Finn Canonica prüft Klage gegen den «Spiegel»
«Dann übergab ich mich in die Sihl»

Der ehemalige Chef des «Magazins» des «Tages-Anzeigers» ist bei Talkmaster Roger Schawinski zu Gast. SonntagsBlick hat das Gespräch bereits gehört: Es geht um jüdische Wurzeln, Depressionen – und eine gewagte Verschwörungstheorie.
Publiziert: 05.03.2023 um 00:42 Uhr
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Aktualisiert: 05.03.2023 um 12:13 Uhr
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«Das Wort Machtrausch ist mir fremd»: Journalist Canonica.
Foto: Keystone
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Ist es klug, als Betroffener ein Interview zu geben, wenn der Skandal bereits dabei ist zu verblassen? Finn Canonica (57) meint: ja.

Mit ihren Sexismus-Vorwürfen erschütterte die Journalistin Anuschka Roshani (57) vor einem Monat im «Spiegel» den Zürcher Tamedia-Verlag. Im Auge des Orkans stand Canonica, bis 2022 «Magazin»-Leiter und Vorgesetzter der Klägerin, die ihm unterstellt, sie gemobbt zu haben. Gestern stellte er sich den Fragen von Roger Schawinski (77). Das Gespräch wird am Sonntag um 11 Uhr auf dessen Sender Radio1 ausgestrahlt. SonntagsBlick hat es bereits gehört.

Wer eine klassische «Schawinskiade» mit Dauerangriffen erwartet, dürfte enttäuscht werden. Dafür jedoch lässt der Befragte die Hosen so weit herunter wie kaum ein Talkgast vor ihm: Nach dem «Spiegel»-Artikel hätten ihn «extreme Schamgefühle» geplagt, er sei in eine «Depression» gestürzt, habe sich nicht mehr auf die Strasse getraut, Medikamente nehmen und in eine Klinik ziehen müssen, seine Familie habe gelitten, die Kinder seien der Schule ferngeblieben.

Der Gastgeber lenkt das Gespräch auf familiäre Hintergründe, worauf Canonica von der Mutter erzählt, einer französischen Jüdin, die den Krieg überlebte. Sie habe ein Medikamenten- und Alkoholproblem gehabt, zum Vater gebe es keinen Kontakt, Canonica selbst sei «zwangskatholisch» in «prekären» Verhältnissen in Zürich-Oerlikon aufgewachsen.

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«Ich stand extrem unter Druck.»
Finn Canonica
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Nach einem Treffen mit dem Tamedia-Chefredaktor im August, der ihn mit anonymen Vorwürfen eindeckte, sei er aus dem Gebäude gegangen und habe sich «in die Sihl übergeben». Wenn er, Canonica, einen Fehler begangen habe, dann 2014, als er sich «vielleicht im Ton vergriffen» hatte. Vor allem aber seien die Strukturen schuld beziehungsweise der Konzern, der ihm damals strenge Vorgaben zur Einsparung von über einer Million aufgedrückt habe. «Ich stand extrem unter Druck.» Und dass ein Branchenmagazin 2014 über ein «Klima der Angst» berichtete? Nun gut, betont er dann, angesprochen auf einen «NZZ»-Artikel, aber «das Wort Machtrausch ist mir fremd».

Gegenüber seiner Anklägerin gibt er sich, auch das gehört zur Verteidigungsstrategie, betont jovial: «Anuschka hat in der Redaktion viel kritisiert, und das finde ich auch gut», sagt er. «Bevorzugt» habe er sie, nicht zuletzt mit einem bezahlten Sabbatical in London. Und 2007 habe er sie zur Stellvertreterin machen wollen, obwohl sie schwanger war, aber das habe ihn «überhaupt nicht gestört».

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«Das geht natürlich gar nicht, Finn.»
Roger Schawinski, Moderator
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Wirklich angriffig wird Schawinski wegen der Hakenkreuze, die Canonica den Mitarbeiterinnen bei Germanismen ins Manuskript zu zeichnen pflegte. «Das geht natürlich gar nicht, Finn», tadelt der Interviewer. Es sei eine «extreme Dummheit» gewesen, räumt dieser ein.

Der Rudin-Cantieni-Bericht, der den Ex-«Magazin»-Chef weitgehend entlastet, wird mehrmals erwähnt. Doch leider nicht Belege wie jene SMS, in denen Canonica Roshani als «Pfarrermätresse» bezeichnet oder sie lobt: «Obwohl du eine Frau bist, hast du brilliert.» Dafür betont er noch einmal, er habe nie «ficken» gesagt, sondern «viel Fuck und Bullshit». Canonicas Begründung: «Vielleicht höre ich zu viel Rapmusik.»

Die Verschwörungstheorie, auf die sich beide Gesprächspartner bald einigen, ist gewagt: Hinter dem Schweigen der Tamedia-Leute, von denen niemand mit Namen hinsteht und Canonica verteidigt, stehe der Verlag Kein & Aber, den Roshanis Mann leitet. Zudem publiziere beim gleichen Verlag ein deutsches Mitglied der Coninx-Familie, das auch im Verwaltungsrat von Tamedia sitzt. «Es ist ein Spinnennetz von Kein & Aber über das ‹Magazin› gelegt worden», spekuliert Schawinski.

Gut möglich, dass der Fall demnächst um ein juristisches Kapitel reicher wird: Er prüfe eine Klage gegen den «Spiegel», sagt Canonica. Und betont: «Ich mag mich nicht als Opfer bezeichnen.»

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