Kampf gegen Jugendkriminalität –  Überwachung von Jugendlichen immer beliebter
Fussfesseln schon bei 15-Jährigen

Die elektronische Überwachung wird bei Jugendlichen häufiger eingesetzt. Die Behörden hoffen vor allem auch auf einen psychologischen Effekt. Doch der Nutzen ist umstritten.
Publiziert: 07.04.2024 um 14:32 Uhr
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In den letzten Jahren ist die Jugendkriminalität stark angestiegen.
Foto: Keystone
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Lisa AeschlimannReporterin & Blattmacherin

Die Angriffe werden brutaler, Messer sind häufiger im Einsatz. Im Kanton Zürich stieg die Jugendkriminalität seit 2016 um rund 60 Prozent, in Basel nahm sie – in einem Jahr – um fast 40 Prozent zu.

Ein Mittel, um Jugendliche vom Delinquieren abzuhalten, sind elektronische Fussfesseln. Begeht ein Jugendlicher zusammen mit anderen beispielsweise ein Gewaltdelikt oder einen Raub, können die Behörden Kontakt- und Rayonverbote erteilen, den Jungkriminellen also verbieten, sich mit bestimmten Personen zu treffen oder gewisse Gebiete wie beispielsweise Bahnhöfe oder Ausgehviertel zu betreten. Seit 2015 ist es möglich, die Einhaltung solcher Verbote mittels GPS-Geräten zu überwachen.

In Einzelfällen 24 Stunden Überwachung

Electronic Monitoring (EM), wie es im Fachjargon heisst, wird immer häufiger angeordnet, wie neue Zahlen zeigen. Zuvorderst dabei ist der Kanton Zürich. Zwischen 2018 und 2022 wurde in 64 Fällen EM angeordnet. Während die Zürcher Behörden 2015 erst 204 Vollzugstage zählten, waren es 2022 bereits deren 1737. Betroffene trugen die Fussfessel dabei im Schnitt zwischen zwei bis sechs Monaten. 

Obwohl die passive Überwachung – die übermittelten Positionsdaten werden erst im Nachhinein, meist zu Bürozeiten ausgewertet – im Vordergrund steht, kam es in Zürich in «Einzelfällen» auch zu aktiven Überwachungen. Dabei werden die Daten rund um die Uhr in Echtzeit von einer Zentrale ausgewertet, bei Meldungen wird sofort eingegriffen.

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Electronic Monitoring ist ein bewährtes Mittel
Oberjungendstaatsanwaltschaft Zürich
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Für die Oberjugendanwaltschaft Zürich ist das EM im Jugendstrafrecht denn auch «ein bewährtes Mittel». Es diene primär dazu, den Vollzug von Kontakt- und Rayonverboten zu unterstützen. Zudem habe EM auch einen psychologischen Effekt auf die Jugendlichen, da es sie spürbar an die Auflagen der Jugendanwaltschaft erinnert.

So sagte der damalige Leiter der Zürcher Jugendanwaltschaften, Marcel Riesen-Kupper, 2021 zu SRF: EM könne den Jugendlichen helfen, ihren Tagesablauf zu strukturieren. Im besten Fall führe diese zusätzliche Kontrolle dazu, dass sie wieder mehr Teil des Familienlebens daheim seien. Und: «Es wird ein Ziel sein, dass wir dieses Instrument wohl noch häufiger einsetzen.»

EM führt zu Mehraufwand

Der Kanton Aargau ordnete zwischen 2019 und 2023 insgesamt 40-mal eine elektronische Überwachung von Minderjährigen an. Die Zahl der Einsätze sei stabil. Man setze EM jedoch eher zurückhaltend ein, schreibt Beatriz Gil, Leiterin der Jugendanwaltschaft. Grund dafür sei der erhebliche Aufwand, der mit der Installation, vor allem aber mit der Überwachung der Fälle verbunden sei. Der Personalaufwand sei gross, die Organisation anspruchsvoll.

Die Anordnung von EM sei nicht massgeblich vom jeweiligen Delikt abhängig, sagt Gil. «Viel wichtiger für einen solchen Entscheid sind die persönliche Situation des Jugendlichen und die Vorgeschichte», etwa bereits verübte Delikte. Für straffällige Jugendliche kämen daher am häufigsten sogenannte stationäre Lösungen zum Einsatz – also die Unterbringung in Heimen oder vergleichbaren Einrichtungen.

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Erheblicher Eingriff in die Grundrechte

Der Einsatz von Fussfesseln ist nicht nur aufwendig, er bedeutet auch einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte: Beschuldigte müssen den GPS-Sender 24/7 auf sich tragen, die Behörden sind ständig über ihren Aufenthaltsort informiert – in den Kantonen Graubünden, St. Gallen und Waadt wurden Fussfesseln für Jugendliche in den letzten fünf Jahren denn auch nie eingesetzt, in Bern und Basel lediglich in Einzelfällen.

2021 beispielsweise überwachte die Jugendanwaltschaft Basel-Stadt fast sechs Monate lang das Kontakt- und Rayonverbot eines 15-Jährigen, der unter anderem des Raubes, schwerer Körperverletzung, Drohung und Nötigung sowie Pornografie beschuldigt worden war. 2020 hat sie einen 19-Jährigen, dem sexuelle Nötigung, Belästigung, Freiheitsberaubung, Drohung und Beschimpfung vorgeworfen wurde, acht Monate lang aktiv überwacht – statt ihn in einer Einrichtung zu unterbringen.

Kein Allheilmittel

In den letzten Jahren ist die elektronische Überwachung stetig ausgebaut worden. Während in Zürich 2018 erst zwölf Erwachsene mit einer Fussfessel überwacht wurden, waren es 2022 bereits 73. Seit 2022 ist es möglich, in zivilrechtlichen Fällen Rayon- oder Kontaktverbote bei häuslicher Gewalt zu verhängen und mutmassliche Täter mit einer Fussfessel zu kontrollieren. Eine rechtliche Grundlage gibt es seit 2022 auch für die elektronische Überwachung von sogenannten Gefährdern.

Trotz zunehmender Beliebtheit ist EM bei weitem kein Allheilmittel. Eine Untersuchung der Universität Bern von 2020 kommt zum Schluss, dass EM zwar eingesetzt werden könne, «um Jugendliche beim Erlangen von sozialen Kompetenzen zu unterstützen» und sie motivieren könne, eine regelmässige Tagesstruktur zu befolgen.

Kein Ersatz für stationäre Unterbringung

Jedoch bedürfe jede Anwendung der Kooperation der überwachten Person – nur schon darum, weil sie das Gerät, damit es überhaupt funktioniert, regelmässig aufladen müssen.

Die eingesetzten GPS-Geräte würden zudem noch technische Grenzen und Mängel aufweisen, EM sei derzeit «oft keine geeignete Anwendung» und bedeute keine zusätzliche Sicherheit. Sie könne stationäre Unterbringungen, sobald Sicherheitsfragen oder Fluchtgefahr im Vordergrund stehen, nicht befriedigend ersetzen.

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