Die Rezepte der Parteien
Nach Autobahn-Knall: Hat die Schweiz genug vom Wachstum?

Teile der Bevölkerung sind skeptisch gegenüber dem Wachstum. Dies zeigte das Nein zum Autobahn-Ausbau. Nun schwebt die Angst vor der 10-Millionen-Schweiz über Bern und beeinflusst die Politagenda. Was tun die Parteien? Blick hat nachgefragt.
Publiziert: 01:10 Uhr
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Trotz Stau wollen die Schweizer keinen Autobahnausbau. Ein Zeichen für die Wachstumsskepsis?
Foto: keystone-sda.ch

Wachstum! Es wurde einst als Allheilmittel für Wohlstand und blühende Wirtschaftswelten angesehen. Doch die Schweizerinnen und Schweizer machen da nicht mehr zwingend mit. Zweifel tauchen auf, ob Nachteile wie Landverschleiss, höhere Mieten oder volle Züge nicht überwiegen. Auch deshalb stimmten die Bürger am Sonntag gegen den Autobahnausbau – bis hinein in bürgerliche Kreise. 

Wie weiter? Was ist zu tun? Ist der Wachstumsskepsis zu begegnen? Die Frage wird in Bern an Gewicht gewinnen. Bald wird das EU-Dossier wieder aktuell. Und das Stimmvolk wird über die SVP-Initiative gegen eine 10-Millionen-Schweiz abstimmen. Diese zielt voll auf die Wachstumsskepsis.

Das Thema ist auch im Bundesrat aktuell. Vergangene Woche brachte SP-Justizminister Beat Jans (60) einen Strauss an Vorschlägen in die Landesregierung ein, wie die SVP-Initiative bekämpft werden könnte. Seine Vorschläge wurden zerpflückt. Das Thema bleibt auf der Agenda.

Welche Rezepte haben Parlamentarierinnen und Parlamentarier? Wie wollen sie der Skepsis begegnen oder die Probleme lösen? Blick hat nachgefragt. 

Mitte: «Rigorose Umsetzung der Asylgesetze»

Zwei Punkte nennt Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (60), um der Skepsis in der Bevölkerung entgegenzutreten. «Im Asylwesen müssen die bestehenden Gesetze rigoros durchgesetzt werden, etwa beim Familiennachzug.» Weiter fordert Schneider-Schneiter die Wirtschaft auf, mehr Verantwortung zu übernehmen. «Die Industrie muss das Inländerpotenzial stärker nutzen, ältere Arbeitnehmende einstellen und schauen, dass die Teilzeitpensen erhöht werden.» Dabei spricht sich die Baselbieter Politikerin gegen eine Zuwanderungsgebühr aus. «Der Basler Metzger kann sich diese Gebühr nicht leisten, wenn er einen Elsässer anstellt.»

Längerfristig werde sich das Problem aber von selbst lösen, sagt Schneider-Schneiter: «Die Schweizer Bevölkerung schrumpft. 2050 ist der Peak erreicht und wir werden dann auch mit Zuwanderung insgesamt nicht mehr wachsen.»

Gewerkschaftsboss: Kinderzulagen und Kündigungsschutz

Gewerkschaftsboss und SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard (56) sieht in der Wachstumskritik zumindest eine teilweise Erklärung für das Autobahn-Nein. «Die SVP-Initiative löst kein Problem, aber sie findet Sympathien in breiten Kreisen», beobachtet er. «Entscheidend ist daher, dass alle vom Wachstum profitieren. Dafür müssen wir die Kaufkraft stärken.»

Maillard plädiert für lohnpolitische Massnahmen wie höhere Kinderzulagen. Ebenso einen besseren Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmende. Und den Lohnschutz sieht er als wirksame Schutzklausel. «Wichtig ist, dass die Arbeitgeber die neuen Arbeitnehmenden nicht benützen können, um die bisherigen zu verdrängen. Dann können wir überzeugen.»

FDP: Schweizer müssen Pensen hochschrauben

«Heute sind grosse Projekte unmöglich geworden», sagt der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen (43). Das sei nicht nur bei den Autobahnen so, sondern auch bei der Bahn und im Energiesektor. «Schweizerinnen und Schweizer wollen sich gar nicht mehr für das grosse Ganze einsetzen.» Ein Jahrhundertausbau, wie etwa bei der Bahn 2000? «Heute leider undenkbar.» Das zeige auch der schleppende Aufbau von Photovoltaik und Windkraft.

Die Angst vor der Zuwanderung würde dazu ein bedeutender Teil beitragen. «In meinem Umfeld war es das meistgeäusserte Argument», sagt Wasserfallen. Die Bevölkerung von dieser Angst zu lösen, müsse daher Priorität haben. Aber sicher nicht so, wie es etwa Bundesrat Jans probierte: «Die Vorschläge sind kontraproduktiv zu dem, was man eigentlich erreichen will.»

Wasserfallen sagt: «Die grosse Zuwanderung ist Resultat der Wirtschaft und des Familiennachzugs – da müsste man dämpfen.» Etwa damit, dass ausländischen Arbeitskräften weniger Langzeitbewilligungen gewährt werden. «Wenn allen gleich ein B-Ausweis gegeben wird, führt das zu einer Sogwirkung.» Und Schweizer sowie hier lebende Ausländer müssten im Gegenzug ihre Arbeitspensen wieder hochschrauben.

Bei der Asylmigration müsse zudem geschaut werden, dass das Dublin-Abkommen wieder besser funktioniere. «Dank Dublin kann man die meisten Fälle an andere Länder abschieben», sagt Wasserfallen. Ausgerechnet die SVP, die sich für einen Austritt aus dem Dublin-Raum einsetzt, wolle dies nicht begreifen.

SVP: Personenfreizügigkeit beenden

Die SVP hat sich für den Autobahnausbau ausgesprochen – und verloren. Fraktionschef Thomas Aeschi (45) sieht die Politik seiner Partei aber bestätigt, was das Thema Wachstumsskepsis anbelangt. «Wir warnen seit Jahren, dass die Schweiz zubetoniert wird, dass zu viele Leute in die Schweiz kommen und es bei der Infrastruktur wie Strassen und ÖV eng wird.» Der Zuger sagt: «Viele Bürger sehen den Nutzen des Wachstums durch Zuwanderung nicht mehr. Dem Mittelstand geht es heute schlechter als noch vor einigen Jahren.» Deshalb müsse die Schweiz die Zuwanderung «eigenständig begrenzen», auch wenn dies zu Konflikten mit der EU führe.

GLP: Keine masslosen Projekte

GLP-Fraktionschefin Corina Gredig (37) zählt frühere Initiativen zum Naturschutz auf, die die Schweizerinnen und Schweizer angenommen haben. «Die Schweizer wollen ein nachhaltiges Wachstum, nicht aber einen radikalen Wachstumsstopp» bilanziert die Zürcherin. Ihre Lehre aus dem Abstimmungssonntag: «Es braucht breit abgestützte Vorlagen. Ein Lager kann nicht einseitige und masslose Projekte durchdrücken.» 

Und sonst? «Es braucht mehr Ehrlichkeit», fordert Gredig. Viele Jobs könnten ohne Zuwanderung nicht besetzt werden. Bei den Gipsern etwa stammten 75 Prozent aus dem Ausland. «Bauen wir unsere Häuser selbst, wenn es keine Zuwanderung mehr gibt?», fragt sie. Gredig fordert eine Familienpolitik, «die man auch Familienpolitik nennen kann». Dies würde es ermöglichen, dass Eltern mehr arbeiten könnten. «Die Sorge Nummer 1 der Unternehmen ist, dass sie keine Leute finden, wir haben eine historische tiefe Geburtenrate und viele Arbeitnehmende gehen in die Rente. Aber wir tun viel zu wenig.»

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