Die Nerven liegen blank, nicht nur bei den Krankenversicherten. Auch die Politik bereitet sich nervös auf den Prämienschock vor, den Gesundheitsminister Alain Berset (51) Mitte September verkünden wird.
Überall spriessen Ideen, wie man die Kosten im Gesundheitsweisen in den Griff bekommt – wozu der laufende Wahlkampf sicher auch beiträgt. Am vergangenen Wochenende preschte die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (46) mit dem Vorschlag vor, die obligatorische Krankenversicherung abzuschaffen. Eine andere Idee bringt im Blick-Interview nun Daniel Lampart (55), Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SBG), aufs Tapet.
Blick: Herr Lampart, der Lohnherbst steht an. Worauf bereiten Sie sich vor?
Daniel Lampart: Es ist klar: Mit der hohen Teuerung, dem Prämienschock und den Mieten ist es für die Menschen im Land finanziell sehr viel enger geworden. Gleichzeitig haben wir drei Jahre hinter uns, in denen die Arbeitgeber bei den Löhnen nicht einmal den Teuerungsausgleich gegeben haben. Sie machen Gewinne und lassen gleichzeitig zu, dass sich die finanzielle Lage ihrer Arbeitnehmer verschlechtert. Dieser Umgang mit den Mitarbeitern ist beschämend. Die Leute arbeiten, sie haben das Geld verdient – jetzt muss es fünf Prozent mehr Lohn geben. Für viele Leute reicht nicht einmal das, um die Teuerung auszugleichen.
Was ist Ihre Strategie, um das zu erreichen?
Die Verhandlungen finden in den Branchen statt, aber wir haben jetzt viele Versammlungen mit den Handwerkern, den Verkäuferinnen und jenen, die im Büro arbeiten. Am Mittwoch etwa haben wir mit dem Bankenpersonal gesprochen. Die Banken machen wieder mehr Gewinn mit den Zinsen und haben viel Geld verdient. Davon müssen die Angestellten etwas haben. Einige Leute meinen, das seien alles kleine Ermottis. Aber das ist überhaupt nicht so. Viele sind normale Leute, die in der Stadt Zürich mit 80'000 Franken im Jahr leben und Miete und Krankenkassenprämien zahlen müssen.
Stichwort Krankenkassen: Wird das eines Ihrer grossen Argumente sein? Immerhin wird ein weiterer Prämienschock erwartet.
Die Prämien sind heute eine echte Belastung. Schon heute zahlt ein Paar mit Kindern gut und gern 1000 Franken im Monat. Ich kenne Leute, die haben den Horror, wenn sie die monatliche Krankenkassen-Rechnung aus dem Briefkasten nehmen müssen.
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Also unterstützen Sie die angekündigte Initiative der SP für eine Einheitskrankenkasse?
Wir brauchen sofortige Entlastung. Das heisst: Die Kantone müssen die Prämienverbilligungen erhöhen. Heute schöpfen viele nicht einmal das Budget dafür aus. Und ausserdem sollen sich die Arbeitgeber an den Gesundheitskosten beteiligen.
Wie bitte? Nachdem die Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli die Abschaffung der obligatorischen Krankenversicherung forderte, wollen Sie jetzt eine Arbeitgeberbeteiligung? Bei allem Verständnis: Darf jetzt jeder mit irgendwelchen illusorischen Ideen kommen?
Erstens: Ich war erschüttert, dass die Gesundheitsdirektorin des grössten Kantons einen derartigen Rundumschlag macht und nichts, aber auch wirklich keine Lösung vorschlägt. Frau Rickli ist wie ein Arzt, der mich zu Exit schickt, statt meine Krankheit zu behandeln. Darauf läuft es hinaus.
Daniel Lampart, 1968 geboren, ist seit 2007 Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Seit 2011 führt er zudem das operative Geschäft des Verbands als Sekretariatsleiter. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirtschafter, Philosoph und Historiker bei der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich.
Daniel Lampart, 1968 geboren, ist seit 2007 Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Seit 2011 führt er zudem das operative Geschäft des Verbands als Sekretariatsleiter. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirtschafter, Philosoph und Historiker bei der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich.
Und zweitens?
Unser Vorschlag nützt sofort und ist begründet. Die Arbeitgeber verursachen Gesundheitskosten bei den Angestellten: Abnutzungen wie Rückenleiden und kaputte Knie, stressbedingte Magenprobleme und Schlafstörungen. Diese Kosten zahlt die Krankenversicherung, obwohl sie vom Job kommen. Die verursacht die Firma, aber sie zahlt nichts dafür. Darum fordern wir in den Lohnverhandlungen, dass sich die Arbeitgeber an der Krankenkassenprämie beteiligen.
Sie argumentieren mit dem Verursacherprinzip. Ist das nicht gefährlich? Dann kann man auch fordern, dass Nestlé sich beteiligen soll, weil es zu viel Zucker in den Lebensmitteln hat. Oder Tabakkonzerne.
(Lacht.) Unsere Mitglieder wären sicher extrem froh über jede Entlastung und wenn Nestlé mitmacht, nehmen wir das noch so gern! Nestlé zahlt übrigens schon heute etwas an die Krankenkassenprämien der Arbeitnehmenden. Auch in der Uhrenbranche erhält jeder Arbeitnehmer einen monatlichen Prämienzustupf von 175 Franken. Das sollten mehr Firmen machen. Wir müssen das brutale Kaufkraftproblem lösen, die immer weiter ansteigende Belastung der Leute. Geld ist da und das muss jetzt zu den Leuten. In Form von höheren Löhnen und Beteiligung an den Krankenkassenprämien.