Von der Pressekonferenz zum Interviewtermin und danach zurück ins Bundesamt für Gesundheit (BAG): Die BAG-Vizedirektorin Nora Kronig (40) hat einen dicht gefüllten Terminplan. Als Leiterin der Abteilung Internationales beim BAG koordiniert Kronig seit Beginn der Corona-Pandemie die Schweizer Impfstoffbeschaffung.
BLICK: Frau Kronig, als Schwangere gehören Sie selbst zur Risikogruppe bei Corona. Wissen Sie schon, ob Sie sich impfen lassen können?
Nora Kronig: Nein, zurzeit ist die Impfung für Schwangere nicht empfohlen. Nicht weil man mit negativen Auswirkungen rechnet, sondern weil man noch zu wenig Erfahrung hat. Ich warte darauf, bis es eine entsprechende Empfehlung gibt und ich an der Reihe bin, dann lasse ich mich impfen.
Nicht nur Sie müssen warten. Die Schweiz, ja ganz Europa kommt beim Impfen nicht in die Gänge. Warum nicht?
Unser Ziel ist es, dass sich bis im Sommer alle impfen lassen können, die das wollen. Das ist ambitiös, aber wir haben so beschafft, dass das möglich ist. Vorbehalten der Zulassungen sind wir absolut auf Kurs.
Was heisst Sommer genau?
Bis Ende Juni sind alle in der Schweiz geimpft, die das möchten. Andere Länder brauchen hier länger.
Wann kann sich eine jüngere Person ohne Vorerkrankungen impfen lassen?
Das hängt davon ab, wie rasch weitere Impfstoffe zugelassen werden können. Und dann kommt es auch auf die Impfbereitschaft in der Bevölkerung an. Wenn diese bei den Risikopersonen sehr gross ist, dauert es länger, bis die anderen drankommen. Wir rechnen damit, dass wir im ersten Quartal noch keine grossen Mengen Impfstoff zur Verfügung haben, im zweiten dann schon. Wir sind hier im Plan. Wir gehen von 75'000 Impfungen pro Tag aus, die wir dereinst leisten können – was aber die grösste logistische Herausforderung für unser Gesundheitssystem überhaupt wird.
Das heisst: Jetzt bis Ende März werden die Risikogruppen und das Gesundheitspersonal geimpft, und ab April die breitere Bevölkerung?
Ja.
Wenn im Sommer bei uns und bei unseren Nachbarn ein Grossteil der Bevölkerung durchgeimpft ist, können wir dann wieder so leben wie früher?
Das hoffen wir, wissen es aber noch nicht. Das hängt davon ab, wie lange die Impfung schützt und ob sie nicht bloss Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf bietet, sondern auch die Übertragung verhindert. Ganz sicher wird unser Gesundheitssystem durch die Impfung aber stark entlastet.
Ist es nicht ein Wettrennen gegen die Zeit? Sollte man nicht möglichst schnell durchimpfen, um weiteren Mutationen zuvorzukommen?
Die Impfung ist ein grosser Hoffnungsträger. Man muss sich aber bewusst sein, dass es sechs Monate braucht, bis man die Durchimpfung erreicht. In dieser Zeit ist es extrem wichtig, sich weiterhin an die Grundregeln zu halten. Das Verhalten ist letztlich entscheidend, ob und wie man Mutationen in den Griff bekommt. Sonst unterwandert man die positiven Auswirkungen der Impfung. Es braucht jetzt Geduld.
Hat das BAG schon eine Vorstellung davon, ob wir uns künftig jedes Jahr impfen lassen müssen?
Nein.
Wir müssen also noch lange mit dem Virus leben?
Vielleicht nicht, nein. Das werden wir sehen. Man weiss zumindest, dass der Schutz der Impfung höher ist als derjenige bei der Grippeimpfung.
Noch ist der Impfstoff aber knapp. Hat die Schweiz zu wenig bestellt? Oder aufs falsche Pferd gesetzt?
Wir haben immer auf eine breite Auswahl gesetzt. Im Wesentlichen gibt es drei Impftechnologien. Unser Ziel war es, jeweils mindestens zwei Kandidaten von jeder Technologie zu haben. Bis Anfang Dezember hatten wir abgeschlossene Verträge mit den drei schnellsten Impfstoffherstellern, nämlich Biontech/Pfizer, Moderna und Astra Zeneca. Bei Moderna waren wir eines der ersten Länder überhaupt, die einen Vertrag unterzeichnet haben.
Wann kommt denn die Moderna-Zulassung?
Hoffentlich möglichst bald! Und wir sind zuversichtlich. Aber ich weiss schlicht nicht, wann die unabhängige Swissmedic den Entscheid fällt.
Wie sieht es mit der Zulassung von Astra Zeneca aus?
Da sind die notwendigen Daten noch nicht vorhanden. Ohne diese kann Swissmedic ihren Zulassungsentscheid nicht fällen.
Könnten neben den Verträgen mit den drei bekannten Herstellern noch weitere Verträge abgeschlossen werden?
Ja. Wir sind in der Abschlussphase mit weiteren Anbietern. Gleichzeitig schauen wir mit den Herstellern, mit denen wir bereits Verträge haben, ob sie schneller mehr liefern können. Die Volumen, die wir jetzt kommunizieren, sind die gesicherten, also das Minimum. Aus verhandlungstaktischen Gründen äussern wir uns da aber nicht weiter.
Es ist also möglich, dass bald mehr Dosen zur Verfügung stehen?
Genau. Kinder sind von der Impfung noch ausgeschlossen. Wir gehen von 8,5 Millionen Einwohnern aus, von denen wir also 1,5 Millionen Kinder abziehen. Schon heute können sich mit den bestellten 15,8 Millionen Impfdosen alle impfen lassen, die das wollen. Allenfalls gelingt es uns aber, rascher mehr Leute zu impfen. Wir beschleunigen den Zeitplan und erhöhen gleichzeitig die Auswahl.
Wie viele Leute müssen sich impfen lassen, um der Pandemie Einhalt zu gebieten?
Wir haben uns im März das Ziel von 60 Prozent gesetzt. Wir haben das mit den Monaten weiterentwickelt, weil wir die Zahl nicht limitieren wollten. Wie viele man erreichen wird, kann ich heute nicht sagen. Klar ist: je mehr, desto besser.
Nora Kronig Romero (40) führt die Arbeitsgruppe «Impfstoff Covid-19» beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), das die Impfstoffbeschaffung koordiniert. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und ausgebildete Diplomatin wurde 2017 zur BAG-Vizedirektorin und Leiterin der Abteilung Internationales ernannt.
Nora Kronig Romero (40) führt die Arbeitsgruppe «Impfstoff Covid-19» beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), das die Impfstoffbeschaffung koordiniert. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und ausgebildete Diplomatin wurde 2017 zur BAG-Vizedirektorin und Leiterin der Abteilung Internationales ernannt.
Zugelassen ist in der Schweiz erst der Impfstoff von Pfizer/Biontech. Israel hat davon grössere Mengen und impft viel schneller. Weil Israel mehr Geld investiert hat?
Israel ist weltweit das einzige Land, das in diesem Volumen vorgeht. Das ist erfreulich für Israel, aber für mich nicht ganz erklärbar.
Aber hätte die Schweiz nicht an mehr Dosen von Pfizer kommen können, wenn man mehr bezahlt hätte?
Wir äussern uns nicht zu den Preisen. Das ist Teil unserer Beschaffungstaktik. Und wir kommunizieren nur zu abgeschlossenen Verträgen. Aber letztlich hängt das nicht vom Geld ab. Ich versichere Ihnen: Wir haben in keinem Moment Zugeständnisse gemacht oder aus Budget-Überlegungen auf etwas verzichtet.
Vielleicht ist es für Israel einfacher, weil es weniger föderalistisch funktioniert als die Schweiz.
Das hat mit der Verteilung nichts zu tun. Die Organisation der Verimpfung stützt sich auf die Mengen, die wir bekommen. Und im Gleichschritt mit dem Mengenwachstum bauen wir die Impfstrukturen aus. Im Vergleich mit Nachbarstaaten mit ähnlicher Grösse und auch im Vergleich mit Grossbritannien stehen wir beim Timing gut da. Israel bleibt eine Ausnahme.