Ihr Job im Uno-Sicherheitsrat
Pascale Baeriswyl – die Schweizer Superdiplomatin

Vor fünf Jahren entmachtete Aussenminister Cassis Staatssekretärin Pascale Baeriswyl. In den letzten zwei Jahren war sie als Uno-Botschafterin in New York seine wichtigste Diplomatin.
Publiziert: 29.12.2024 um 17:52 Uhr
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Als Uno-Botschafterin in New York hat Pascale Baeriswyl Sitzungen im Uno-Sicherheitsrat geleitet.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Schweiz beendet zweijährige Amtszeit im Uno-Sicherheitsrat
  • Schweiz vermittelte erfolgreich als neutrales Land in internationalen Konflikten
  • 2024 wurde das tödlichste Jahr für humanitäre Helfer weltweit
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Rückblickend war es ein Kassandraruf, den Pascale Baeriswyl (56) 2019 von sich gab. «Die Zündschnüre sind sehr kurz geworden. Die Verantworungsträgerinnen und -träger, die mit dem Feuer spielen, sind zahlreich, und andere Akteurinnen und Akteure haben Lunte gerochen.» Der Satz fiel am 21. August 2019, als Aussenminister Ignazio Cassis (63) und Baeriswyl vor die Medien traten und verkündeten, dass Baeriswyl als EDA-Staatssekretärin aufhört und stattdessen Uno-Botschafterin in New York (USA) wird.

Baeriswyl dachte 2019 an die vielen Konflikte von Mali bis Myanmar, vom Jemen bis Afghanistan, von Kolumbien bis zum Kongo. Die Jahre danach wurden nicht besser. 2021 fiel Kabul an die Taliban, 2022 griff Putin die Ukraine an, 2023 die Hamas Israel – und entfachte einen neuen Flächenbrand im Nahen Osten. Als gewähltes Mitglied im Uno-Sicherheitsrat hatte die Schweiz in den letzten zwei Jahren mit allen Krisen auf der Welt direkt zu tun.

Seit der Schlacht von Solferino und den Erfahrungen des IKRK-Gründers Henry Dunant (1828–1910) hat es sich die Schweiz zur Aufgabe gemacht hat, Leben zu retten, Not zu lindern, zwischen Konfliktparteien zu vermitteln und für das humanitäre Völkerrecht zu kämpfen. Was im Uno-Sicherheitsrat entschieden wird, ist völkerrechtlich bindend. Im Idealfall können hier Kriege verhindert und Leben gerettet werden. Doch die Realität sieht oft anders aus. Die fünf Vetomächte USA, Frankreich, Grossbritannien, Russland und China blockieren sich gegenseitig – zu viele Eigeninteressen sind im Spiel: Russland in der Ukraine- und Syrien-Frage; die USA in der Israel-Frage; China, wenn es ums Südchinesische Meer geht. 

Als neutrales Land kann die Schweiz gut vermitteln

Die Schweizer Kompromisskultur ist in New York ein Fremdwort – doch zugleich lebt Diplomatie von strategischer Mehrdeutigkeit: vom Gelegenheit-beim-Schopfe-Packen, wenn sich ein Momentum ergibt; vom Bohren dicker Bretter und vom Gesprächskanäle-Offenhalten, auch wenn kurzfristig keine Erfolge da sind. Und vom «Die Hoffnung nie aufgeben», auch wenn die Hoffnung aussichtslos erscheint. Da sich die Vetomächte gegenseitig blockieren, schlägt im Sicherheitsrat oft die Stunde der «E10», also der zehn Länder, die von der Uno-Vollversammlung für zwei Jahre gewählt sind. Als neutrales Land kann die Schweiz besonders gut vermitteln.

Mittendrin in diesem Geschehen war Botschafterin Pascale Baeriswyl. Cassis hatte Baeriswyl als Staatssekretärin von seinem Bundesratsvorgänger Didier Burkhalter (64) geerbt. Dass Cassis und Baeriswyl in Bern nicht harmonierten, ist kein Geheimnis; Baeriswyls Nachfolger Roberto Balzaretti (59) und Livia Leu (63) blieben ebenfalls nicht lange. Erst mit Alexandre Fasel (63) scheint der Tessiner Cassis seinen Wunschstaatssekretär gefunden zu haben.

Entmachtung als Beförderung

Für Baeriswyl war die Entmachtung in Bern eine Beförderung. So konnte sie Schweizer Diplomatiegeschichte schreiben: Zum ersten Mal war die Schweiz im Uno-Sicherheitsrat vertreten; die nächste Gelegenheit dürfte sich erst in 20 Jahren wieder bieten. Und wer sich umhört, erfährt abgesehen vom üblichen Neid unter Diplomaten nur Gutes über die Arbeit der Schweiz im Uno-Sicherheitsrat.

Franz Perrez (57), oberster Völkerrechtler im EDA, sagte Anfang Dezember zu Blick: «Wir erleben im Sicherheitsrat, dass Formulierungen, die in der Genfer Konvention stehen, zum Teil keine Zustimmung mehr finden.» Die Teams in New York und Bern hätten nahezu rund um die Uhr gearbeitet, um Rückschritte im Völkerrecht zu verhindern. Bundespräsidentin Viola Amherd (62) machte den Multilateralismus zum Schwerpunkt ihres Präsidialjahres und betonte im Gespräch mit Blick, die Schweizer Uno-Mission in New York habe exzellente Arbeit geleistet. Die Bilder von Amherd mit US-Star Meryl Streep (75), die gemeinsam in New York die Menschenrechtslage in Afghanistan kritisierten, gingen um die Welt. Und Aussenminister Cassis nutzte Termine in New York, um mit dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow (74) direkt zu sprechen.

«Die Schweiz ist eine Meisterin im Schutz der Zivilbevölkerung»

Am Silvesterabend um 23.59 Uhr ist Schluss – dann räumt die Schweiz nach zwei Jahren ihren Sitz im Sicherheitsrat. «Die Schweiz ist eine Meisterin im Schutz der Zivilbevölkerung und des humanitären Völkerrechts», sagt die britische Uno-Botschafterin in New York, Barbara Woodward (63). «Die Schweiz hat für die Resolution 2730 gekämpft – das ist das Vermächtnis der Schweiz. Die Schweiz hat uns immer wieder daran erinnert, wie wichtig der Schutz von Zivilisten und humanitären Helfern ist.» Der französische Botschafter in New York, Nicolas de Rivière (61), sekundiert: «Was weniger bekannt, aber von grundlegender Bedeutung ist: Die Schweiz hat den Vorsitz im Sanktionsausschuss zu Nordkorea geführt, was eine grosse Herausforderung darstellt. Die Schweiz hat eine grossartige Arbeit geleistet. Wir werden sie vermissen.» 

Zur Tragik der Schweizer Premiere in der Herzkammer der Vereinten Nationen gehört, dass die Welt in den letzten zwei Jahren nicht friedlicher geworden ist und 2024 das tödlichste Jahr für humanitäre Helferinnen und Helfer wurde. Umgekehrt hat es die Schweiz geschafft, die humanitäre Hilfe für Syrien zu verlängern oder Polioimpfungen für Kinder in Gaza zu ermöglichen. Wie so oft bei den Vereinten Nationen sind es kleine Schritte, auf die die Schweiz stolz sein kann. «Für Guyana war die Schweiz eine Partnerin, die dafür sorgte, dass der Sicherheitsrat die drohende Hungersnot in einigen Krisenherden der Welt, darunter Gaza und Sudan, nicht aus den Augen verlor», sagt die Botschafterin von Guyana in New York, Carolyn Rodrigues (51).

Das Aussendepartement (EDA) teilt mit, es wolle erst im neuen Jahr Bilanz ziehen «und eine politische Einordnung zuhanden von Bundesrat und Parlament erstellen». Wenn Cassis und Baeriswyl dann in Bern erneut vor die Medien treten, dürften von der Schweizer Superdiplomatin neue Kassandrarufe zu hören sein.

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