«Kiew zu erobern, ist nicht Putins Absicht»
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GLP-Nationalrat Bäumle:«Kiew zu erobern, ist nicht Putins Absicht»

GLP-Nationalrat Martin Bäumle zur Ukraine-Krise
«Ich bin nervöser und unruhiger als meine Frau»

GLP-Nationalrat Martin Bäumle hat ein besonderes Verhältnis zur Ukraine – seine Frau Yuliya stammt von dort. Um so aufmerksamer beobachtet er die aktuelle Entwicklung. Und er ortet Fehler auf beiden Seiten.
Publiziert: 22.02.2022 um 11:52 Uhr
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Aktualisiert: 22.02.2022 um 13:33 Uhr
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GLP-Nationalrat Martin Bäumle ortet Versäumnisse auf beiden Seiten.
Foto: Keystone
Ruedi Studer

Die Krise im Osten der Ukraine hält die Welt in Atem. Mit der Anerkennung. der beiden Seperatistengebiete durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin (69) spitzt sich die Lage weiter zu. Die Entwicklung macht GLP-Nationalrat Martin Bäumle (57, ZH) Sorgen. Er ist Co-Präsident der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Ukraine. Zudem stammt seine Frau Yuliya aus ostukrainischen Region Dnipropetrovsk.

Herr Bäumle, wie erleben Sie und Ihre Frau die aktuelle Situation?
Martin Bäumle: Die letzten Tage waren nicht einfach. Meine Frau hat Verwandte im Osten der Ukraine. Allerdings bin ich nervöser und unruhiger als sie. Ich habe immer noch das Gefühl, dass sich eine Verhandlungslösung finden liesse. Vielleicht ist sie da fatalistischer als ich.

Ist eine Flucht für die Verwandtschaft ein Thema?
Nein. Flucht ist auch kein Ausweg und die Bedrohungslage ist immer noch nicht akut. Es herrscht sicher eine gewisse Unruhe, die viele eher verdrängen. Aber es gibt ja auch kaum eine Alternative, als abzuwarten, was da kommt. Ich würde jedenfalls immer noch nach Kiew oder Dnipropetrovsk, wo meine Frau herkommt, reisen, wenn ich damit etwas bewirken könnte. Viele Ukrainer haben übrigens keinen Reise-Pass. Das Land verlassen derzeit offenbar eher betuchtere Leute – wohl auch um ihr Geld zu retten.

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Was sagen Sie zu Russlands Vorgehen?
Putin hat einmal mehr gehandelt statt verhandelt. Das ist sehr falsch und nicht akzeptabel. Es ist eine klare Verletzung des Minsker Abkommens und des Völkerrechts. Aber diese Zuspitzung hätte sich verhindern lassen, wenn das Minsker Abkommen umgesetzt worden wäre. Dieses sah für die Separatistengebiete eine gewisse Selbstverwaltung und regionale Wahlen vor und dafür wieder die Kontrolle der Aussengrenzen. Nur ist da sieben Jahre lang fast nichts passiert! Niemand hat echte Schritte gemacht, das Abkommen umzusetzen – auch die Ukraine nicht. Stattdessen gab es ständig Scharmützel entlang der Konfliktlinie mit Verletzten und Toten.

Droht nun ein neuer Krieg in Europa?
Ich will die Bedrohungslage nicht dramatisieren. Es ist noch kein Krieg ausgebrochen und ich glaube auch nicht, dass Putin die Ukraine erobern will. Aber gerade die USA und Grossbritannien reden einen Krieg schon fast herbei. US-Präsident Joe Biden und Premier Boris Johnson müssen mit dem Säbelrasseln auch aufhören und primär den Dialog suchen. Die Ostukraine ist ein Pulverfass, an welchem nicht weiter gezündelt werden darf.

Wenn Russland in die Separatistengebiete einmarschiert, muss die Ukraine doch reagieren.
Die ukrainische Armee wurde in den letzten Jahren zwar stark aufgerüstet, ist der russischen Armee aber unterlegen. Ein Gegenangriff der Ukraine wäre militärischer und politischer Selbstmord. Wenn ein Einmarsch erfolgt, wird Putin dies mit dem Schutz der russischen Landsleute begründen. Das müsste die Ukraine im Moment einfach hinnehmen, obwohl dies völkerrechtlich nicht zu akzeptieren ist.

Dann bleiben nur wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland?
Ich weiss nicht, was die USA und die Nato nun androhen wollen. Wenn man wirksame Sanktionen ergreifen will, müsste man auf jeden Kubikmeter Gas und Erdöl aus Russland verzichten – mit massiven Folgen für die Energieversorgung in Europa. Ich sehe eher Verhandlungen für die Lösung des Konfliktes als mehr Sanktionen, bei denen der Schaden für Europa grösser ist als der Nutzen.

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Was ist noch möglich?
Mit der Anerkennung der Separatistengebiete wurde die Eskalationsstufe leider nochmals erhöht. Die grosse Frage ist: Wie findet sich eine Lösung, ohne dass beide Seiten das Gesicht verlieren?

Ihre Antwort?
Wenn ich das wüsste. Das Minsker Abkommen muss umgesetzt werden und es braucht auch klare Sicherheitsgarantien für die Ukraine und Russland. Dafür braucht es weiterhin einen Dialog mit Putin. Klar ist nämlich: Es ist zwar schwierig, mit Putin eine Lösung zu finden. Ohne ihn ist es aber unmöglich.

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