Die CVP ist auf familienpolitischem Schlingerkurs. Nachdem die Partei vergebens für höhere Kinder- und Kita-Abzüge gekämpft hat, ist sie jetzt plötzlich dagegen.
Doch von vorne: Mit fast zwei Dritteln hat die Stimmbevölkerung im September wuchtig Nein gesagt zu den Kinderabzügen – eine Schlappe für die CVP, die die Vorlage massgeblich geprägt hatte. Auf ihren Antrag hin hatte das Parlament nämlich in letzter Minute beschlossen, nicht nur die Abzüge für die externe Kinderbetreuung zu erhöhen, sondern auch für die generellen Kinderabzüge. Das machte die Vorlage 38-mal teurer als ursprünglich vom Bundesrat geplant: Statt 10 Millionen Franken rechnete man mit 380 Millionen.
Plan B ist schon aufgegleist
Im Parlament war man sich des Risikos bewusst, dass das Fuder damit überladen wurde. Noch bevor die Gesetzesänderung überhaupt an die Urne kam (weil die SP das Referendum ergriff), hatte FDP-Nationalrätin Christa Markwalder (45) schon einen Plan B aufgegleist. Er entspricht genau dem, was die Regierung ursprünglich wollte: Nur die Kita-Abzüge sollen erhöht werden – nicht mehr und nicht weniger. Familien sollen künftig nicht mehr nur gut 10'000, sondern maximal 25'000 Franken für die externe Kinderbetreuung von den Bundessteuern abziehen können.
Nach dem Nein vom 27. September holte die Wirtschaftskommission des Nationalrats den Vorschlag aus der Schublade. Man will rasch vorwärtsmachen. Schliesslich sind Fakten und Positionen schon klar.
Jetzt will die CVP nicht mehr
Ausgerechnet die CVP tritt nun aber auf die Bremse. «Wir lehnen den Vorstoss zum jetzigen Zeitpunkt ab», sagt Mitte-Fraktionschefin Andrea Gmür-Schönenberger (56). Das ist eine Überraschung. 2017 hielt die CVP noch fest, man begrüsse, «dass mit der Erhöhung des Abzugs der Kostenbelastung von Familien besser Rechnung getragen wird».
Nun, nach der verlorenen Abstimmung, sieht es plötzlich anders aus. Die selbsternannte Familienpartei stellt sich gegen den Vorschlag, der die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern soll. Ist da vielleicht jemand eingeschnappt?
Argumentation sorgt für Stirnrunzeln
Die Mitte-Fraktionschefin will betont haben, dass es sich nicht um eine Kehrtwende, sondern lediglich um einen «Marschhalt» handle. Als Begründung für das plötzliche Nein führt Gmür an, dass noch «viele Fragen offen» seien. Man wolle erst «eine saubere Zahlenbasis» haben, bevor man der Vorlage zustimmen könne. Die Luzerner Ständerätin verweist auf das Zahlenchaos, das die Bundesverwaltung bei der Heiratsstrafe-Initiative der CVP 2016 veranstaltet hatte. Das Bundesgericht hat die Abstimmung später annulliert, weil sich die Steuerverwaltung massiv verrechnet hatte.
Es ist gut und recht, wenn eine Fraktion Sorgfalt vor Schnelligkeit stellt. Doch im vorliegenden Fall muss man das bezweifeln. Denn: 370 Millionen zusätzlich für die Erhöhung der Kinderabzüge auszugeben – dazu war die CVP ohne Zögern bereit. Und nun wird gezaudert, obwohl es um vergleichsweise mickrige 10 Millionen und einen Vorschlag geht, dem man früher bereits zugestimmt hat?
Nur SVP ist noch dagegen
FDP-Nationalrätin Markwalder hält Gmürs Argumentation denn auch für eine Ausrede: «Wann hat man ein Thema ausführlicher diskutiert als nach einer Volksabstimmung?» Sie hegt den Verdacht, dass die CVP die Vorlage einfach auf die lange Bank schieben will. Aus Sicht Markwalders ist das völlig unverständlich. Denn sie ist überzeugt: Mit den Kita-Abzügen schafft man wirksame Anreize, dass Mütter wieder ihren Job aufnehmen oder ihr Arbeitspensum erhöhen.
Das sehen auch die Linken so. Nebst der CVP stellt sich nur die SVP gegen die Erhöhung der Kita-Abzüge. Nächstes Jahr werden National- und Ständerat erneut über das Geschäft beraten. Man darf gespannt sein, welche Position die CVP dann vertritt.