Sexismus- und Mobbing-Vorwürfe gegen Tamedia
Dandy im Sturm

Der Fall des «Tagi Magi»-Chefs Finn Canonica hat auch mit Neid zu tun – und mit einer gebeutelten Medienbranche, in der Redaktionen zu Trutzburgen werden.
Publiziert: 12.02.2023 um 10:39 Uhr
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Aktualisiert: 12.02.2023 um 20:29 Uhr
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Höchstmögliche Daseinsform: Finn Canonica als Chefredaktor des «Magazins».
Foto: Fabian Biasio / Keystone
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Der SonntagsBlick ist nicht der Ort, um über Berufskollegen den Stab zu brechen. Darum folgt hier auch kein psychologisches Ferngutachten über Finn Canonica (57), den Zürcher Journalisten, der bis 2022 das «Magazin» des «Tages-Anzeigers» leitete und vorletzte Woche im «Spiegel» von seiner Ex-Mitarbeiterin Anuschka Roshani (56) beschuldigt wurde, ein «Regime des Mobbings» gegen sie aufgezogen zu haben.

Der Fall hat sich verselbständigt. Unter dem Label #MediaToo fegt mittlerweile ein Sturm gegen sexistische Unternehmenskultur durch das Verlagsmetier. Die Sensibilität für solche Themen ist heute eine andere als noch vor zehn Jahren.

In die Heftigkeit mancher Reaktionen mischt sich aber auch eine gewisse Schadenfreude. Ihr Adressat: Canonica, der unfreiwillige Auslöser der Debatte.

Missgunst ist eine weitverbreitete Sünde im Zeitungsgewerbe. Und kaum ein Branchenvertreter zog mehr Neid auf sich als der Mann, der nun am Pranger steht. Der ehemalige «Tagi-Magi»-Chef verkörperte im Geist des neuen Jahrtausends für viele Jüngere die höchstmögliche Daseinsform: Im Secondhand-Adidas-Jäggli mit dem Rennvelo über die Langstrasse flitzen, den neusten Fang aus dem Vintage-Plattenladen in der lässig umgehängten Freitag-Tasche – und all das mit einem top bezahlten Prestigejob und dem Halbgötterstatus im Milieu aufgeklärter Städter.

Doch ergeben Testosteron und das Gefühl, moralisch auf der richtigen Seite zu stehen, eine brandgefährliche Mischung. Glaubt man den Berichten, scheint Canonica gegen die Risiken und Nebenwirkungen einer solchen Sonderstellung nicht immun gewesen zu sein.

«Diagnose dicke Hose», sagt der Volksmund.

Der Betroffene streitet in einem publik gewordenen Brief an Freunde die meisten Vorwürfe ab, doch lässt bereits sein Dementi tief blicken: Er habe nicht, wie von Roshani behauptet, in Sitzungen «fast tourettemässig das Wort Ficken» verwendet, sondern bloss ab und zu «Fuck» gesagt. Sind nicht da schon Fragezeichen angebracht?

Unbestritten ist seine formidable Schreibe, womit Canonica perfekt ins Konzept des Heftes passte, das die «Tagi»-Abonnenten seit den Siebzigern beglückt und sich mit angenehmer Verspieltheit vom bleischweren Newsgeschäft des Mutterblatts abhob. Es bot dem Publikum journalistische Perlen vom Boulevard des Lebens, manche mit nie wieder erreichter Nonchalance – unvergessen etwa die Reportage «Eine Safari ins Zürcher Hinterland» über den Verkehrsknotenpunkt Sihlbrugg von Barbara Bürer (67) im Jahr 2000.

Der 2007 ins Amt gekommene Chef Canonica setzte persönlich mehr auf Dandy-Journalismus («Der Chelsea Farmers Club bietet Menschen Heimat, die gute Kleider, aber keine Mode mögen»), vor allem steuerte er das Blatt durch eine Phase des Wandels: Das Internet eroberte den Markt, das Sterben lokaler Verlage griff um sich, Tamedia begann mehr und mehr Regionaltitel zu schlucken. Plötzlich erschien das «Magazin» von Basel bis Bern, und das mit stetig weniger Ressourcen. Allerdings interessiert sich das Publikum in Basel und Bern nicht so sehr für Sihlbrugg.

Also tischte die Redaktion vermehrt Überregionales auf, darunter auch investigative, zum Teil brillante Monumental-Recherchen, die indes genauso gut im Nachrichtenteil der Mantelzeitung stehen könnten – und strikt auf Auszeichnungen getrimmt sind: epische Texte mit szenischen Stoppern, gern im Enthüllungsjargon und mit einem Schuss Gerechtigkeitspathos formuliert. Nicht völlig frei von Stolz rechnete Canonicas Nachfolger nach der Übernahme 2022 vor, die Autorinnen und Autoren hätten unter seinem Vorgänger «über einhundert Journalistenpreise» gewonnen.

Dies aber täuscht nicht über den ökonomischen Druck hinweg, der den Wettbewerb zunehmend verschärft. Redaktionen werden zu Trutzburgen. Kein Wunder, dass sich Canonicas «Inner Circle» bei der externen Untersuchung eines Anwaltsbüros stramm hinter ihn stellte und jegliche Mobbing- und Sexismus-Vorwürfe dementierte.

Je zahlreicher die Journalisten von Bord gingen – und beim «Magazin» waren es renommierte –, desto mehr griff unter den Verbliebenen eine Art Stammesdenken um sich. Als Marc Walder (57), CEO des Ringier-Verlags, der auch den SonntagsBlick herausgibt, wegen Indiskretionen aus dem Gesundheitsdepartement ins Visier eines übereifrigen Sonderermittlers gelangte, titelte der «Tages-Anzeiger»: «Was uns vom Blick unterscheidet.»

Und Tamedia-Chefredaktor Arthur Rutishauser (57) schrieb vor kurzem, nun stehe «die Glaubwürdigkeit des ganzen Verlags auf dem Spiel», diesmal würden «ein paar warme Worte und die Erklärung von ‹Missverständnissen› wie vor einem Jahr» nicht genügen.

Nur meinte er damit nicht sein eigenes Haus, sondern Ringier.

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