Das Leben von Rashid Amini (58) beschränkt sich auf wenige Quadratmeter. Seine Tage verbringt der Iraner auf einem Bett, direkt neben einem kleinen Kühlschrank. «Den ganzen Tag, die ganze Nacht», sagt Amini. Alles, was er besitzt, liegt auf dem Fenstersims, steht auf dem Boden, kompakt, in einem Zimmer: Eierschachteln, WC-Papier, Zahnbürste, eine Tischlampe und überall Medikamente.
Amini lebt im Ausreisezentrum Flüeli, einem einstigen Lagerhaus für Schulklassen, das über dem Bündner Bergdorf Valzeina thront. Vor über 20 Jahren war Amini in die Schweiz gekommen und hatte hier ein Asylgesuch gestellt. Er werde im Iran politisch verfolgt, gab er an. Kehre er zurück, töte ihn das Regime. Ob das stimmt, lässt sich nicht überprüfen. Das Staatssekretariat für Migration glaubte ihm nicht und lehnte sein Asylgesuch ab.
Angst vor dem Regime
Doch der Iraner weigert sich, die Schweiz zu verlassen – bis heute. Ausschaffen können ihn die Behörden nicht, weil der Iran nur Einreisepapiere ausstellt, wenn jemand freiwillig zurückkehrt. Und so lebt Amini hier, unter prekären Bedingungen. Von der Schweiz zwar geduldet, aber illegal. Er darf nicht arbeiten und lebt von Nothilfe.
So steht es um die Migration
Das Nothilfe-Regime existiert seit 2008. Wie die neuesten Zahlen von Ende 2022 zeigen, haben es bisher über 68’000 Personen beansprucht. Den Staat hat das mehr als 840 Millionen Franken gekostet. Ein Grossteil der Abgewiesenen bleibt nicht lange in den Rückkehrzentren und reist freiwillig aus – oder taucht unter.
Jedoch gibt es Personen, die sich allen Widrigkeiten widersetzen, sogenannte Langzeitbeziehende. Ende 2022 waren es knapp 2600 Menschen. Sie bleiben hier, weil sie, anders als die Behörden, davon überzeugt sind, dass ihnen in ihrer Heimat Verfolgung droht. So wie Amini. Einige können das Land aber auch gar nicht verlassen, weil sie nicht an die nötigen Einreisepapiere ihres Heimatlandes kommen. Und in andere Länder sind zwangsweise Rückschaffungen nicht möglich.
Arbeiten verboten
Nicht nur die Abgewiesenen stecken in einem Dilemma, sondern auch die Behörden – ganz besonders, wenn Kinder involviert sind. Das Ziel ist, dass die abgewiesenen Asylsuchenden das Land verlassen. Wer von Nothilfe lebt, wird daher nicht integriert. Gedeckt sind lediglich die existenziellen Grundbedürfnisse. Amini erhält kein Geld, sondern nur Naturalleistungen – Lebensmittel, gebrauchte Kleider, Hygieneartikel. Doch gleichzeitig ist es eine Realität, dass einige Abgewiesene bleiben und auf Unterstützung angewiesen sind.
Je nach Kanton ist die Nothilfe anders geregelt. Im Aargau erhalten abgewiesene Asylsuchende Leistungen im Umfang von 7.50 Franken pro Tag, in Basel-Stadt 12.30 Franken. In vielen Kantonen müssen sie, um das Geld zu erhalten, ein- oder zweimal täglich zur Kontrolle im Asylzentrum erscheinen. Andere zahlen das Geld wöchentlich aus. Einige Migrationsbehörden verbieten es, den Kanton oder die Gemeinde zu verlassen. Bei Verstoss droht Gefängnis.
Während es den meisten Abgewiesenen verboten ist, zu arbeiten, dürfen sie in einigen Kantonen an Beschäftigungsprogrammen teilnehmen – in Schwyz können einige Nothilfebezüger beispielsweise bei der Neophytenbekämpfung oder im Wald helfen. Lohn gibt es keinen.
Jedes Mal, wenn Amini zum Therapeuten geht, bekommt er ein ÖV-Ticket ausgehändigt. Der Iraner braucht psychologische Hilfe, weil er nachts nicht schlafen kann. Jahrelang von der Nothilfe zu leben, hat Spuren hinterlassen: «Das macht psychisch kaputt. Auch dein Körper geht kaputt. So viele Sorgen, so viel Angst», sagt er. Keine Zukunft, keine Perspektive, kein Horizont – Amini ist abgestürzt, so wie die meisten Nothilfebezüger.
Acht bis neun von zehn Nothilfe-Bezügern leiden an Depressionen. Jeder Dritte hat Selbstmordgedanken. Drei Viertel weisen mehrere psychische Erkrankungen auf. So lautet das Ergebnis einer Untersuchung aus dem Jahr 2018. Die Situation ist aus Sicht von 500 Fachleuten dramatisch. Deshalb haben sie 2022 einen offenen Brief unterschrieben und gefordert, das System grundlegend zu überarbeiten.
Menschen wie Amini soll es erlaubt sein, zu arbeiten, lautet eine der Forderungen. Doch: Er selbst hat mit dem Leben längst abgeschlossen. Für die Zukunft wünscht er sich: «Nichts. Ich bin nicht mehr 30 oder 40 Jahre alt. Es spielt keine Rolle», sagt er resigniert. Amini glaubt, dass im Iran der Tod auf ihn wartet – und in der Schweiz hat er keine Perspektive.