Beobachter: Die Gemeinden müssen viel zusätzlichen Wohnraum für Geflüchtete bereitstellen. Bereits ab Juli 2024 wird etwa die Aufnahmequote im Kanton Zürich um fast 25 Prozent erhöht. In den grossen Agglomerationen dürfte das schwierig werden. Wie lösen die Gemeinden das Problem?
Jörg Kündig: Viele Gemeinden werden die zusätzlichen Unterkünfte bis im Juli schlicht nicht bereitstellen können. Die nötigen Wohnungen sind schlicht nicht verfügbar. In vielen Regionen haben wir einen extrem tiefen Leerwohnungsbestand. Es ist darum wichtig, dass die Quotenerfüllung nicht auf einen Schlag erfolgt, sondern nach und nach – und die Anpassung in Absprache mit den Gemeinden stattfindet.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Wenn so viele Geflüchtete kommen, wie der Bund prognostiziert, müssen sie irgendwo untergebracht werden. Wer ist dafür verantwortlich?
Einreise, Erstunterbringung und -bearbeitung ist Sache des Bundes. Er müsste die Geflüchtete so lange in Bundeszentren betreuen, bis ein Asylentscheid vorliegt. Doch das Staatssekretariat für Migration überweist immer mehr Flüchtlinge ohne gültigen Bleibeentscheid in die Kantone, wo sie dann auf die Gemeinden verteilt werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger ist es nicht so wichtig, ob Bund, Kantone oder Gemeinden Geflüchtete betreuen …
An der Bewältigung der Situation müssen alle mitarbeiten. Nur: Bund und Kantone können die Aufgaben weitergeben. Die Gemeinden können das nicht. Sie sind abschliessend zuständig für Unterbringung, Betreuung, Ausbildung und Integration. Auf Bundesebene findet aber die erste und wichtigste Weichenstellung statt. Er entscheidet, wer hier bleiben darf und wer nicht.
Jörg Kündig (63) ist Präsident des Verbandes Zürcher Gemeindepräsidien und Vorstandsmitglied des Schweizer Gemeindeverbandes. Zudem politisiert er für die FDP im Zürcher Kantonsrat.
Jörg Kündig (63) ist Präsident des Verbandes Zürcher Gemeindepräsidien und Vorstandsmitglied des Schweizer Gemeindeverbandes. Zudem politisiert er für die FDP im Zürcher Kantonsrat.
Laut Staatssekretariat für Migration sind 2023 knapp 30 Prozent der Asylbewerber ohne Entscheid den Kantonen überstellt worden. Fast jeder dritte muss also in einer Gemeinde oder vom Kanton betreut werden, ohne dass man weiss, ob er bleiben darf. Was bedeutet das konkret?
Voraussetzung für die Integration wäre ein positiver Bleibeentscheid. Wenn der – wie jetzt zu oft – nicht vorliegt, wird das bisher geltende Asylsystem praktisch ausser Kraft gesetzt. Wir wissen dann nicht, wen wir überhaupt integrieren sollen. Das macht eine Planung beinahe unmöglich, die Arbeit der Gemeinden noch schwieriger. Zum Wohnungsproblem kommt die Betreuung bei der Ausbildung und der Integration im Arbeitsmarkt. Es braucht Übersetzerinnen und Übersetzer und Lehrpersonen. Die sind nicht auf Abruf da. Eine zusätzliche Herausforderung ist die Regelung, dass Kinder – ob aus Familien mit oder ohne Bleiberecht – vom ersten Tag an die Schule besuchen müssen. Das strapaziert unser Schulsystem enorm. Es braucht Lehrpersonen und geeignete Schulräumlichkeiten.
Was müsste sich ändern?
Der Bund sollte die Asylsuchenden in seinen eigenen Zentren unterbringen und möglichst rasch darüber entscheiden, ob sie bleiben können, bevor sie den zunehmend überforderten Gemeinden überstellt werden. Dafür hat er bestehende Infrastruktur zu nutzen oder zu erstellen.
Selbst wenn die Geflüchtete bis zu einem Asylentscheid in Bundeszentren bleiben, müssen die Gemeinden mit deutlich mehr Flüchtlingen rechnen. Was unternehmen Sie in Ihrer Gemeinde Gossau ZH?
Wir funktionieren derzeit fast wie eine Wohnungsvermittlungsagentur, um geforderte Unterbringung sicherzustellen. Was bezahlbar auf den Markt kommt, nehmen wir. Doch der Markt ist jetzt ausgetrocknet. Wir werden im Bedarfsfall auch Notunterkünfte bereitstellen müssen.
Sie haben sich auch schon für Siedlungen aus Wohncontainern eingesetzt. Sind die besser als Zivilschutzanlagen?
Ja, auf jeden Fall. Unterirdische Anlagen sind nur eine Notlösung. Zudem befinden sie sich oft unter Schulanlagen. Die Wahl eines solchen Standorts ist der Bevölkerung schwer zu vermitteln. Beide Lösungen brauchen jedoch Zeit und Bewilligungen, um sie zu realisieren. Es geht um Installationen, wie Strom und Wasser, aber auch um Sicherheitsfragen, zum Beispiel den Brandschutz.
Es zeichnet sich schon länger ab, dass mehr Geflüchtete den Weg nach Europa finden werden. Haben die Gemeinden ihre Aufgaben nicht gemacht?
Im Gegenteil. Wir haben 2022 in sehr kurzer Zeit rund 70’000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Mit einem Schlag also fast das Dreifache eines durchschnittlichen Jahres zuvor. 2023 kamen rund 30’000 Asylbewerber hinzu. Die Ukrainerinnen und Ukrainer konnten wir dank vieler privater Gastgeber noch relativ gut unterbringen … Nach zwei Jahren sind die Möglichkeiten für private Unterbringung deutlich gesunken. Seither müssen die Gemeinden auch für die Flüchtenden aus der Ukraine Wohnungen finden. Wir haben also ziemlich viel geleistet, und die Belastungsgrenze wird erreicht oder teilweise sogar überschritten.
Der Bund weist Geflüchtete ohne Asylentscheid vermehrt den Kantonen zu. 2023 war für 30 Prozent der zugeteilten Personen unklar, ob sie überhaupt in der Schweiz bleiben dürfen, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) bestätigt. Im Jahr zuvor waren es noch 25 Prozent gewesen.
«Der Bund arbeitet weiterhin daran, genügend Unterbringungsplätze für die erste Phase des Asylverfahrens zu beschaffen, damit die notwendigen Schritte in den Zentren des Bundes durchgeführt werden können», so SEM-Sprecherin Magdalena Rast.
Das Asylgesetz sieht vor, dass Personen nach einem positiven Asylentscheid oder nach einer vorläufigen Aufnahme den Kantonen zugeteilt werden. Diese können sie dann auf die Gemeinden aufteilen. «Uns ist bewusst, dass die Kantone und Gemeinden seit mindestens zwei Jahren stark gefordert sind. Und angesichts der Prognosen für das laufende Jahr ist keine zeitnahe Entspannung in Sicht», schreibt Rast. Für das SEM sei es darum nachvollziehbar, dass sich Gemeinden besorgt zeigten (siehe Interview).
Das Staatssekretariat betont aber auch, dass es rechtens sei, Geflüchtete den Kantonen zuzuweisen, obwohl sie sich in einem nicht abgeschlossenen, erweiterten Verfahren befinden. Und es verweist auf die Bundesverfassung, wonach der Bund zwar grundsätzlich für den Empfang der Asyl- und Schutzsuchenden und für das Asylverfahren zuständig ist. Sobald aber Personen – auch ohne Asylentscheid – den Kantonen zugewiesen würden, müssten diese auch für die Betreuung und Unterbringung aufkommen. Wie die Geflüchteten auf die Gemeinden verteilt werden, liege dann in der Kompetenz der Kantone.
Der Bund weist Geflüchtete ohne Asylentscheid vermehrt den Kantonen zu. 2023 war für 30 Prozent der zugeteilten Personen unklar, ob sie überhaupt in der Schweiz bleiben dürfen, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) bestätigt. Im Jahr zuvor waren es noch 25 Prozent gewesen.
«Der Bund arbeitet weiterhin daran, genügend Unterbringungsplätze für die erste Phase des Asylverfahrens zu beschaffen, damit die notwendigen Schritte in den Zentren des Bundes durchgeführt werden können», so SEM-Sprecherin Magdalena Rast.
Das Asylgesetz sieht vor, dass Personen nach einem positiven Asylentscheid oder nach einer vorläufigen Aufnahme den Kantonen zugeteilt werden. Diese können sie dann auf die Gemeinden aufteilen. «Uns ist bewusst, dass die Kantone und Gemeinden seit mindestens zwei Jahren stark gefordert sind. Und angesichts der Prognosen für das laufende Jahr ist keine zeitnahe Entspannung in Sicht», schreibt Rast. Für das SEM sei es darum nachvollziehbar, dass sich Gemeinden besorgt zeigten (siehe Interview).
Das Staatssekretariat betont aber auch, dass es rechtens sei, Geflüchtete den Kantonen zuzuweisen, obwohl sie sich in einem nicht abgeschlossenen, erweiterten Verfahren befinden. Und es verweist auf die Bundesverfassung, wonach der Bund zwar grundsätzlich für den Empfang der Asyl- und Schutzsuchenden und für das Asylverfahren zuständig ist. Sobald aber Personen – auch ohne Asylentscheid – den Kantonen zugewiesen würden, müssten diese auch für die Betreuung und Unterbringung aufkommen. Wie die Geflüchteten auf die Gemeinden verteilt werden, liege dann in der Kompetenz der Kantone.
Heute bestimmt die Einwohnerzahl, wer wie viele Geflüchtete aufnehmen muss. Wo viele Menschen leben, zum Beispiel im Grossraum Zürich, müssen auch mehr Flüchtlinge aufgenommen werden. Das klingt fair. Sie kritisieren es.
Es ist doch keine gute Lösung, wenn die meisten Flüchtlinge dort untergebracht werden müssen, wo der Wohnungsmangel am grössten ist. Der Kanton Zürich ist zum Beispiel verpflichtet, 17,9 Prozent der Asylsuchenden aufzunehmen, obwohl der Wohnraum dort besonders knapp ist. Siedlungsdichte und geografische Gegebenheiten sollten künftig bei der Zuteilung auch eine Rolle spielen.
Die grassierende Kleinkriminalität von Flüchtlingen aus Nordafrika sorgen regelmässig für Schlagzeilen. Auch, weil sie praktisch keine Chance auf Asyl haben. Ist das ein schweizweites Problem?
Es ist ein zunehmendes Problem. Glücklicherweise sind nicht alle Gemeinden betroffen. Aber gerade in diesem Zusammenhang ist konsequentes Durchgreifen erforderlich. Problematisch für die Gemeinden sind aber auch einreisende Roma mit ukrainischem Pass. Sie erhalten den Status S und sind oft nicht bereit, sich einzuordnen, ihre Kinder werden nicht in die Schule geschickt, und sie verweigern grundsätzlich die Mitwirkung. Sie verursachen grossen Aufwand und sind dann plötzlich, ohne Ankündigung, wieder verschwunden.
Welches Problem muss jetzt am dringendsten gelöst werden?
Die Beschleunigung der Verfahren. Eigentlich sollte alles schneller ablaufen: die Fallbeurteilung, damit wir wissen, ob jemand in der Schweiz bleiben darf. Die Rückführungen, falls jemand das Land verlassen muss. Und der Informationsaustausch zwischen den Behörden, damit delinquierende Migranten nicht unbehelligt durch die Schweiz ziehen können.