Journalistin Anuschka Roshani wirft Verlag Sexismus und Mobbing vor
«Tamedia versucht, mich in die Knie zu zwingen»

Nach ihren Enthüllungen rund um Finn Canonica und Tamedia hofft Journalistin Anuschka Roshani auf einen echten Wandel.
Publiziert: 05.02.2023 um 10:52 Uhr
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Aktualisiert: 07.02.2023 um 20:59 Uhr
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Anuschka Roshani hat sich an die Öffentlichkeit gewandt.
Foto: Noe Flum
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Dana LiechtiRedaktorin SonntagsBlick

Unter ihm habe ein Regime des Mobbings geherrscht. Er habe sie verbal herabgesetzt, sie einmal als «die Ungefickte» bezeichnet.

Es sind schwere Vorwürfe, welche die Journalistin Anuschka Roshani (56) in einem am Freitag veröffentlichten Beitrag im Magazin «Der Spiegel» gegen ihren ehemaligen Vorgesetzten Finn Canonica (57) erhebt. Roshani arbeitete von 2002 bis 2022 als Redaktorin beim «Magazin» des Zürcher Tamedia-Verlags. Canonica stand dem Magazin zwischen 2007 und 2022 als Chefredaktor vor. Canonicas Anwalt bestreitet gegenüber dem «Spiegel» alle Vorwürfe. Das deutsche Magazin hat von der Journalistin eine eidesstattliche Erklärung verlangt für alle Punkte, die nicht mit Dokumenten beweisbar sind.

Sie sei Opfer von Machtmissbrauch geworden, schreibt Roshani. So habe Canonica ihr unterstellt, sich journalistische Leistungen mit Sex erschlichen zu haben: «Ich sei mit dem Pfarrer der Zürcher Fraumünster-Kirche im Bett gewesen, den ich für eine Recherche getroffen hatte. In einer SMS sprach mich Canonica als ‹Pfarrermätresse› an.» Ein anderes Mal habe er ihr nach der Veröffentlichung eines von ihr verantworteten Sonderhefts in einem SMS geschrieben: «Obwohl du eine Frau bist, hast du brilliert.» Damit nicht genug: Habe Roshani – eine Deutsche – ein in der Schweiz unübliches Wort verwendet, etwa Kekse statt Guetzli, habe Canonica das mit einem Hakenkreuz markiert. Sowohl SMS als auch Hakenkreuze liegen dem «Spiegel» vor. Auch andere Mitarbeitende hätten Probleme mit dem Vorgesetzten gehabt. «Bis 2015 waren fünf meiner Mitredakteure gegangen; einer ging nach einer Eskalation mit Canonica.»

Ohne Reaktion der Unternehmensspitze

Roshani schildert, wie sie sich zu wehren versucht habe. Canonica allerdings habe ihr zu verstehen gegeben, dass sie im Verlag niemanden finden würde, der ihr zuhören würde. Er habe ihr gesagt, er sitze «bombenfest im Sattel» und geniesse sogar das «grosse Wohlwollen des Verlegers».

Roshani hat sich laut eigenen Aussagen mehrmals an verschiedene interne Stellen im Haus gewandt – ohne Reaktion der Unternehmensspitze. Noch mehr: Man habe ihr das Gefühl gegeben, sie sei das Problem. «Und als wäre es ein privater Zwist zwischen mir und Canonica.»

Gegenüber SonntagsBlick kritisiert die Journalistin dieses Verhalten: «Ich begreife nicht, warum mich der Verlag so behandelt hat. Dass sich ein modernes Unternehmen wie Tamedia solchen Fällen nicht stellt, bleibt mir unverständlich.»

Offener Brief von über 70 Tamedia-Journalistinnen

Mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit gehe es ihr nicht nur um ihren Fall, sondern generell um die Untätigkeit des Verlags. Darum, deutlich zu machen, dass es sich «offenbar um ein Versagen des Systems handelt». «Ich bin ja leider nicht die Einzige mit solchen Erfahrungen im Haus.»

Bereits 2021 kritisieren über 70 Tamedia-Journalistinnen – darunter Roshani – mit einem offenen Brief die sexistische Arbeitskultur im Verlagshaus mit 1800 Mitarbeitenden: Es würden Frauen ausgebremst, zurückgewiesen oder eingeschüchtert. Manche Mitglieder der Chefredaktion würden es tolerieren, wenn Frauen von ihren Chefs beleidigt würden.

Im Nachzug zum Brief versprach Arthur Rutishauser, Chefredaktor aller Tamedia-Zeitungen, damals gegenüber dem «Spiegel», dass man bei Tamedia weder Belästigung noch Diskriminierung toleriere und konkrete Vorwürfe sorgfältig prüfen werde.

Im September die Kündigung

Dadurch ermutigt, spricht die Journalistin im Frühling 2021 bei der Geschäftsleitung vor. Daraufhin sagt man ihr, der Fall werde intern geprüft, es folgen weitere Gespräche. Im Januar 2022 wird die Journalistin informiert, dass Tamedia eine externe Anwaltskanzlei beauftragt habe, um die Beschwerden betriebsintern zu untersuchen.

Nur: Bis heute hat sie das Ergebnis des Berichts nie gesehen. «So wie sich Canonica anstrengte, mich kleinzukriegen, versucht Tamedia, mich in die Knie zu zwingen.» Im Mai reichte sie, wie die «Zeit» berichtet hat, ein Schlichtungsgesuch ein. Einen Tag vor jener Verhandlung verkündete Tamedia allerdings, dass Canonica das Unternehmen verlassen werde.

Wenig später, im September, erhält Anuschka Roshani die Kündigung. Nun hat sie den Verlag wegen Verletzung der Fürsorgepflicht aufgrund sexistischer Diskriminierung und ungültiger oder missbräuchlicher Kündigung verklagt.

«Machoide» Führungskultur

Tamedia schreibt, man habe «die Vorwürfe von Frau Roshani sehr ernst genommen und akribisch prüfen lassen». Und weiter: «Der Konflikt zwischen Frau Roshani und Herrn Canonica war Gegenstand einer von Tamedia in Auftrag gegebenen externen Untersuchung durch eine spezialisierte Kanzlei. Die Untersuchung des Falles ergab, dass sich die von Frau Roshani in diesem Zusammenhang geäusserten Vorwürfe zu einem grossen Teil nicht bestätigten.» Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes könne man jedoch keine weiteren Angaben zum Fall machen. Finn Canonicas Anwalt wiederum hält gegenüber dem «Spiegel» fest, die Vorwürfe würden nicht zutreffen und «vehement bestritten». Auf Anfrage von SonntagsBlick verschickt Tamedia das gleiche Statement, auf einen detaillierten Fragenkatalog wollte der Verlag nicht eingehen.

Tamedia räumt Versäumnis ein

Der Tamedia-Verlag hat nach Bekanntwerden von Mobbing-Vorwürfen auf der "Das Magazin"-Redaktion Versäumnisse eingeräumt. Die Aufklärung in dem Fall habe zu lange gedauert, schrieb Geschäftsleiter Andreas Schaffner in einer Stellungnahme an die Belegschaft am Sonntag.

In einer Führungskultur, die man im Verlag erwarte, hätte es erst gar nicht zu einem solchen Konflikt kommen dürfen, hiess es in dem Schreiben, das der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vorlag. Unter den Vorfällen habe die Arbeitsatmosphäre und die Unternehmenskultur gelitten. «Wir bedauern das ausdrücklich.»

Der Tamedia-Verlag hat nach Bekanntwerden von Mobbing-Vorwürfen auf der "Das Magazin"-Redaktion Versäumnisse eingeräumt. Die Aufklärung in dem Fall habe zu lange gedauert, schrieb Geschäftsleiter Andreas Schaffner in einer Stellungnahme an die Belegschaft am Sonntag.

In einer Führungskultur, die man im Verlag erwarte, hätte es erst gar nicht zu einem solchen Konflikt kommen dürfen, hiess es in dem Schreiben, das der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vorlag. Unter den Vorfällen habe die Arbeitsatmosphäre und die Unternehmenskultur gelitten. «Wir bedauern das ausdrücklich.»

Ehemalige und aktuelle Tamedia-Mitarbeitende äussern Kritik am Unternehmen an der Zürcher Werdstrasse. Die Rede ist von einer «machoiden» Führungskultur und von einer Chefetage, die über Jahre das Fehlverhalten von Vorgesetzten duldete. Und davon, dass sich seit dem Frauen-Brief trotz öffentlicher Versprechen nichts geändert habe.

Von vielen in der Branche gelobt

Andrea Fischer (65), langjährige Redaktorin und Personalvertreterin bei Tamedia, bestätigt, dass der Umgang mit Frauen zur Zeit ihrer dortigen Karriere – von 2000 bis 2021 – teilweise «sehr zu wünschen übrig gelassen» habe. «Zwar gab es Bekundungen, man wolle sie fördern, aber hinter den Kulissen ging man ganz anders mit ihnen um.» Die Frauen hätten sich unter anderem wegen Sprüchen an die Personalkommission gewandt oder weil sie sich als Journalistinnen nicht ernst genommen fühlten. Oft hätten die Frauen jedoch nicht gewollt, dass man etwas unternehme. «Aus Angst, es würde sich später gegen sie wenden.» Manchmal hätte sie sich von den Frauen mehr Mut gewünscht.

Für ebendiesen wird Anuschka Roshani von vielen in der Branche gelobt. «Frauen wie Männer bedanken sich bei mir für den Mut. Und erzählen mir auch von ähnlichen Erfahrungen bei Tamedia oder allgemein im Schweizer Journalismus. Ich bekomme viele Solidaritätsbekundungen.» Der Zuspruch tue gut, sagt Roshani. «Ich würde mir wünschen, dass sich jetzt wirklich etwas bewegt. Dass auch andere Betroffene aus der Deckung kommen.»

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