Auf einen Blick
War es eine Zusage der Linken? Oder war es doch keine? Die Frage treibt derzeit die Bürgerlichen im Parlament um. Es geht um die historische Kehrtwende der Linken im Parlament in der Frage über die Abschaffung des Eigenmietwerts.
Es passierte im September, als eine Links-Mitte-Allianz der Variante eines fast vollständigen Systemwechsels in der Eigentumsbesteuerung zustimmte. Vollständig heisst: Dass sowohl der Eigenmietwert als auch alle steuerlichen Abzüge auf selbstbewohntes Wohneigentum – mit einigen wenigen Ausnahmen – nicht mehr erlaubt wären: weder Schuldzinsen noch Abzüge für den Unterhalt.
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Doch jetzt kommt Unsicherheit auf, ob es bloss ein historischer Irrtum war. Denn der Co-Präsident der SP, Cédric Wermuth, relativiert massiv. Zur «Handelszeitung» sagt er: «Unsere Zustimmung im September war keine generelle Zustimmung zum Systemwechsel. Sie war ein Ja zur weniger schlechten Variante im Sinne einer Eventualabstimmung zweier Varianten.» Er bezeichnet die vorliegende Variante als einen «steuerpolitischen Hüftschuss». Jetzt, kurz vor dem Ende «eine total neue Variante hervorzuzaubern», sei «nicht sehr seriös». Wermuth deklariert: «Unsere Fraktion hat über die Position zur grundsätzlichen Frage noch nicht entschieden.»
Die Vorlage kommt in der Wintersession zum Abschluss. Am 12. Dezember entscheidet der Ständerat, ob er dieser letzten, von Wermuth als «Hüftschuss» bezeichneten Variante zustimmt. Tut er dies, sind alle Differenzen zwischen den Räten ausgeräumt und es kommt zur Schlussabstimmung. Es wäre ein fulminantes Ende nach einem siebenjährigen Hin und Her im Parlament mit zig Varianten, die keine Chancen hatten, weil sie zu einseitig waren.
Es ist davon auszugehen, dass die Vorlage die Hürde im Stöckli meistert. Die Positionsbezüge der bürgerlichen Parteiführer deuten darauf hin, und im Ständerat haben sie eine Mehrheit. «Das oberste Ziel der SVP ist die Abschaffung des Eigenmietwerts. Wir unterstützen die Vorlage in der jüngsten Form», sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Die Abschaffung sei «ein sehr wichtiges Anliegen der Mitte-Partei. Es hat oberste Priorität», sagt Mitte-Fraktionschef Philipp Bregy. Jetzt biete sich «eine einmalige Möglichkeit dazu». Auch FDP-Präsident Thierry Burkart äussert sich in dieser Richtung, wenn auch reservierter.
Alle blicken auf Jacqueline Badran
Mit der Relativierung Wermuths scheint nun alles wieder offen. Wird die SP den Systemwechsel auch in einem absehbaren Referendum an der Urne unterstützen? Viermal in 25 Jahren schaffte sie es, die Abschaffung vor dem Volk scheitern zu lassen. Die Antwort hängt wesentlich von einer Person ab: von der SP-Vizepräsidentin und Wirtschaftspolitikerin Jacqueline Badran.
Badran sagte im September im Nationalrat: «Die Sozialdemokratie hat immer gesagt, sie würde der Abschaffung des Eigenmietwerts, also einem Systemwechsel bei der Besteuerung von selbstbewohntem Eigentum, zustimmen, wenn zum einen der Systemwechsel vollständig ist.»
Sie pries – zum Erstaunen vieler – die «Hüftschuss»-Vorlage als Lösung in einem langen Streit, wobei sie vier Punkte hervorhob: Selbstbewohntem Wohneigentum werde der Anreiz als Anlage entzogen; der Systemwechsel hätte «eine preisdämpfende Wirkung»; Immobilienkäufer hätten «keinen steuerlichen Anreiz mehr für eine hohe Verschuldung»; und der Staat würde verhindern, das Vermögende Steuern optimieren, indem sie Hypotheken aufnehmen, «um mit dem Geld an den Aktienmärkten Gewinne zu erzielen», wie Badran sagte.
Als sie im Rat gefragt wurde, ob sie die Vorlage in einer Volksabstimmung mittragen würde, sagte sie: Ja. Doch das sei ihre «persönliche Meinung», sie könne nicht für die SP-Fraktion und nicht für die Partei sprechen.
Dennoch behaften die Bürgerlichen sie jetzt darauf. «Frau Badran hat diese Abschaffung des Eigenmietwerts im Parlament unterstützt. Dies war ein wichtiges Zeichen», sagt Mitte-Fraktionschef Bregy. Gleich sagt es Aeschi. Doch jetzt rudert Cédric Wermuth zurück.
Steuerentlastungen für Wohnungsbesitzer
Der SP-Co-Präsident begründet das Bremsmanöver mit parteiinterner Kritik an der Badran-Position. Der Linksaussenflügel will nicht, dass mit einem Systemwechsel Vermögende Steuern sparen.
«Sollte das Zinsniveau anhalten, dürften laut Schätzungen des Bundes die Steuerausfälle der Kantone rund 1,2 Milliarden Franken und beim Bund weitere rund 0,4 Milliarden betragen», sagt Wermuth: «Solche Steuersenkungen kommen überwiegend gut Betuchten zugute, die Ausfälle werden nicht kompensiert.» Diese Zahlen seien nicht einmal sicher, weil die Kantone eine Schätzung der Steuerausfälle verweigerten.
So wird es in der Debatte nicht nur um den Systemwechsel, sondern auch um Steuerverluste gehen. Und hier haben beide Kammern vorgesorgt: Sie wollen den Kantonen mittels Verfassungsänderung die Kompetenz geben, Zweitwohnungen separat zu besteuern.
Die Rede ist von einer «Objektsteuer». Vor allem den Bergkantonen soll die Möglichkeit gegeben werden, den Steuerverlust durch die Reform – laut NZZ rund 120 Millionen Franken allein im Wallis und Graubünden – mit einer neuen Abgabe zu kompensieren.
Dennoch hat die Konferenz der Bergkantone bereits Protest eingelegt, mit der Begründung, dass eine solche Zweitwohnungssteuer «nicht umsetzbar» sei. Gespräche der «Handelszeitung» zeigen, dass sie vor allem die Umsetzung und Überwachung der Steuer befürchten.
Mitte-Fraktionschef Bregy, Vertreter eines Bergkantons, sieht diese Befürchtungen als vorgeschoben. «Bereits heute kennen Tourismusgemeinden gesetzliche Grundlagen zur Besteuerung von Zweitwohnungen, zum Beispiel mit dem Ziel der Schaffung warmer Betten.»
Auch Wermuth bestätigt, dass die Kantone die Verluste kompensieren könnten. Er bemängelt aber, dies sei «nur ein Bruchteil der Verluste». Auch hier fehlten Zahlen. «Das ist nicht das, was wir uns vorgestellt haben, als wir uns offen zeigten für den Systemwechsel», schliesst der SP-Co-Präsident.
Gegner auf der rechten Seite
Gegnerschaft organisiert sich nicht nur links, sondern auch auf der bürgerlichen Seite. Beim Hauseigentümerverband (HEV) zeigen sich gewisse Vertreter enttäuscht darüber, dass durch den Systemwechsel die Zins- und Unterhaltsabzüge fast ganz verloren gehen würden.
Das, weil die jetzige Variante nur noch in einem Sonderfall Abzüge zulassen würde, und zwar wenn Private neben ihrem eigenen Zuhause Mietwohnungen, etwa eine Einliegerwohnung, als Privatanlage vermieten. Dann wären Abzüge erlaubt, mit der sogenannten quotal-restriktiven Methode. Mitte-Fraktionschef Bregy bezeichnet die Methode denn auch als «sachgerecht».
Dem neuen HEV-Präsidenten und Zürcher SVP-Nationalrat Gregor Rutz geht diese Methode zwar nicht weit genug. Man werde im Ständerat noch für eine frühere Variante mit grösserem Steuerabzug kämpfen, sagte er zur «Handelszeitung». Aber insgesamt geniesse die Abschaffung des Eigenmietwerts oberste Priorität, Kompromisse seien nicht auszuschliessen.