Geschäfte mit Aserbaidschan
Armenien kritisiert die Schweiz

Aserbaidschan geht brutal gegen Armenier vor. Trotzdem macht Baku gute Geschäfte mit der Schweiz. Das empört Jerewan ebenso wie Cassis’ Tessiner Parteifreund Alex Farinelli.
Publiziert: 08.10.2023 um 11:03 Uhr
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Aktualisiert: 08.10.2023 um 11:06 Uhr
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Socar ist ein Staatsbetrieb aus Aserbaidschan.
Foto: PIUS KOLLER
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Erst das Fressen, dann die Moral? Nicht bei der Migros. Offiziell ist das Unternehmen noch heute stolz auf die 15 Thesen der Gründer Gottlieb und Adele Duttweiler. These Nr. 10 lautet: «Das Allgemeininteresse muss höher gestellt werden als das Migros-Genossenschafts-Interesse.» Aufgrund der ethnischen Säuberungen in Bergkarabach, bei der Aserbaidschan brutal gegen Armenier vorgeht, klaffen Anspruch und Wirklichkeit bei der Migros weit auseinander. Denn ein enger Geschäftspartner des aserbaidschanischen Staatskonzerns Socar ist die 100-prozentige Migros-Tochter Migrolino AG. Sie hat mit Socar einen Franchise-Vertrag abgeschlossen. An Socar-Tankstellen gibt es Migrolino-Verkaufsshops.

In weniger als einer Woche flohen über 100'000 Menschen von Bergkarabach nach Armenien. Trotzdem will die Migros am Engagement mit Socar festhalten. Zwar bedauere die Migros die aktuellen Entwicklungen in Bergkarabach. Doch massgebend sei, «dass weder das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco noch der Bundesrat gegenwärtig Sanktionen oder Zwangsmassnahmen gegen Aserbaidschan beschlossen haben».

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Jerewan ist empört

Die guten Geschäfte zwischen Aserbaidschan und der Schweiz sorgen in der armenischen Hauptstadt Jerewan für Empörung: «Die Verantwortung für Frieden und Stabilität liegt auch bei den Wirtschaftsunternehmen und Konzernen», sagt eine Sprecherin des armenischen Aussenministeriums zu SonntagsBlick. «Wir haben klare und unwiderlegbare Beweise für eine Politik der ethnischen Säuberung und massenhafte Gräueltaten. Die Achtung der Menschenrechte sollte Vorrang vor allen geschäftlichen Überlegungen haben.»

Auch Schweizer Parlamentarier kritisieren die engen Verflechtungen zwischen Baku und Bern. «Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler würde sich im Grabe umdrehen», sagt Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (47). Er ist überzeugt: Die Migros verrät mit dem Socar-Geschäft die eigenen Ideale. Zusammen mit Grünen-Politikerin Lisa Mazzone (35) wurde Müller-Altermatt bei Aussenminister Ignazio Cassis (62) persönlich vorstellig – am 27. September. Das Gespräch lief nicht in Minne ab. In einem Brief an Cassis, der SonntagsBlick vorliegt, legten Mazzone und Müller-Altermatt nach. Das Schreiben hat auch das linke Schlachtross Carlo Sommaruga (64) unterschrieben – sowie Cassis’ Tessiner FDP-Kollege Alex Farinelli (41).

Bundesräte halten sich bedeckt

«Die Schweiz muss aus ihrer Trägheit erwachen und den militärischen Angriff Aserbaidschans sowie die ethnische Säuberung verurteilen», schreiben die Parlamentarier. «Die Schweiz muss die Finanzierung des militärischen Angriffs und der ethnischen Säuberung aus der Schweiz heraus stoppen.»

Die Forderungen prallen bei Ignazio Cassis ab. Das Aussendepartement teilt mit, 1,5 Millionen Franken zur Unterstützung der humanitären Hilfe vor Ort bereitzustellen.

Das Energie-Minister Albert Rösti (56) unterstellte Bundesamt für Energie (BFE) wollte nicht verraten, wie wichtig Aserbaidschan für den Schweizer Energiemarkt ist. Dabei ist einer BFE-Publikation zu entnehmen: Das 2022 in der Schweiz verarbeitete Rohöl stammt zu 5,8 Prozent aus Aserbaidschan. Damit ist der Marktanteil von Aserbaidschan in der Schweiz deutlich höher als in europäischen Raffinerien – hier hat Aserbaidschan lediglich einen Anteil von 1.6 Prozent. Hinzu kommt Aserbaidschans lukratives Gas-Geschäft. Seit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine und dem Ende der russischen Nord-Stream-Lieferungen macht sich auch das für Baku bestens bezahlt.

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