Auf einen Blick
- Linke und Gewerkschaften gewinnen bei der BVG-Reform-Abstimmung
- Politologen und Politiker sprechen von Misstrauen als Grund
- Über zwei Drittel der Abstimmenden sagten Nein zur Reform
Am Sonntagmittag schallte grosser Jubel durch das Kulturzentrum Progr in Bern. Schon wieder. Die Linken und die Gewerkschaften gewinnen bei der Vorsorge erneut: Über zwei Drittel der Abstimmenden sagen Nein zur BVG-Reform. Es sei ein «Denkzettel für die Bürgerlichen», sagte SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (36) zum Triumph.
Politologin Cloé Jans (38) spricht bei Blick von einem regelrechten «Abschiffen» der Vorlage. «Der Moment, als das Vertrauen in die Zahlen gebröckelt hat, war entscheidend.» Dazu hätten die linken Parteien gut mobilisieren können. Zudem hätte die Stimmbevölkerung das Gefühl gehabt, mehr zu bezahlen und weniger zu bekommen.
SP-Ständerätin Flavia Wasserfallen (45) sprach von einem «Wendepunkt». Das Ergebnis habe ein riesiges Gewicht bei den weiteren Verhandlungen zu einer neuen Reform.
Neue Reform in den kommenden Jahren fraglich
Wann diese kommt, bleibt jedoch offen. In der Elefantenrunde von Blick bezweifelten die Parteipräsidenten der Mitte und der FDP, Gerhard Pfister (61) und Thierry Burkart (49), dass in den kommenden Jahren eine neue Reform vors Volk kommt.
Pfister monierte zugleich, dass die Uneinigkeit innerhalb des bürgerlichen Lagers ein Grund für das Scheitern sei. Teile der SVP und FDP hätten eine geschlossene Allianz verunmöglicht, sagt Pfister zu Blick.
«Ein schwaches Argument», konterte SVP-Präsident Marcel Dettling (43). Er kritisiert stattdessen den «SP-Filz» beim Bundesamt für Sozialversicherungen, das die AHV-Berechnungsfehler verantworten musste.
Bedauern und scharfe Worte gegen die Linken
Die FDP sprach von einer «Angstkampagne» der linken Parteien, die in der Bevölkerung grosse Verunsicherung ausgelöst habe. Die Grünliberalen sahen im Niedergang der BVG-Reform eine verpasste Chance, die zweite Säule nach mehr als 20 Jahren Reformstau endlich zu modernisieren und Systemfehler zu beseitigen.
Grosser Streitpunkt bleibt die Rentenlücke. Die Renten der Frauen aus der 2. Säule sind im Schnitt 44 Prozent tiefer als die von Männern. Mit dem Nein bliebe die Lücke ungelöst, moniert der Frauendachverband Alliance F. Das Stimmvolk habe eine historische Chance verpasst, die Rentensituation vieler Frauen im Land zu verbessern.
Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone (36) hielt bei Blick dagegen: Das Nein zur BVG-Reform sei auch für die Frauen gut. «Jetzt braucht es eine echte Verbesserung für die Frauen, die auch die unbezahlte Arbeit in den Familien wahrnimmt», sagte Mazzone bei Blick.
Bundesrat will Lösungen finden
Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider (60) unterstrich an einer Medienkonferenz ebenfalls die schlechtere Rentendeckung der Frauen. Der Umwandlungssatz bleibe ein Problem für die Pensionskassen. Die Eintrittsschwelle führe dazu, dass Menschen mit tiefen Einkommen nur geringe Beiträge bekommen. Mit der Ablehnung der Reform blieben die Herausforderungen bei der zweiten Säule bestehen.
«Wir müssen sicherstellen, dass die Schweiz ihr Versprechen auf ein würdevolles Leben im Alter einlöst», sagte Baume-Schneider. Der Bundesrat werde nun mit den wichtigsten Akteuren zusammensitzen und versuchen, Lösungen zu finden.
Gewerbeverband fordert höheres Rentenalter
Auch zahlreiche Wirtschaftsverbände nehmen die deutliche Ablehnung mit Bedauern zur Kenntnis. Der Schweizerische Gewerbeverband schreibt in einer Medienmitteilung, dass er sich nun für eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters einsetzen wolle. Zugleich wirft der Verband den Linken vor, sie hätten sich aus ideologischen Gründen gegen die Vorlage gewandt.
Der Schweizerische Arbeitgeberverband sowie Swissmem, der Verband der Tech-Industrie, richteten ebenfalls scharfe Worte an die Reformgegner. Eine BVG-Reform sei auf Jahre vom Tisch, schreibt Swissmem in einer Medienmitteilung. Der Pensionskassenverband Asip fordert nach dem Volksentscheid einen Marschhalt.
Anders beim Gastronomieverband Gastrosuisse: Das Schweizer Stimmvolk habe sich damit gegen eine willkürliche und unnötig komplexe Umverteilung gestellt, schreibt der Verband. Gastrosuisse war Teil der Wirtschaftsallianz «Nein zur BVG-Scheinreform». Dazu gehörten auch der Westschweizer Arbeitgeberverband Centre Patronal und kleinere Branchenverbände.