder geöffnet. «Nach dem strikten Lockdown, in dem wir während mehreren Monaten ausharren mussten, ist das natürlich eine riesige Erleichterung», freut sich Gil Paz, der seine Informationen zu Fallzahlen und Lockerungen wie 165'000 andere Israelis über einen staatlichen Telegram-Chat erhält.

Über diesen erfuhr er auch, dass Fitnesscenter sowie Kinos und Theater wieder zugänglich sind – jedoch nur für Israelis mit einem negativen Corona-Test oder aber dem grünen Pass. Dieser wird ausgestellt, sobald jemand zweimal geimpft wurde oder nachweislich von einer Corona-Erkrankung genesen ist.

Maske als Überbleibsel der Pandemie

In gut einem Monat, am 5. April, so hat Netanyahu versprochen, soll gar alles wieder öffnen. Ob dann auch Hygiene-, Abstands- und Maskenpflicht fallen, ist aber noch unklar. «Bibi», wie Netanyahu von den Israelis genannt wird, möchte damit kurz vor den Präsidentschaftswahlen ein Zeichen setzen. Paz äussert aber Zweifel: «Es kann sein, dass Bibi aufgrund seiner Wahlkampagne damit ein wenig voreilig handelt.»

Denn: Obwohl sich Israel im Schnellzugtempo an die Spitze der Impf-Weltrangliste katapultiert hat, sind auch im Nahoststaat nicht alle scharf auf eine Spritze. «Maskenpflicht gilt deswegen noch überall», erklärt Paz. So sollen Ungeimpfte vor einer Infektion geschützt werden. «Vor allem streng Religiöse und Corona-Skeptiker lassen sich keine Impfung verpassen.» Auch er habe Bekannte, die der Impfaktion kritisch gegenüberstehen.

Skeptiker und die Tatsache, dass unter 16-Jährige bislang noch nicht geimpft werden dürfen, verhindern eine Herdenimmunität, die bei einem Anteil von mindestens 70 Prozent Immunen in der Bevölkerung entstünde. «Erreichen wir diese, haben wir die Pandemie überstanden», ist Gil Paz überzeugt.

Auch Schweiz und EU wollen den grünen Pass

Die EU will nach dem Vorbild Israels einen grünen Impfpass entwickeln. Für diesen hatten sich der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (34), aber auch das Tourismusland Griechenland starkgemacht. An einem Video-Gipfel einigte sich die EU im Grundsatz darauf.

Auch im Bundesrat war der grüne Pass schon ein Thema, wie BLICK publik machte. Der EU-Fahrplan für den digitalen Impfausweis würde mit jenem der Schweiz übereinstimmen: Er soll im Juni kommen. Mit ihm können auch bei uns Freiheiten wie in Israel möglich werden.

«Ziel wäre es, dass fälschungssichere QR-Codes als Beweis für eine Covid-19-Impfung gelten könnten», so die Auskunft verschiedener Bundesstellen an die zuständige Parlamentskommission. Die Idee ist, dass ein international anerkanntes Impfzertifikat entsteht, mit dem Schweizer auch reisen könnten. Pascal Tischhauser

Die EU will nach dem Vorbild Israels einen grünen Impfpass entwickeln. Für diesen hatten sich der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (34), aber auch das Tourismusland Griechenland starkgemacht. An einem Video-Gipfel einigte sich die EU im Grundsatz darauf.

Auch im Bundesrat war der grüne Pass schon ein Thema, wie BLICK publik machte. Der EU-Fahrplan für den digitalen Impfausweis würde mit jenem der Schweiz übereinstimmen: Er soll im Juni kommen. Mit ihm können auch bei uns Freiheiten wie in Israel möglich werden.

«Ziel wäre es, dass fälschungssichere QR-Codes als Beweis für eine Covid-19-Impfung gelten könnten», so die Auskunft verschiedener Bundesstellen an die zuständige Parlamentskommission. Die Idee ist, dass ein international anerkanntes Impfzertifikat entsteht, mit dem Schweizer auch reisen könnten. Pascal Tischhauser

Versuchskaninchen für Pfizer

So lasse Netanyahu nichts unversucht, um auch Impfkritiker oder schlicht und einfach Impffaule zum Piks zu bewegen. Der israelische Premierminister liess deshalb an beliebten Ausflugszielen und Stränden Impfwägelchen aufstellen, bei denen sich die Menschen ohne Voranmeldung impfen lassen können. «Man versucht, es den Menschen so einfach wie möglich zu machen.»

Dass Israel so viel Impfstoff zur Verfügung steht, während es in Europa nach wie vor daran mangelt, liegt an einem Sondervertrag zwischen Netanyahu und dem Impfstoffhersteller Pfizer/Biontech: Pfizer stellte Israel grosse Mengen zur Verfügung – im Gegenzug liefert das Land Impfdaten. Laut Paz müssen alle Geimpften ab und an einen Fragebogen zur Impfung ausfüllen.

«Wir waren also quasi die Versuchskaninchen für Pfizer», lacht Paz. Daran stören würden sich die wenigsten Israelis, meint er. Denn: Ohne Sondervertrag würden sie wahrscheinlich immer noch im Lockdown feststecken. So aber kehrt für Millionen von Israelis die Normalität zurück.


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