Das Briten-Virus macht den Bildungseinrichtungen einen Strich durch die Rechnung: Im Tessin mussten sich rund 500 Schülerinnen und Schüler sowie 70 Lehrkräfte der Mittelschule Morbio Inferiore TI in Quarantäne begeben, in Bremgarten BE trifft es 120 Schulkinder von Primarschule und Kindergarten. Und in St. Moritz GR wurden sicherheitshalber alle Schulen geschlossen.
Just zu jenem Zeitpunkt, zu welchem SP-Gesundheitsminister Alain Berset (48) von den Kantonen wissen will, welche Massnahmen an den Schulen in Kraft sind und mit welchem Erfolg. Und wie sich die Kantone im Schulbereich für eine allfällige Verschlechterung der Lage wappnen – konkret: welche Massnahmen noch möglich wären.
EDK will schrittweise vorgehen
Die Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) unter Präsidentin Silvia Steiner (62) hat in einem Brief ihre Haltung geäussert. Der Inhalt ist vertraulich, doch dem Vernehmen nach halten die Kantone an der aktuellen Stossrichtung fest. Will heissen: Flächendeckende Schulschliessungen bis runter auf Primarschulstufe kommen nur im äussersten Notfall in Frage.
«Die generelle Haltung ist: Finger weg von den Schulen – es sei denn, die Situation ist derart dramatisch», sagt eine involvierte Person. Denn mit Schulschliessungen richte man immensen Schaden an – nicht nur bezüglich des verpassten Schulstoffs, sondern auch im psychischen und sozialen Bereich.
Sollten weitere Massnahmen notwendig sein, stellt man sich ein Kaskadensystem vor. Dieses reicht von einer Ausweitung der Maskenpflicht über Zugangsbeschränkungen für Dritte (Eltern usw.) bis hin zu Fernunterricht an Gymnasien oder allenfalls Berufsschulen. Von Halbklassen-Unterricht hingegen raten die Erziehungsdirektoren tendenziell ab, da der Aufwand viel zu gross sei und es auch epidemiologisch wenig Sinn mache.
Falls Fernunterricht, zuerst für ältere Schüler
Die Haltung einzelner Kantone bestätigt dieses Bild. «Den Präsenzunterricht einzuschränken, muss aus unserer Sicht die letzte Massnahme sein», sagt der Solothurner Bildungsdirektor Remo Ankli (47) zu BLICK. «Und wenn, dann nicht alle auf einmal, sondern zuerst die älteren Schüler und dann die jüngeren am Schluss – das ist das Schema.»
Im Fernunterricht sieht er ein grundsätzliches Problem. «Für schwächere Schüler ist Fernunterricht sehr schwierig, es müsste wohl ein Not-Präsenzunterricht gewährleistet bleiben.» Aus kantonaler Sicht sieht er derzeit aber keinen akuten Handlungsbedarf. «Wir hatten letzte Woche kaum Schulkinder in Quarantäne», so Ankli. «Im Moment ist es ein eher kleines Problem.»
Der FDP-Regierungsrat macht weitere Massnahmen auch davon abhängig, mit welcher Begründung diese ins Spiel gebracht werden. «Wenn man aus Präventionsgründen die Mobilität weiter einschränken will, um eine dritte Welle zu verhindern, braucht es eine schweizweite Lösung.»
Alles, nur kein Fernunterricht: Bund und Kantone schrecken zurück, auch für die Schulen einen Lockdown zu beschliessen. Nur als letztes Mittel wird der Unterricht von daheim aus in Betracht gezogen.
Dass man bei den Schulen so lange zuwartet, während in allen anderen Bereichen harte Massnahmen getroffen werden, sorgt vermehrt für Unverständnis – selbst bei den Schülerinnen und Schülern. Philipp Burkhardt (18) und Caspar Schucan (17) vom Gymnasium Kirchenfeld in Bern haben eine Petition lanciert, in der sie fordern, dass die Gymnasien zurück in den Fernunterricht gehen.
In der Petition verweisen sie darauf, dass es auch Fälle von Jugendlichen geben würde, die an heftigen Langzeitfolgen einer Corona-Ansteckung litten. «Ich mache mir aber nicht primär um mich selbst Sorgen», sagt Caspar. Es gehe auch um die Familienmitglieder und Lehrpersonen, die durch die Schulöffnung einer vermeidbaren Gefahr ausgesetzt würden.
Die beiden Jugendlichen mit dem Schwerpunktfächern Mathe und Physik haben gemeinsam ein Konzept ausgearbeitet, wie eine Alternative zur heutigen Situation aussehen könnte. Sie schlagen eine Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht vor. Schülerinnen und Schüler sollen freiwillig zur Schule kommen können, sofern sie einen bestimmten Notenschnitt haben und keiner Risikogruppe angehören. Für die Schüler daheim soll der Unterricht per Videokonferenz übertragen werden.
Caspar und Philipp haben die Petition dem Erziehungsdepartement des Kantons Bern geschickt. «Leider haben wir bisher noch keine Antwort bekommen», sagt Philipp. Die Schule hätte ihnen sogar verboten, die Petition im Schulhaus aufzuhängen.
Die beiden Berner Schüler sind nicht die einzigen, welche eine Änderung fordern. Auch Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Liestal im Kanton Baselland haben mit der Schulleitung das Gespräch gesucht und überlegten sich gar eine Demonstration, wie «20 Minuten» berichtete.
Support erhalten sie von Epidemiologe Marcel Tanner (68). In der «SonntagsZeitung» forderte er für Gymnasien und Berufsschulen die möglichst rasche Rückkehr zum Fernunterricht. «Alles andere wäre aus wissenschaftlicher Sicht falsch.» Denn im Gegensatz zu jüngeren Schülerinnen und Schülern seien Gymischüler beispielsweise im ÖV unterwegs oder gingen über Mittag in Läden. Diese Kontakte müssten nun unbedingt reduziert werden. Lea Hartmann
Alles, nur kein Fernunterricht: Bund und Kantone schrecken zurück, auch für die Schulen einen Lockdown zu beschliessen. Nur als letztes Mittel wird der Unterricht von daheim aus in Betracht gezogen.
Dass man bei den Schulen so lange zuwartet, während in allen anderen Bereichen harte Massnahmen getroffen werden, sorgt vermehrt für Unverständnis – selbst bei den Schülerinnen und Schülern. Philipp Burkhardt (18) und Caspar Schucan (17) vom Gymnasium Kirchenfeld in Bern haben eine Petition lanciert, in der sie fordern, dass die Gymnasien zurück in den Fernunterricht gehen.
In der Petition verweisen sie darauf, dass es auch Fälle von Jugendlichen geben würde, die an heftigen Langzeitfolgen einer Corona-Ansteckung litten. «Ich mache mir aber nicht primär um mich selbst Sorgen», sagt Caspar. Es gehe auch um die Familienmitglieder und Lehrpersonen, die durch die Schulöffnung einer vermeidbaren Gefahr ausgesetzt würden.
Die beiden Jugendlichen mit dem Schwerpunktfächern Mathe und Physik haben gemeinsam ein Konzept ausgearbeitet, wie eine Alternative zur heutigen Situation aussehen könnte. Sie schlagen eine Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht vor. Schülerinnen und Schüler sollen freiwillig zur Schule kommen können, sofern sie einen bestimmten Notenschnitt haben und keiner Risikogruppe angehören. Für die Schüler daheim soll der Unterricht per Videokonferenz übertragen werden.
Caspar und Philipp haben die Petition dem Erziehungsdepartement des Kantons Bern geschickt. «Leider haben wir bisher noch keine Antwort bekommen», sagt Philipp. Die Schule hätte ihnen sogar verboten, die Petition im Schulhaus aufzuhängen.
Die beiden Berner Schüler sind nicht die einzigen, welche eine Änderung fordern. Auch Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Liestal im Kanton Baselland haben mit der Schulleitung das Gespräch gesucht und überlegten sich gar eine Demonstration, wie «20 Minuten» berichtete.
Support erhalten sie von Epidemiologe Marcel Tanner (68). In der «SonntagsZeitung» forderte er für Gymnasien und Berufsschulen die möglichst rasche Rückkehr zum Fernunterricht. «Alles andere wäre aus wissenschaftlicher Sicht falsch.» Denn im Gegensatz zu jüngeren Schülerinnen und Schülern seien Gymischüler beispielsweise im ÖV unterwegs oder gingen über Mittag in Läden. Diese Kontakte müssten nun unbedingt reduziert werden. Lea Hartmann
Halbklassen-Unterricht «fast nicht zu stemmen»
Auch der Glarner Bildungsdirektor Benjamin Mühlemann (41) sieht weiterhin die Kantone im Lead. «Fernunterricht ist die Ultima Ratio», sagt er zu BLICK. «Ich bin überzeugt, dass bei uns die jetzigen Massnahmen ausreichen, um den Präsenzunterricht beibehalten zu können – auf allen Stufen.» Die Schutzkonzepte hätten sich bewährt. In seinem Kanton gilt bereits auf Sekundarstufe I Maskenpflicht.
Von Halbklassen-Unterricht hält auch er nicht viel. «Das ist organisatorisch fast nicht zu stemmen und auch für Lehrpersonen extrem anspruchsvoll», gibt der FDP-Regierungsrat zu bedenken.
Für ihn ist klar: Wo Ansteckungen festgestellt würden, müsse man punktuell vorgehen – mit der Schliessung einzelner Klassen oder Schulen. «Mit situativen Massnahmen können wir die Ansteckungsketten unterbrechen», so Mühlemann.
Wohl noch kein Bundesentscheid
Der Bundesrat wird sich die Argumente der Kantone genau anschauen. Dass er das Heft im Schulbereich aber bereits wieder in die Hand nimmt und den Kantonen neue Massnahmen diktiert, ist vorerst unwahrscheinlich.
Denn dafür müsste Berset konkrete Vorschläge zuerst in die Konsultation geben. Das war dem Vernehmen nach bisher nicht der Fall.