Sie ist Staatssekretärin, Spitzendiplomatin, frühere Uno-Sonderbotschafterin – und eine ausgezeichnete Unterhalterin. Das Interview ist schon lange beendet, doch Christine Schraner Burgener (59) ist in Fahrt, tischt eine Anekdote nach der anderen auf: Wie ihr Mann wegen eines sexistischen Spruches ein Wortgefecht mit dem deutschen Altbundeskanzler Gerhard Schröder (79) austrug; wie sie Hamburgs damaligem Erstem Bürgermeister Olaf Scholz (65) die Kanzlerschaft prognostizierte und ihm später eine augenzwinkernde «Hab ich’s dir doch gesagt»-Karte schickte; wie damals …
Die Staatssekretärin für Migration hat ein Talent dafür, Nähe herzustellen. Sie behandelt jeden Besucher so, als ob sie ihn schon lange kennen würde – auch die Journalistin, die sie zum zweiten Mal trifft.
Im Eifer des Gefechts zu offen
Manchmal allerdings wird ihr ihre flotte Zunge zum Verhängnis. Im Gespräch mit SonntagsBlick verrät sie einen Personalentscheid, der noch gar nicht öffentlich ist. Und gegenüber der «NZZ» sagte sie kürzlich, dass Personen mit S-Status nach Abschluss einer Lehre automatisch im Land bleiben dürften. Das stellte sich als falsch heraus – das Staatssekretariat für Migration (SEM) musste korrigieren.
Der eigentliche Anlass für das Treffen mit der Staatssekretärin ist aber das Nein des Parlaments zu den Asyl-Containern. Denn Schraner Burgener, seit 2022 im Amt, erlebt gerade die unangenehmen Auswirkungen des Wahlkampfs auf ihre Arbeit.
Die SVP hat sich auf das Migrationsthema eingeschossen und kritisiert fast täglich die Arbeit von Schraner Burgeners Chefin, SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (59). Diese ist neu im Amt, scheint noch nicht angekommen – und wird dabei gelegentlich noch von Finanzministerin Karin Keller-Sutter (59) untergraben. Die Scherben zusammenzuwischen, bleibt Schraner Burgener überlassen. Jüngstes Beispiel sind die Asyl-Container.
Ständeräte gegen Kantone
Wegen der steigenden Asylzahlen hatte Justizministerin Baume-Schneider vorgeschlagen, Containersiedlungen mit 3000 Betten zu erstellen. Unter Anleitung der Mitte-Ständeräte Benedikt Würth (55) und Beat Rieder (60) lehnte eine Allianz aus Mitte, FDP und SVP die Asyl-Container in der Sommersession ab – entgegen der inständigen Bitte der Kantone.
Einen guten Grund, die Container abzulehnen, gab es eigentlich nicht. Die Mitte-Ständeräte aber bemängelten: Das Geschäft sei schlecht aufgegleist gewesen.
Sie könne diesen Vorwurf nicht nachvollziehen, sagt Schraner Burgener im Gespräch. «Wir haben die Rechtslage sauber abgeklärt. Und haben die Kantone und jene Gemeinden, bei denen die Kantone dies wünschten, mit einbezogen.» Sie sei weiterhin überzeugt, dass die Asyl-Container die beste Lösung gewesen wären. Doch es gelte selbstverständlich, den Entscheid zu akzeptieren. «Wir schauen jetzt gemeinsam mit den Kantonen, wie wir die Unterbringung hinkriegen», sagt die Juristin pragmatisch.
Um dann doch noch leise Kritik anklingen zu lassen: «Wenn irgendwo auf der Welt Wahlen sind, werden gewisse Themen sehr oft instrumentalisiert, um Ängste auszulösen.» Das finde sie «unehrenhaft».
Frühe Kämpferin für Gleichstellung
Diplomatisch zu sein, ohne aufs Maul zu hocken, darin hat Schraner Burgener Übung. Vor 30 Jahren, zu Beginn ihrer Karriere, waren auf Diplomatenstufe keine Teilzeitpensen erlaubt. Schraner Burgener war klar, was das heisst: Als Frau würde sie sich zwischen Kindern und Karriere entscheiden müssen – oder in Kauf nehmen, ihre künftigen Kinder kaum zu Gesicht zu bekommen.
Mehrmals fragte die Juristin beim Aussendepartement (EDA) nach, ob sich das nicht ändern liesse. Ohne Erfolg. «Also schickte ich Bundesrat Flavio Cotti einen handgeschriebenen Brief und erläuterte ihm das Problem.» Der lud sie zum Gespräch ein. Und kam zum Schluss: Die Regel gehört abgeschafft.
Jobsharing mit ihrem Mann
Nach der Geburt ihres ersten Kindes setzte Schraner Burgener eine weitere Neuerung durch: Sie und ihr Mann, ebenfalls Diplomat, übernahmen den ersten Botschafterposten im Jobsharing. «Wir wechselten uns im Büro und bei der Kinderbetreuung ab.» Eine Win-win-win-Situation sei das gewesen: «Denn auch der Bund profitierte: Am Abend konnten mein Mann und ich jeweils an unterschiedliche dienstliche Anlässe gehen.»
Schraner Burgener verfolgt ihre Ziele freundlich, aber hartnäckig. Wobei sie, eher untypisch für eine Schweizerin, auch ihre Erfolge nicht versteckt. Kommt sie auf ihre Zeit als Botschafterin in Thailand zu sprechen, erwähnt sie beiläufig, dass wegen des blühenden Sextourismus mit Kindern auf ihre Anregung hin eine Sensibilisierungskampagne in lokalen Schulen und in Dörfern durchgeführt werde. Oder dass sie sich als Schweizer Asyl-Chefin auch mal direkt mit Uno-Generalsekretär António Guterres (76) austauscht.
Christine Schraner Burgener (59) ist seit Anfang 2022 Staatssekretärin für Migration. Davor war sie Uno-Sonderbotschafterin für Myanmar, wo sie mit der Militärregierung verhandelte und sich für die Rohingya-Flüchtlinge einsetzte. Die ersten zehn Lebensjahre verbrachte Schraner Burgener in Japan. Später studierte sie Recht an der Uni Zürich und trat 1991 in den diplomatischen Dienst ein. Schraner Burgener ist verheiratet und hat zwei Kinder. Ihr Mann, Christoph Burgener, ist derzeit Botschafter in Zypern.
Christine Schraner Burgener (59) ist seit Anfang 2022 Staatssekretärin für Migration. Davor war sie Uno-Sonderbotschafterin für Myanmar, wo sie mit der Militärregierung verhandelte und sich für die Rohingya-Flüchtlinge einsetzte. Die ersten zehn Lebensjahre verbrachte Schraner Burgener in Japan. Später studierte sie Recht an der Uni Zürich und trat 1991 in den diplomatischen Dienst ein. Schraner Burgener ist verheiratet und hat zwei Kinder. Ihr Mann, Christoph Burgener, ist derzeit Botschafter in Zypern.
Den Uno-Chef am Draht
Der Kontakt mit dem obersten Uno-Beamten kommt nicht von ungefähr. Von 2018 bis 2022 war sie als Uno-Sonderbotschafterin für Myanmar im Einsatz – eines der höchsten Ämter, die die Uno zu vergeben hat. Die Juristin verhandelte mit dem burmesischen Militärregime, rapportierte an den Uno-Sicherheitsrat und versuchte, das Schicksal von Hunderttausenden Rohingya-Flüchtlingen zu verbessern.
Zurück in der Schweiz, ging es Schlag auf Schlag weiter. Kaum war sie als Staatssekretärin im Amt, überfiel Russland die Ukraine. Zehntausende Flüchtlinge suchten hierzulande Schutz. Nicht alles lief gut, nicht immer glückte die Kommunikation zwischen Behörden und Flüchtlingen. Doch insgesamt meisterten Bund und Kantone die Krise passabel: Privatpersonen öffneten ihre Türen, niemand musste draussen übernachten.
Applaus von links bis rechts
Für ihr Management der Flüchtlingskrise erhält SP-Mitglied Schraner Burgener parteiübergreifend Lob aus dem Parlament. Allerdings gibt es an ihrer Amtsführung auch Kritik: Sie sei als Staatssekretärin zu sehr Diplomatin. Und ihr fehle das Gespür für die Mechanismen der Schweizer Innenpolitik.
Über die Kritik, dass sie Kantone oder Parlamentarier zu wenig einbinde, zeigt sich die SEM-Chefin erstaunt: «Ich bin ständig im Parlament und erkläre unseren Standpunkt.» Sie spreche von links bis rechts mit allen Politikern, habe auch am SVP-Parteitag in Horn TG teilgenommen. «Was ich aber nicht kann, ist, dort meine eigene Meinung zu äussern.» Sie vertrete nicht ihre persönliche Ansicht, sondern den Gesamtbundesrat. «Da bin ich loyal.»
In solchen Fällen ist Schraner Burgener wieder ganz Diplomatin. Wenn auch eine ungewöhnlich zugängliche.