Blick macht den Faktencheck zum Migrationspapier der SVP
Zuwanderungs-Desaster – wirklich?

Die SVP hat ein neues Positionspapier zur Migration präsentiert. Darin äussert sie sich zu Einbürgerungen, der Kriminalität und der Wohnungsnot. Blick macht den Faktencheck.
Publiziert: 04.08.2023 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 04.08.2023 um 08:55 Uhr
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Am Donnerstag hat die SVP ein neues Positionspapier vorgestellt.
Foto: keystone-sda.ch

«Es kommen zu viele und es kommen die falschen»: Unter diesem Titel macht die SVP seit Wochen Wahlkampf mit ihrem Kernthema: der Zuwanderung. Am Donnerstag präsentierte sie ein neues Positionspapier zur Migrationspolitik und forderte unter anderem, dass in der Schweiz keine Asylverfahren mehr durchgeführt werden sollen, dass Migranten keine Sozialhilfe mehr erhalten sollen und dass Einbürgerungen nur auf Probe erfolgen sollen: Wer kriminell wird, soll den Schweizerpass wieder verlieren.

Damit soll die Schweiz unattraktiver für Zuwanderer werden. Denn diese wären für die meisten Probleme der Schweiz verantwortlich. Doch stimmt das? Blick macht den Faktencheck.

Es droht die 10-Millionen-Schweiz

Die Schweiz sei einem beispiellosen Zuwanderungsdruck ausgesetzt, heisst es im Positionspapier. Die 10-Millionen-Schweiz werde schon bald Tatsache sein, befürchtet die Partei. Womit die SVP recht hat: Dass die Wohnbevölkerung seit dem Jahr 2000 um 1,5 Millionen Menschen zugenommen hat, ist auf die Einwanderung zurückzuführen. Und es gibt Szenarien beim Bund, die bis 2034 mit über 10 Millionen Einwohnern rechnen. Experten trauen der Einschätzung aber nicht. So sagte der Demografie-Forscher Hendrik Budliger gegenüber Blick: «Für wahrscheinlicher halte ich das tiefe Szenario, wonach wir die 10 Millionen gar nie übertreffen werden.»

Es kommen Billigarbeiter statt Fachkräfte

Ein Grossteil der Zuwanderer seien «Unqualifizierte und Familiennachzügler», schreibt die SVP. Vier von fünf Zuzügern seien keine Fachkräfte. Sie bezieht sich dabei auf eine Studie, die die Jahre 2007 bis 2016 abdeckt. In der Zwischenzeit hat die Schweiz aber den Inländervorrang und die Stellenmeldepflicht eingeführt, und Kontingente für Drittstaaten angepasst. Gemäss der neusten Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung verfügen über 51 Prozent der zugewanderten Erwerbstätigen aus der EU über einen Tertiärabschluss, nur 8 Prozent gelten als Hilfskräfte.

Ausländer beziehen mehr Sozialhilfe

Die SVP spricht von einer «Einwanderung in den Sozialstaat». Tatsächlich beziehen Schweizer deutlich weniger oft Sozialhilfe (2 Prozent) als Ausländer (6,1 Prozent). Die SVP hat recht. Gestiegen ist zudem die Anzahl der Sozialhilfebezüger, die als Flüchtlinge oder als vorläufig aufgenommene Personen in der Schweiz leben.

Wohnungsnot und teure Mieten

Wie schwer es ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden, wissen nicht nur Stadtzürcherinnen und Genfer. Schuld am Wohnungsmangel seien die Zuwanderer, so die SVP. Sie verweist auf eine Studie der Credit Suisse, die «die anhaltend hohe Zuwanderung und der Zustrom von Flüchtlingen als zwei der Hauptfaktoren der Wohnungsknappheit» nennt. Ja, die Zuwanderung verschärft die Krise am Wohnungsmarkt. Aber die Studie sagt auch, dass massiv weniger Wohnungen gebaut werden als noch vor wenigen Jahren. Das wiederum liegt an steigenden Zinsen, Bauvorschriften und Einsprachen.

Wegen der Zuwanderung ist der Strom teurer

Wegen des «migrationsbedingten Strommangels» müsse die Schweizer Bevölkerung mehr für den Strom zahlen, behauptet die SVP. Sie lässt dabei aber ausser Acht, dass Preistreiber vor allem der Krieg in der Ukraine war und zudem viele französische AKWs ausfielen. Sie hat aber recht, wenn sie feststellt, dass mehr Leute in der Schweiz auch mehr Strom benötigen.

Milliardenteures Asylwesen

Die SVP schreibt, dass der Bund 2021 Asylausgaben von 1,5 Milliarden Franken gehabt habe. Für 2023 seien gar vier Milliarden budgetiert. Die Zahlen beziehen sich wohl auf das Budget des Staatssekretariats für Migration (SEM). Dieses weist für 2021 Asylkosten von 1,2 Milliarden aus – 300 Millionen weniger. Für 2023 wurden tatsächlich zusätzliche 2,1 Milliarden budgetiert, wegen des Kriegs in der Ukraine.

Ausländer sind für die Kriminalität verantwortlich

«Die Schweiz hat ein ungelöstes Problem mit der Ausländerkriminalität», schreibt die SVP und stellt eine Grafik des Bundesamts für Statistik dazu: Demnach sollen gerade mal 23,1 Prozent der Personen in Untersuchungs- oder Sicherheitshaft Schweizer sein – der Rest Ausländer. Tatsächlich gibt es diese Grafik. Doch den grössten Teil davon machen Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligungen aus. Es sind Kriminaltouristen.

Recht hat die SVP, wenn sie feststellt, dass von den 67’286 Beschuldigten 2021 60,7 Prozent Schweizer Staatsangehörige und 39,3 Prozent Ausländer waren. Also deutlich mehr als der Ausländeranteil von rund 25 Prozent. Auch in den Schweizer Gefängnissen ist der Ausländeranteil mit rund 70 Prozent im europäischen Vergleich sehr hoch.

Zu viele Einbürgerungen

Die SVP und das Thema Grafiken ... Immer wieder greift die Partei zu Tricks, um Entwicklungen zu frisieren. Dafür finden sich auch im neuen Migrations-Papier Beispiele. Besonders schön ist dieses: Die Grafik zu den «Masseneinbürgerungen» erweckt den Eindruck, dass die Schweiz mit dem roten Pass je länger je mehr um sich wirft. Es stimmt, dass in den letzten 30 Jahren mehr als eine Million Menschen eingebürgert wurden. Aber es werden nicht jedes Jahr mehr, wie die SVP suggeriert. Die Zahlen schwanken seit zwei Jahrzehnten zwischen 30’000 und 40’000 pro Jahr.

Wie die SVP mit der Grafik zu den Einbürgerungen trickst.
Foto: SVP-Positionspapier
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