Die bisherigen Corona-Verschärfungen von Bund und Kantonen tragen offenbar Früchte: Am Montag vermeldete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) 20'496 neue Coronavirus-Fälle innerhalb von 72 Stunden, 226 Spitaleinweisungen und 48 Todesfälle. Ein Rückgang der Fallzahlen um 13 Prozent im Vergleich zur Vorwoche, bei den Hospitalisierungen sind es gar 17 Prozent weniger. Allerdings liegen aktuell 314 Covid-Patienten auf der Intensivstation – so viele wie letztmals im Januar.
Die Stabilisierung der Infektionszahlen ist kein Grund für Entwarnung. Denn die Omikron-Welle hat die Schweiz noch nicht voll erfasst. Die Lage sorgt ausgerechnet vor den Festtagen für Verunsicherung. Das widerspiegelt sich auch in den zahlreichen Fragen der Blick-Leserinnen und -Leser, die Epidemiologe Marcel Tanner (69) im Corona-Schwerpunkt auf Blick TV beantwortet hat. Der Basler lässt sich die Vorfreude auf Weihnachten vom Virus nicht vergällen: «Omikron muss man zwar ernst nehmen. Man muss aber das in den Vordergrund rücken, was man an Weihnachten trotz Massnahmen alles noch machen kann!», rät er. Blick erklärt, welche Tipps Tanner sonst noch auf Lager hat.
Weihnachten – geht das?
Die Festtage beschäftigen die Blick-Leserinnen und -Leser am meisten.
Der Bund gibt für private Treffen die Regeln vor: Ist jemand über 16 Jahre ungeimpft am Fest, dürfen sich maximal zehn Personen treffen. Ansonsten maximal 30 Personen drinnen und 50 Personen draussen.
Doch es gibt viele offene Fragen. Kann man mit Ungeimpften überhaupt feiern? Braucht es bei lauter Geimpften doch noch einen Schnell- oder Selbsttest? Oder Blick-Leserin Brigitta Graves will wissen: «Können wir, 73 und 82 (dreimal geimpft), zur Weihnachtsfeier der Kinder und Enkel? 16 Personen, grosser Saal.»
«Jawohl, machen Sie dieses Fest», rät Tanner. Wichtig sei, dass man innerhalb der vorgegebenen Leitplanken mit Freude zusammenkommen könne. «Der Selbsttest ist dafür saugut», sagt Tanner. Als Möglichkeit rät er, dass alle vor dem Treffen einen Antigen-Selbsttest machen. «Dann weiss man für die nächsten 12 bis 24 Stunden, dass man nicht infektiös ist. So lässt sich für alle sicherer und entspannt feiern.»
Auch die altbekannten Basis-Schutzmassnahmen machen Sinn. Auf zu viele lange Umarmungen solle man verzichten und regelmässig lüften. «Ohne gleich die Grossmutter in den Durchzug zu setzen.» Um bei ungeimpften Teilnehmenden sicherzugehen, schlägt Tanner beispielsweise auch eine Waldweihnacht draussen vor. Oder man könne statt eines grossen Festes auch zwei, drei kleinere mit weniger Leuten machen. «Man muss sich so organisieren, dass sich alle wohlfühlen, sagt Tanner. «Man muss pragmatisch kreativ denken, wie man dies möglich machen kann.»
Verschärfungen – zu lasch?
Seit Montag gilt hierzulande ein verschärftes Corona-Regime mit 2G-Regeln, 2G-plus-Bestimmungen, Homeoffice-Pflicht und einer Obergrenze für private Treffen. Doch müssen wir angesichts der Omikron-Variante mit weiteren Verschärfungen rechnen, möchte Blick-Leser Sven Lüscher wissen. «Nein, Omikron hat man in den jetzigen Massnahmen berücksichtigt», sagt Tanner. Er rechnet daher nicht mit weiteren Verschärfungen – vor allem, «wenn wir uns nun konsequent an diese Massnahmen halten».
Omikron – wie schlimm?
«Schützt die Booster-Impfung vor einem schweren Verlauf bei der Omikron-Variante?», fragt Blick-Leser Ruwen Heeger. «Die Impfung schützt allgemein vor schwerer Erkrankung», erklärt Tanner. Aufgrund der bisherigen Daten könne man davon ausgehen, dass Omikron zwar viel ansteckender sei als die Delta-Variante , aber nicht schwerer krank mache. Das könne auch dazu führen, dass man bei einer Infektion weiter Schutz aufbauen könne.
Marcel Tanner (69) ist als Epidemiologe und früheres Mitglied der wissenschaftlichen Corona-Taskforce ein gefragter Interviewpartner. Der Basler ist aber auch Malariaforscher und Public-Health-Spezialist. Aktuell präsidiert er zudem die Akademien der Wissenschaften Schweiz – und ist damit oberster Repräsentant der Schweizer Wissenschaft.
Marcel Tanner (69) ist als Epidemiologe und früheres Mitglied der wissenschaftlichen Corona-Taskforce ein gefragter Interviewpartner. Der Basler ist aber auch Malariaforscher und Public-Health-Spezialist. Aktuell präsidiert er zudem die Akademien der Wissenschaften Schweiz – und ist damit oberster Repräsentant der Schweizer Wissenschaft.
Allerdings gibt er keineswegs grünes Licht für eine Durchseuchung, denn: «Wenn es sehr viele Ansteckungen gibt, ist auch der Anteil jener grösser, die im Spital landen.» Die Verschärfungen seien deshalb wichtig, um die Übertragungsdynamik von Omikron zu verzögern, damit die ganze Last nicht auf einmal auf das Gesundheitssystem falle. Deshalb gelte weiterhin: Nach Plan impfen und boostern.
Kinderimpfung – überhaupt nötig?
«Warum soll sich ein Kind impfen lassen, wenn doch die Gefahr eines schweren Verlauf bei Kindern praktisch null ist?», fragt Blick-Leser Jan Urban. Auch die Kinderimpfung habe im Gesamtkontext ein gutes Risiko-Nutzen-Verhältnis, erklärt Tanner. Sie sei aber keine Pflicht, «sondern eine Möglichkeit». Eine Option für jene, die sich besonders fürchten würden. Oder für Familien mit Risikopersonen. «Die Kinderimpfung gibt eine erhöhte Sicherheit.» Eine unkontrollierte Durchseuchung der Kinder ist für ihn hingegen keine Option.
Pandemie – wie lange noch?
Blick-Leserin Ruth Ueltschi stellt die Frage aller Fragen: «Wie lange dauert die Pandemie noch?» Das lasse sich nicht sagen, «ich habe ja keine Kristallkugel», muss Tanner sie enttäuschen. So sei die Welt ja auch von der Omikron-Variante überrascht worden. Doch mittlerweile wisse jeder Einzelne, wie man reagieren und Übertragungen reduzieren könne. «Wir sind auf dem Weg, dem Ende entgegen», blickt Tanner zuversichtlich in die Zukunft. Eine weltweite Herdenimmunität werde es zwar nicht geben, und auch mit Corona-Ausbrüchen sei immer wieder zu rechnen. Aber mit genügend Geimpften und Genesenen sowie dem stetigen Besinnen auf die Grundmassnahmen könne man die Virusverbreitung auf ein Niveau hinunterbringen, dass es nicht mehr zu eigentlichen Pandemiewellen komme. «Wir müssen lernen, mit dieser Situation zu leben, und stets sehen, was wir machen können.»