Auf einen Blick
- Schweiz steht vor langem Abstimmungskampf über EU-Verträge
- FDP-Nationalrat Simon Michel erwartet Volksabstimmung in zweiter Jahreshälfte 2028
- Damit ersparen sich FDP und Mitte Zerreissprobe im Wahljahr
Der Schweiz steht wohl vor einem langen Abstimmungskampf. Knapp vier Jahre könnten vergehen, bis die EU-Verträge vors Volk kommen. Einflussreiche Vertreterinnen und Vertreter von mehreren Parteien gehen laut CH Media davon aus, dass der Urnengang nicht vor 2027 stattfindet.
FDP-Nationalrat Simon Michel (47) kämpft an vorderster Front für die Verträge. Er sagt: «Wir werden es schaffen, die Bilateralen III dem Volk in der zweiten Jahreshälfte 2028 vorzulegen. Schneller ist wenig wahrscheinlich.»
Im Interesse der Parteien
Das, obwohl die EU-Kommission eigentlich anderes vorsieht. «Das Paket wird dann höchstwahrscheinlich 2027 Gegenstand eines Referendums», erklärt die Kommission den 27 Mitgliedstaaten, wie die Zeitung aus einem internen Bericht erfahren hat.
Was in die Quere kommen dürfte: 2027 ist in der Schweiz Wahljahr. FDP, Mitte, GLP, SP und Grüne werden wohl verhindern, dieses Thema kurz vor den Wahlen gross zu fahren. Erstens, weil sie damit der SVP das Feld überlassen würden, sich mit der umstrittensten Abstimmung des Jahrzehnts zu profilieren. Und zweitens dürften besonders FDP und Mitte ein Eigeninteresse am späten Abstimmungstermin haben: Sie ersparen sich damit eine interne Zerreissprobe mitten im Wahlkampf.
Viel Klärungsbedarf
Ohnehin besteht bis zum Abstimmungstermin noch viel Klärungsbedarf. Zum Beispiel über den Lohnschutz, der im Parlament noch viel zu reden geben dürfte. Gewerkschafter und Gewerbler lehnen die EU-Spesenregelung ab, da sie zu Lohndumping führen könnte.
Auch noch unklar ist, ob es für ein Ja zu den Verträgen nur das Volksmehr oder auch das Ständemehr braucht. Mehr Klarheit herrscht in einem anderen Punkt: Offenbar will der Bundesrat die drei neuen Verträge einzeln an die Urne zu bringen und dem Volk somit kein EU-Gesamtpaket vorlegen.
Ein weiterer Knackpunkt ist die SVP-Initiative zur 10-Millionen-Schweiz. Bei einem Ja stünden die bilateralen Verträge vor einem Aus. Darüber wird das Volk nach heutigem Stand abstimmen, bevor die EU-Verträge dran sind.
«Gefahr, dass das Abkommen zu diesem Zeitpunkt bereits überholt ist»
Die Geschichte hat gezeigt, wie schwierig es ist , das Schweizer Volk davon zu überzeugen, sich an seinen großen Nachbarn in der EU anzudocken. Der Sieg des «Ja» zum Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum (54,6 Prozent) am 5. Juni 2005 hat die Wunden von vor 32 Jahren nicht verheilt.
Am 6. Dezember 1992 lehnten 50,3 Prozent der Schweizer Wähler den geplanten Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR, heute bestehend aus Norwegen, Island und Liechtenstein) in einer Abstimmung ab
Der Wissenschaftler Gilbert Casasus, Autor des Buches «Suisse-Europe, je t'aime moi non plus» sieht Schwierigkeiten aufziehen. «Die Fertigstellung und dann die mögliche Unterzeichnung des Abkommens sind nur Etappen. Eine schwierige Bergetappe, gefolgt von einem langen, nicht weniger schwierigen Zeitfahren und einer endgültigen Ankunft, die frühestens 2027, wenn nicht sogar erst 2028 stattfinden wird. Es besteht die Gefahr, dass das Abkommen zu diesem Zeitpunkt bereits überholt ist», sagte er der Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP).
Er fügte hinzu: «Die Schweizer Ratifizierung durch ein Referendum ist das grösste Damoklesschwert, das über dem Schicksal dieses Abkommens schwebt. Wird es ein Referendum geben, bei dem nur die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist, oder ein Referendum, das eine doppelte Mehrheit erfordert: die der Wähler und die der Kantone?»
Am optimistischsten ist die Europäische Bewegung Schweiz. «Wir sagen Ja zu einer Stabilisierung und Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Überlassen wir den Gegnern nicht das Feld», sagt Generalsekretär Raphaël Bez.