Die Schlagzeilen wären der Jungen SVP Schweiz (JSVP) sicher gewesen. Noch vor kurzem hatte die impf- und massnahmen-skeptische Jungpartei den eigenen Regierenden den Vorwurf der «Corona-Diktatur» an den Kopf geworfen.
Nun plötzlich wollte sich die JSVP noch drängenderen Problemen zuwenden. Die vermeintliche Diktatur Schweiz sollte sich ihrer humanitären Tradition erinnern und jenen helfen, denen es in der Pandemie noch schlimmer ergehe.
«Mit Entsetzen» nämlich nahm die JSVP zur Kenntnis, «dass das Parlament unseres Nachbarlandes Österreich eine Impfpflicht für die gesamte Bevölkerung beschlossen hat». Sie tritt am 4. Februar in Kraft. Das Entsetzen war derart gross, dass die JSVP gar ihre sonst so restriktive Asylpolitik über Bord werfen wollte.
Doch lieber PUK als Asyl
So liebäugelte die Parteispitze mit einer überraschenden Forderung: Alle Österreicher, «die unter den dortigen menschenverachtenden Zwangsmassnahmen leiden», sollen in der Schweiz Asyl erhalten! Das geht aus dem Entwurf einer Mitteilung hervor, der Blick vorliegt. Sogar Kampagnen-Sujets waren schon entworfen.
Veröffentlicht wurde das Papier aber nicht – denn die Idee ist im letzten Moment noch gestoppt worden. Dem Vernehmen nach konnten sich die Kantonalsektionen damit nicht anfreunden.
«Wir sind zum Schluss gekommen, dass wir unsere Prioritäten nicht bei unseren Nachbarn setzen sollten», erklärt JSVP-Präsident David Trachsel (27). «Wir wollen lieber unserer eigenen Regierung auf die Finger schauen.» Neu tendiert die Jungpartei nämlich zur Forderung nach einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK). Diese solle das Handeln des Bundesrats während der Corona-Krise auf Herz und Nieren prüfen.
1,5 Millionen ungeimpfte Österreicher
Vielleicht aber hat die JSVP ganz einfach auch erkannt, welche Büchse der Pandora sie öffnen würde. Wäre die Schweiz nämlich tatsächlich auf ihre Forderung eingegangen, hätte eine nie dagewesene Flüchtlingswelle die Folge sein können. Immerhin bezifferte Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (49) die Ungeimpften im eigenen Land auf etwa 1,5 Millionen Personen.
Das beeindruckte die Junge SVP zunächst wenig. In ihrem Papier verweist sie auf das Asylgesetz, wonach als Flüchtling gilt, wer aufgrund Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder infolge politischer Weltanschauung ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist. Das gelte nicht nur für eine unmittelbare Gefahr an Leib und Leben, sondern auch für sonstige Freiheitsbeschränkungen, die einen «unerträglichen psychischen Druck» bewirken.
Besonders erschreckend sind für die jungen SVPler die Geldstrafen, die Impfunwilligen drohen. Wer keinen Impfnachweis vorlegen kann, muss mit einer Anzeige und einer Busse von 600 bis 3600 Euro (rund 3750 Franken) rechnen. Die Höhe hängt unter anderem vom Einkommen und Vermögen ab. Bei wiederholten Anzeigen steigt zudem das Bussgeld.
«Attentat auf die Menschenwürde»
Die JSVP zeigte sich hier kreativ: Umgerechnet auf Schweizer Lebenskosten könne das Bussgeld sich auf mehr als 26'000 Franken im Jahr summieren. «Also ein Betrag, den ausschliesslich Superreiche aufwenden können.» Die Jungpartei machte denn auch deutlich, was sie davon hält: Das sei ein «Frontalangriff auf die körperliche Integrität und ein Attentat auf die Menschenwürde».
Reaktionen auf die Idee gibt es auch aus der Skeptiker-Szene: «Es freut uns sehr, wenn die Junge SVP unsere Forderung aufnimmt», sagt Nicolas Rimoldi (26), Präsident der Bewegung «Mass-Voll». Er weist darauf hin, dass sein Vorstand bereits im vergangenen November die Asyl-Forderung für ungeimpfte Österreicher gestellt habe.
Die Junge SVP hat von der Forderung nun doch abgelassen. Sie würde die humanitäre Schweiz da aber durchaus in der Verantwortung sehen. Auch, «weil es zwischen Österreich und der Schweiz keinen sicheren Drittstaat gibt», wie im Papier zu lesen ist. Das hätten die Liechtensteiner allerdings wohl nicht gerne gehört.
Vielleicht wird die humanitäre Geste unseren Nachbarn gegenüber aber ohnehin kaum nötig werden. Immerhin gab Österreichs Kanzler Nehammer am Mittwoch das baldige Ende des Lockdowns für Ungeimpfte bekannt. Die Lage in Österreichs Krankenhäusern ermögliche das Aus für die seit Mitte November geltenden Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. (dba)