Schon kommende Woche sollen Quarantäne und Homeoffice-Pflicht fallen. Das gab Bundesrat Alain Berset am Freitag auf einem Kantonsreisli in den Aargau bekannt. Der Gesundheitsminister stellte auch gleich die Aufhebung der Zertifikatspflicht zur Diskussion und versprach «Tage der Freude». Bersets Ankündigungen seien sehr optimistisch, sagt Lukas Engelberger, Basler Regierungsrat und Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz, im Gespräch mit SonntagsBlick.
Herr Engelberger, der Bundesrat hat am Freitag die Aufhebung der Quarantäne- und Homeoffice-Pflicht angekündigt. Waren Sie überrascht?
Lukas Engelberger: Es passt zu den früheren Verlautbarungen. Der Bundesrat hat Lockerungen ja bereits andiskutiert. In der Tonalität sind die Ankündigungen allerdings sehr optimistisch. Damit weckt der Bundesrat Erwartungen.
Alain Berset hat eine weitreichende Entscheidung vorweggenommen, ohne die Kantone zu konsultieren. Fühlen Sie sich nicht überrumpelt?
Der Bundesrat hat Lockerungen gegenüber den Kantonen bereits Anfang Januar zur Diskussion gestellt. Wenn sich die Situation nicht verschlechtert, habe ich Verständnis, dass er jetzt betreffend Quarantäne und Homeoffice nicht erneut konsultiert. Anders sieht es bei grösseren Schritten wie der Aufhebung von 2G und der Zertifikatspflicht im Inland aus. Sie haben weitreichende Auswirkungen auf den Vollzug in den Kantonen. Solche Massnahmen dürfen nicht ohne Vernehmlassung beschlossen werden.
In Ländern wie England und Dänemark fällt nun auch die Maskenpflicht. Sollte die Schweiz nachziehen?
Das sehe ich aktuell nicht so. Die Maskenpflicht ist unbeliebt, aber eigentlich ist sie ein relativ milder Eingriff in unsere Freiheiten.
Spanien behandelt Covid ab sofort wie eine normale Grippe. Die dänische Premierministerin Mette Frederiksen sagte: «Hallo zum Leben, das wir vor Corona kannten.» Ist die Pandemie vorbei?
Die Pandemie endet nicht wie ein Krieg mit einem Waffenstillstand um zwölf Uhr mittags. Sie ebbt ab. In den kommenden Monaten ist ein Leben mit einem Post-Covid-Gefühl gut möglich. Denn die Omikron-Welle wird abflachen und die Temperaturen steigen. Doch dieses Gefühl muss sich im Herbst beweisen, wenn es kalt wird und der Impfschutz möglicherweise erneuert werden muss.
Lukas Engelberger (45) ist seit 2014 Regierungsrat von Basel-Stadt und Vorsteher des Gesundheitsdepartements. Der CVP-Politiker arbeitete früher als Rechtskonsulent bei Hoffmann-La Roche. Der Vater dreier Kinder ist seit 1. Juni 2020 Präsident der Schweizerischen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK).
Lukas Engelberger (45) ist seit 2014 Regierungsrat von Basel-Stadt und Vorsteher des Gesundheitsdepartements. Der CVP-Politiker arbeitete früher als Rechtskonsulent bei Hoffmann-La Roche. Der Vater dreier Kinder ist seit 1. Juni 2020 Präsident der Schweizerischen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK).
Das heisst, es ist noch nicht vorbei.
Neue Mutationen können die Lage auch wieder verschlechtern. Deshalb ist es gefährlich, die Pandemie voreilig für beendet zu erklären. England und Dänemark machen das ja schon zum zweiten Mal. Vielleicht können wir im Winter zurückschauen und sagen: Im Frühling war die Pandemie vorbei. Aber jetzt wissen wir das nicht.
Der Gewerbeverband forderte bereits einen «Freiheitstag», an dem alle Massnahmen fallen. Alain Berset kündigt «Tage der Freude» an. Das Signal ist klar: Ab sofort Party ohne Ende!
Ich habe nicht den Eindruck, dass dieses Gefühl im Alltag dominiert. Viele Menschen empfinden die Situation nach wie vor als belastend und bleiben vorsichtig. Es ist wichtig, jetzt nicht einfach nachzulassen, denn es ist noch nicht vorbei.
Die wissenschaftliche Taskforce des Bundes hat noch am Dienstag vor Lockerungen gewarnt. Ist das jetzt egal?
Mir ist das überhaupt nicht egal. Ich schätze die Arbeit der Taskforce sehr. Sie entwirft jeweils verschiedene Szenarien. Und zum Glück treffen nicht immer die negativsten davon ein. Aber deshalb die Taskforce zu kritisieren oder gar ihre Absetzung zu fordern, ist unfair.
Die Lage ist unübersichtlich. Die Fallzahlen sind auf Rekordhöhe, aber die Intensivstationen sind nicht überlastet. Die Hospitalisierungen hingegen nehmen laufend zu.
Mit Blick auf die Spitäler ist tatsächlich weiterhin Vorsicht geboten. Wir sind jetzt nicht einfach aus dem Schneider. Bei uns in Basel-Stadt sind die Intensivstationen zwar stabil. Doch die Spitaleintritte haben in der letzten Woche um fast ein Drittel zugenommen. Es ist also ein uneinheitliches Bild. Wenn die Welle nicht abflacht und die Hospitalisationen weiter steigen, laufen wir in neue Risiken.
Die Contact Tracer haben aufgegeben, Schul- und Betriebstests wurden eingestellt. Das BAG geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Mit anderen Worten: Wir haben keine Ahnung, wie es wirklich aussieht …
So weit würde ich nicht gehen. Auch hier ist das Bild uneinheitlich. In Basel-Stadt erhalten wir die Massentests aufrecht, auch an den Schulen. Deshalb sehen wir ziemlich genau, wie sich die Situation entwickelt. In Kantonen, in denen das nicht gemacht wird, sieht man es naturgemäss weniger genau.
Jetzt lockern wir mit Verweis auf 90 Prozent Immunität in der Bevölkerung. Hand aufs Herz: Diese Durchseuchung war seit Herbst beschlossene Sache. Auch die Kantone wussten es.
Das stimmt nicht. Es wurde keine Durchseuchung beschlossen. Denn das wäre eine Strategie, die bewusst Menschen erkranken lässt, obwohl es nicht nötig wäre. Was die Schweiz vollzieht, ist eine kontrollierte Immunisierung. Die Menschen können und sollen sich impfen lassen. Eine Ansteckung ist zwar auch dann möglich, aber die Impfung schützt gut vor einer schweren Erkrankung.
Dann sind grossflächige Lockerungen der nächste logische Schritt?
Die Massnahmen verhindern einen Kollaps der Spitäler. Und neu kommt hinzu, dass sie auch systemrelevante Betriebe in Bereichen wie Versorgung, Infrastruktur, Nahrung oder Elektrizität schützen sollen. Deshalb müssen wir mit den grossen Lockerungsschritten zuwarten, bis der Höhepunkt der Omikron-Welle erreicht ist.
Kommt hinzu, dass gerade einmal fünf Prozent der Kinder geimpft sind. Blenden wir das einfach aus?
Die Kinderimpfungen rollen erst an. Und viele Kinder haben wohl bereits eine asymptomatische Infektion hinter sich. Natürlich gibt es hier eine Ungewissheit, aber die sollte unsere weiteren Schritte nicht hemmen.
Und was ist mit Long Covid? Das scheint der Politik völlig egal zu sein.
Das trifft nicht zu. Aber eine konsequente Verhinderung von Long Covid hiesse starke Massnahmen für eine sehr lange Zeit. Das ist einfach nicht realistisch. Mit gewissen Unsicherheiten müssen wir leben.