Grünen-Präsident Balthasar Glättli (51) hatte am Sonntag wenig Grund zum Feiern – trotz Geburtstag. Die Grünen mussten bei den Wahlen in Zürich und Baselland Federn lassen: Insgesamt fünf Sitze hat die Partei verloren. Was bedeutet die Schlappe im Hinblick auf die nationalen Wahlen im Herbst? Blick hat bei Lisa Mazzone (35), Genfer Ständerätin und Wahlkampfleiterin der Grünen, nachgefragt.
Politiker und Parteien haben die Angewohnheit, schlechte Ergebnisse schönzureden. Sie werden jetzt sicher sagen: Der Wahlsonntag verlief für die Grünen gar nicht so übel.
Lisa Mazzone: Ja, und das stimmt! Wir haben 2019 einen grossen Sprung gemacht. Was wir jetzt verloren haben, ist bedauerlich, aber nur ein kleiner Teil davon. Wir bleiben immer noch in der ersten Liga der Parteien. Grün zu wählen ist nicht einfach eine Mode, das hat dieser Sonntag gezeigt. Und mit Martin Neukom in Zürich und Isaac Reber in Baselland sind zwei unserer Regierungsräte glänzend wiedergewählt worden – das ist ein Zeichen von grossem Vertrauen und Anerkennung ihrer Arbeit.
Doch in Zürich haben die Grünen drei Sitze verloren, im Baselbiet zwei. Ist der grüne Zenit überschritten?
Angesichts der Klimakrise und ihrer Dringlichkeit bin ich überzeugt, dass dem nicht so ist. Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, ist jetzt der Schlüsselmoment für eine Trendwende im Klima- und Naturschutz. Die Wissenschaft ruft zum dringlichen Handeln auf. Wir müssen aus den fossilen Energien aussteigen und die Artenvielfalt erhalten.
Balthasar Glättli sagte am Sonntag, der grüne Erfolg der letzten Jahre sei das Problem gewesen. Haben sich die Grünen zu wenig angestrengt?
Die Mobilisierung stellt wirklich eine Herausforderung dar. Da hapert es noch. Wir müssen unsere Erfolge besser herausstreichen. Es ist beispielsweise wenigen bewusst, dass die Förderung der Erneuerbaren dank uns Grünen auch nach 2022 weitergeführt wird! Den Menschen muss klar werden: Das Haus brennt. Der Schweiz fehlt Leadership, um ambitionierte Lösungen für die Ökowende durchzubringen.
Bei den nationalen Wahlen 2019 hatte die Klimajugend zum grünen Erfolg beigetragen. Inzwischen scheinen sich die Aktivisten viele Sympathien in der Bevölkerung verspielt zu haben – Stichwort Klima-Kleber. Schaden diese den Grünen?
Nein, weil wir unterschiedliche Organisationen sind. Die Mittel, die sie wählen, sind nicht unsere. Wir kämpfen jeden Tag im Parlament für eine bessere Klimapolitik mit konkreten Fortschritten, wie zum Beispiel die Finanzierung der erneuerbaren Energien. Der Beweis: Viele Menschen, die 2019 auf die Strasse gegangen sind, haben sich anschliessend politisiert. Wir gewannen seither 3000 Neumitglieder.
Die Ausgangslage für die Grünen ist derzeit schwierig. Krieg, Energiekrise, Inflation: Es ist die Zeit der konservativen Parteien.
Vor allem ist es eine Zeit, in der viele Entscheide nicht im Parlament, sondern von der Exekutive getroffen werden. Bedauerlich ist natürlich, dass wir noch immer nicht in der Landesregierung vertreten sind. Dass unsere Regierungsräte mit sehr gutem Ergebnis wiedergewählt wurden, ist ein Zeichen dafür, dass wir Regierungsverantwortung übernehmen können. Die Lösung der Klimakrise auf die lange Bank zu schieben, heisst, das Problem nur noch grösser werden zu lassen.
Sollte sich der Trend in Zürich und Baselland auf nationaler Ebene bestätigen, können die Grünen die Bundesrats-Ambitionen vorerst begraben.
Überhaupt nicht! In beiden Kantonen sind wir trotz der Verluste weiterhin zweistellig. Seit 2019 haben wir zudem in den Kantonen 46 Sitze gewonnen. Insofern besteht unser Anspruch auf einen Bundesratssitz noch immer. Ich erinnere gern daran, dass die CVP 2019 mit 11,4 Prozent Wähleranteil diskussionslos einen Bundesratssitz zugesprochen bekam. Die Zauberformel ist definitiv nicht mehr zeitgemäss. Um der grössten Herausforderung unserer Zeit zu begegnen, braucht man die Grünen im Bundesrat.