Gewerkschaftsboss und SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard (56) kann schon wieder jubeln: Anfang Jahr hat er den Kampf für die 13. AHV-Rente sowie gegen die jungfreisinnige Renten-Initiative gewonnen. Nun hat er auch die umstrittene Pensionskassen-Reform gebodigt. Im Blick-Interview verrät er, wo er bei der beruflichen Vorsorge und ansetzen und wie er die AHV noch stärker machen will.
Blick: Herr Maillard, bei der Abstimmung über das höhere Frauenrentenalter haben die Gewerkschaften den Nimbus der Unbesiegbarkeit in der Rentenpolitik verloren. Mit den jetzigen Abstimmungserfolgen sind sie wieder ein Machtfaktor. Wie werden Sie diese Macht nutzen?
Pierre-Yves Maillard: Was jetzt allen klar sein muss: Das Volk will keine Rentensenkungen mehr! Die Bürgerlichen wollten nach ihrem knappen Erfolg beim Frauenrentenalter den Leistungsabbau in der AHV und der beruflichen Vorsorge Stück für Stück vorantreiben. Und stattdessen weitere Steuerschlupflöcher in der dritten Säule öffnen. Das ist die Agenda der Finanz- und Versicherungsindustrie. Das Stimmvolk hat diese Pläne nun gestoppt.
Ein Stopp, der zu jahrelangem Stillstand führt?
Wir bieten Hand zu Reformen, welche die Renten verbessern, statt zu verschlechtern, weil die Renten einfach zu tief geworden sind.
Holen Sie den Sozialpartner-Kompromiss wieder aus der Schublade?
Arbeitgeberverband und Gewerkschaften haben mit dem Sozialpartner-Kompromiss einen ausgewogenen Vorschlag vorgelegt, das Parlament hat ihn vom Tisch gefegt. Allerdings hat sich die Ausgangslage mittlerweile geändert: Die Zeiten der Negativzinsen sind vorbei, eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes ist nicht mehr nötig.
Es gibt trotzdem Kassen, denen der Umwandlungssatz zu schaffen macht, und die die Versicherten stärker zur Kasse bitten. Lassen Sie diese im Stich?
Diese wenigen Kassen können die Probleme selbst lösen. Deswegen darf man doch nicht die Sicherheit für alle senken. Das Obligatorium ist ein Mindestschutz für alle.
Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.
Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.
Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.
Das sind die wichtigsten Eckwerte:
Tieferer Umwandlungssatz
Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.
Rentenzuschlag für Übergangsgeneration
Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.
Flexibler Koordinationsabzug
Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.
Angepasste Altersgutschriften
Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.
Tiefere Eintrittsschwelle
Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.
Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.
Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.
Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.
Das sind die wichtigsten Eckwerte:
Tieferer Umwandlungssatz
Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.
Rentenzuschlag für Übergangsgeneration
Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.
Flexibler Koordinationsabzug
Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.
Angepasste Altersgutschriften
Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.
Tiefere Eintrittsschwelle
Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.
Was schlagen Sie also vor?
Die Pensionskassen stehen mit einem Vermögen von 1200 Milliarden Franken finanziell ausgezeichnet da. Alleine die Reserven und Rückstellungen betragen rund 150 Milliarden Franken. Mit dem heutigen Nein sparen sie sich zudem die Kosten für die sogenannten Kompensationen. Davon müssen nun auch die Versicherten etwas haben.
Konkret?
Bei den Erwerbstätigen braucht es eine bessere Verzinsung des angesparten Altersguthabens. Und für die Rentner, die in den letzten Jahren massiv verloren haben, braucht es einen Teuerungsausgleich oder eine Sondergutschrift.
Das grosse Problem bleibt die Rentenlücke der Frauen.
Da müssen wir uns die AHV zum Vorbild nehmen. Das heisst, es braucht auch in der zweiten Säule Erziehungs- und Betreuungsgutschriften. Das können wir finanzieren, indem wir die überrissenen Vermögensverwaltungs- und Verwaltungskosten von jährlich über acht Milliarden Franken kappen.
Oder man streicht den Koordinationsabzug, damit mehr Alterskapital angespart werden kann.
Für die neuen Generationen bleibt die Senkung des Koordinationsabzugs eine Möglichkeit. Aber man muss sich bewusst sein: Mit dem heutigen BVG-System lässt sich für Geringverdienende keine gute Rente finanzieren. Das kostet unglaublich viel. Für Geringverdienende ist aber ohnehin die AHV viel wichtiger als die Pensionskasse.
Am liebsten wär der Linken doch eine Volkspension für alle ohne Pensionskassen. Planen Sie bereits eine Initiative dazu?
Nein. Mit dem Sozialpartner-Kompromiss haben wir bewiesen, dass wir für eine stärkere berufliche Vorsorge zu haben sind. Es braucht aber eine gewisse Dosis an Solidarität. Wenn den Bürgerlichen die zweite Säule so wichtig ist, bieten sie Hand dazu.
Und wenn nicht?
Dann tragen sie die Verantwortung am Status quo. Unser Fokus liegt aber klar bei einer Stärkung der AHV.
Das haben Sie mit der 13. AHV ja schon erreicht.
Ja. Und wenn das Parlament den Volkswillen hört, dann sollte die 13. AHV-Rente schon 2025 ausbezahlt werden. Zudem liegt mit der AHV-Initiative der Mitte ein Vorschlag auf dem Tisch, der die Deckelung der Ehepaarrenten abschaffen will. Diese Initiative beseitigt eine Ungerechtigkeit – besonders, wenn der Bundesrat die Witwenrente infrage stellt. Beim Stimmvolk hat sie sehr gute Chancen.
Dann braucht die AHV noch mehr Geld. Woher wollen Sie das nehmen?
Gemäss dem Bundesrat wird die AHV dieses Jahr ungefähr vier Milliarden Gewinn machen. Das heisst, dass die Einführung der 13. AHV-Rente mit einem Bruchteil eines Lohnprozents finanziert werden könnte. Dieser wiederum kann mit der absehbaren Senkung der Lohnbeiträge in der Arbeitslosenversicherung kompensiert werden. Eine moderate Mehrwertsteuererhöhung hingegen sollte dereinst der AHV-Initiative der Mitte vorbehalten bleiben.
Da werden FDP und SVP kaum mitmachen.
Ein Teil der Politik wird versuchen, die AHV finanziell mit hohen Defiziten zu schwächen, um so ein höheres Rentenalter zu erzwingen. Aber die Basis von allen Parteien wird dieser Strategie nie folgen. Darum werden die vernünftigen Kräfte jetzt die Lösungen finden.