Gross war das Entsetzen auch in der Schweiz, als die Taliban vor zwei Jahren erneut die Macht in Afghanistan übernahmen. Die Bilder der fliehenden westlichen Streitkräfte sind um die Welt gegangen. Die grössten Opfer der religiösen Fanatiker sind die Frauen, deren Rechte konsequent beschnitten wurden. Für sie gab es eine Welle der Solidarität.
Das ist lange her. Nun findet es die FDP «inakzeptabel», dass das Staatssekretariat für Migration (SEM) die Aufnahmepraxis für Afghaninnen geändert hat. Neu würden grundsätzlich alle vor dem Taliban-Regime geflüchteten Frauen Asyl in der Schweiz erhalten, so die Partei. Sie fordert, dass diese Änderung wieder rückgängig gemacht wird. Denn damit riskiere das SEM einen Pull-Effekt – die Schweiz würde zum bevorzugten Zielland für Afghaninnen in Europa.
Es ändert sich nicht viel
Das Staatssekretariat für Migration bestätigt den Sachverhalt auf Blick-Anfrage: «Die Situation der Frauen in Afghanistan ist seit der Machtübernahme der Taliban immer schlechter geworden. Weil sie wegen ihres Geschlechtes Opfer von Verfolgung sind, haben wir unsere Asylpraxis leicht angepasst», erklärt Sprecher Daniel Bach.
Das SEM geht – im Gegensatz zur FDP – nicht davon aus, dass die Praxisanpassung zu grossen Veränderungen führen wird: «Afghanische Frauen erhielten schon bisher fast immer Asyl oder eine vorläufige Aufnahme und damit den Schutz der Schweiz», sagt Bach. «In der Praxis wird sich also nicht viel ändern.» Selbstverständlich werde weiterhin jedes Gesuch geprüft.
In Einklang mit Nachbarstaaten
Die Angst der FDP, dass Afghaninnen künftig selbst aus EU-Staaten anreisen und hier Asyl beantragen würdet, scheint ebenfalls unbegründet zu sein: Wie das SEM sagt, hätten die europäischen Nachbarstaaten ihre Praxis genau gleich wie die Schweiz angepasst. Abgesehen davon gilt das Dublin-Regime, wonach innerhalb des Schengen-Raums nur einmal ein Asylgesuch gestellt werden kann, weiterhin.
Doch die FDP befürchtet auch, dass Afghaninnen, haben sie hier einmal Asyl, ihre gesamte Familie nachziehen lassen würden. «Wenn den Afghaninnen der sofortige Nachzug der Kernfamilie erlaubt wird, droht das Risiko eines Kontrollverlusts über die Einwanderung ins Asylsystem und das Missbrauchspotenzial erhöht sich», schreibt die Partei.
SEM: Unter 200 Frauen pro Jahr
Hier dürfte wirklich die grösste Veränderung ins Haus stehen. Anders als bei einer vorläufigen Aufnahme können anerkannte Flüchtlinge Teile ihrer Familie nachholen, nämlich ihre Ehepartner und minderjährige Kinder.
Auch hier dürfte die Sogwirkung aber überschaubar sein: Wie das SEM auf Blick-Anfrage bekannt gibt, reisten in den letzten zwölf Monaten lediglich 188 Afghaninnen alleine in die Schweiz ein. «Und es gab nur sechs Männer, die durch Familiennachzug zu ihren afghanischen Frauen kamen», so Bach.
Laut «Weltwoche» geht es aber auch um Afghaninnen, die derzeit vorläufig aufgenommen sind. Auch sie sollen den Asylstatus erhalten: Das wären 3117 Frauen.
UN forderte Asyl
Frauen und Mädchen dürfen seit der Machtergreifung der Taliban vor zwei Jahren nicht mehr zur Schule gehen, arbeiten oder ohne männlichen Aufpasser in die Öffentlichkeit. Sie werden zwangsverheiratet und müssen sich komplett verhüllen.
Nicht zuletzt folgt die Schweiz mit der Asylgewährung auch einem Appell der Vereinten Nationen. Staaten in aller Welt sollten «allen afghanischen Frauen und Mädchen Flüchtlingsstatus gewähren», forderten UN-Menschenrechtsbeobachter vor drei Wochen. Die Taliban hätten ein System der «totalen Diskriminierung, Ausgrenzung und Unterdrückung» eingeführt. (sf)