Elfjähriger Marokkaner beging 180 Straftaten – Expertin für schwierige Jugendliche im Interview
«Die Behörden haben total versagt, es ist eine Schande»

Ein elfjähriger Marokkaner flüchtete nach rund 180 Straftaten aus Deutschland in die Schweiz und beantragte Asyl. Erziehungsexpertin Sefika Garibovic sagt, was die Behörden alles falsch gemacht haben und wie es mit dem Bub in der Schweiz jetzt weitergehen soll.
Publiziert: 27.09.2024 um 17:28 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2024 um 13:57 Uhr
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Sefika Garibovic ist Expertin für Nacherziehung von schwierigen Jugendlichen.
Foto: Philippe Rossier

Auf einen Blick

  • Ein elfjähriger Marokkaner begeht 180 Delikte
  • Die Behörden sind total überfordert
  • Den Bub ins Heim stecken mache alles noch schlimmer, sagt eine Expertin
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Rolf CavalliStv. Chief Content Officer

Es ist ein besonders krasser Fall von Jugendkriminalität. Ein erst elfjähriger Marokkaner hielt während fast eines Jahrs die Hamburger Behörden auf Trab. Rund 180 Straftaten (Diebstähle, Einbrüche) soll er begangen haben. Weder Polizei noch Betreuer konnten ihn stoppen. Der Bub sei nicht mehr erziehbar gewesen und mehr als 200 Mal aus Heimen und Anstalten weggelaufen. Im Verlaufe des Septembers ist er nun in die Schweiz geflohen, wo er gemäss einem Artikel in der «Zeit» Asyl beantragt.

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) wollte zum Fall mit Verweis auf den Daten- und Persönlichkeitsschutz nichts sagen. Generell, so das SEM, würden unbegleitete minderjährige Asylsuchende unter zwölf Jahren in der Regel nicht in einem Bundesasylzentrum untergebracht, sondern direkt der Kesb gemeldet, die einen Beistand ernennen müsse. Der Beistand entscheide dann über die Unterbringung.

Blick sprach mit Sefika Garibovic (64). Sie behandelt Kinder, mit denen keiner mehr zurechtkommt. Die Expertin für Nacherziehung mit Praxis in Zug ist auch Autorin des Sachbuchs «Konsequent Grenzen setzen – vom Umgang mit schwierigen Jugendlichen».

Was haben Sie gedacht, als Sie vom elfjährigen Marokkaner gelesen haben, der 180 Straftaten begangen hat?
Sefika Garibovic:
So was macht mich traurig und wütend zugleich. Es ist leider ein typischer Fall für das, was schiefläuft mit solchen Kindern.

Ein typischer Fall? Ein Elfjähriger, der 180 Mal kriminell wird, ist doch ein Extremfall.
Ja, natürlich ist das extrem. Aber wie die Behörden total versagt haben, ist typisch. Dass man 180 Mal zuschaut, wie ein Kind einbricht und klaut, geht nicht. Es ist eine Schande, wie mit ihm umgegangen wurde.

Was lief schief?
Soweit ich das den Medien entnehmen kann, wurde der Bub in eine Einrichtung mit älteren, schwierigen Jugendlichen gesteckt. Ohne die nötigen Fachleute. Das ist ein Teufelskreis. So war es nur logisch, dass der Bub noch krimineller wurde. Der Junge war weder krank noch kam er kriminell zur Welt. Es ist schlicht der falsche Umgang mit solchen Kindern. Letztlich werden sie therapieresistent und ihrer Zukunft beraubt.

Sie nehmen immer wieder die Eltern in die Verantwortung. Aber in diesem Fall gab es offenbar keine Eltern, die sich kümmerten.
Ja, dort, wo Eltern vorhanden sind, nehme ich sie in die Pflicht und unterstütze sie mit Nacherziehung. Aber in diesem Fall – wo keine Eltern vorhanden sind – wäre es für die Behörden sogar ein Vorteil, dem Kind zu helfen. Lieber keine Eltern als schlechte Eltern.

Nochmals: Wie hätten die Behörden verhindern können, dass ein Kind notorisch kriminell wird?
Nicht in ein geschlossenes Heim stecken! Das ist eine Kapitulation. Ein solches Kind gehört möglichst früh in eine intakte Pflegefamilie. Begleitet von einer externen Fachperson, die eine Beziehung zu ihm aufbaut und mit ihm arbeitet. Nur so hat das Kind eine Chance.

Jetzt ist der Elfjährige in der Schweiz und stellt ein Asylgesuch hier. Wie weiter?
Es ist schon viel kaputt. Der Bub hat seine Kindheit verpasst. Aber es ist nie ganz zu spät. In eine Familie integrieren, einschulen, fachlich begleiten.

Sind Schulen nicht überfordert mit solchen Fällen? Es mangelt an Personal, an Plätzen.
Das ist eine Ausrede. Es gibt viel zu viele teure Spezialeinrichtungen, wo sogenannt auffällige Kinder hingeschickt werden und so noch mehr in schlechte Gesellschaft kommen. Es wäre günstiger und zielführender, diese Kinder fachgerecht begleitend zu betreuen, sie aber in einem möglichst intakten Umfeld zu lassen. Ich habe aktuell ein Beispiel von zwei Jugendlichen aus dem Balkan, die nicht mehr in die Schule gingen und im Heim kriminell wurden, Drogen nahmen. Es gibt Dutzende solcher Fälle von Kindern, die zu früh aufgegeben wurden und mit den richtigen Massnahmen wieder auf die richtige Bahn fänden.

Der Fall des kriminellen minderjährigen Marokkaners ist auch politisch brisant. Es wird schnell die Forderung laut, dass so einer nicht hier bleiben dürfe. Wie sehen Sie das?
Ich bin politisch selbst eine bürgerliche Frau und vertrete eine strenge Asylpolitik. Mit der Wegschau-Haltung der Linken habe ich Mühe. Aber hier geht es um ein Kind! Wo soll es denn hin. Wir haben hier auch eine ethische Verantwortung.

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