Der R-Wert hat in der Schweiz bereits für viel Streit gesorgt. Wenn diese Reproduktionszahl über 1 liegt, breitet sich Corona exponentiell aus, so die Faustregel – denn dann steckt jeder Infizierter mindestens eine weitere Person an, wenn nicht mehr. Liegt sie unter 1, gehen die Zahlen zurück. Doch der Haken daran ist, dass sich dieser Wert nur rückwirkend berechnen lässt und somit dem Infektionsgeschehen hinterher hinkt. Und wegen Nachmeldungen muss er regelmässig nach oben oder nach unten korrigiert werden.
Wichtig ist der R-Wert vor allem deshalb, weil er eine Einschätzung erlaubt, wie schnell sich das Virus ausbreitet. Mit der mutierten Variante aus Grossbritannien, die als einiges ansteckender gilt, hat diese Frage neues Gewicht bekommen. Das zeigt der Fall Wengen BE: Ein britischer Tourist hat hier fast 30 weitere Personen angesteckt, höchst wahrscheinlich mit dem Mutantenvirus. Und das hat indirekt auch zur Absage des Ski-Weltcups, der Lauberhornrennen, geführt. Die Sorge ist nun gross, dass sich wegen der ansteckenderen Variante das Virus wieder rasend schnell ausbreitet.
R-Wert kann mutiertes Virus nicht einschätzen
Doch bei der Einschätzung hilft da der Reproduktionswert vorerst wenig, die Gefahr einzuschätzen. «Wir berechnen den R-Wert als Durchschnitt über alle Fälle», erklärt Tanja Stadler von der ETH Zürich, die bei der Corona-Taskforce des Bundes die Expertengruppe Daten und Modellierung leitet. Aktuell sei die Schätzung des R-Wertes noch von der bekannten Version dominiert, da die mutierte Variante erst im einstelligen Prozentbereich liege. «Wenn die Häufigkeit der neue Variante im zweistelligen Prozentbereich liegt wird sich dies auch auf den R-Wert niederschlagen.»
Laut Stadler wird es durchaus möglich sein, den R-Wert gesondert für die mutierte Version zu berechnen. Allerdings erst, wenn mindestens zehn Prozent der Neuansteckungen darauf zurückgehen. Voraussetzung dafür ist auch, dass überhaupt genug Virusproben analysiert werden und die neue Variante so häufig nachgewiesen wird.
5-6 Prozent neue Varianten
Eine Einschätzung gibt es mit anderen Worten erst dann, wenn jeder zehnte untersuchte Fall auf das Mutanten-Virus zurückgeht. Doch das könnte beängstigend schnell der Fall sein. Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit schätzt gar, dass bereits heute 5-6 Prozent der Fälle den neuen Virusvarianten zugeordnet werden könnten. «Es dürften bereits zwei Verdopplungszyklen stattgefunden haben.»
Soll heissen: Der R-Wert könnte schon sehr bald mehr genauere Einschätzungen gehen. Um die neue Variante zu stoppen, dürfte es aber zu spät sein.