Der Rubel rollt
«Schweizer Konzerne füllen Putins Kriegskasse»

Nach wie vor sind Schweizer Konzerne in Russland aktiv. Laut ukrainischen Aktivisten flossen mindestens 275 Millionen US-Dollar letztes Jahr an den russischen Staat.
Publiziert: 09.07.2023 um 10:40 Uhr
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Aktualisiert: 10.07.2023 um 08:10 Uhr
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Perfekte Fassade: Der Genfer Zigaretten-Konzern Japan Tobacco International ist nach wie vor in Russland aktiv – und zahlt dort Steuern.
Foto: keystone-sda.ch
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Die Ukrainerin Irina Pavlova (38) hat ein ambivalentes Verhältnis zur Schweiz. In Genf hat sie ihren Master gemacht – «eine tolle Zeit», wie sie sagt. Später zog sie nach München (D). Seit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine versteht sie die Schweiz nicht mehr: Wegen der Neutralität – und weil nach wie vor Schweizer Konzerne Geschäfte in Russland machen.

Pavlova arbeitet für die NGO B4Ukraine. Dahinter stecken proukrainische Organisationen, die Putin den Geldhahn zudrehen wollen. Pavlova ist überzeugt: Je mehr Unternehmen Russland verlassen, desto stärker gerät Putin unter Druck.

Schweiz auf dem Podest

Laut einer Untersuchung von B4Ukraine und der Kiew School of Economics steht die Schweiz an dritter Stelle, was ausländische Unternehmen in Russland betrifft. Nummer eins sind US-Konzerne mit einem Umsatz von 40 Milliarden Dollar (rund 36 Milliarden Schweizer Franken), gefolgt von Deutschland mit 23,2 Milliarden und der Schweiz mit 14,3 Milliarden, wie die «FAZ» berichtet. Allein Schweizer Unternehmen hätten dem russischen Staat 275 Millionen Gewinnsteuern gezahlt. «Schweizer Konzerne füllen Putins Kriegskasse», kritisiert Pavlova. Der Schweiz-Anteil von 275 Millionen sei konservativ gerechnet – schliesslich kämen weitere Steuern wie die Mehrwertsteuer hinzu.

B4Ukraine geht davon aus, dass nach wie vor 77 Firmen mit Schweizer Hauptsitz in Russland aktiv sind. Spitzenreiter sei der in Genf ansässige Tabakkonzern Japan Tobacco International (JTI), gefolgt vom Rohstoffhändler Glencore, dem Pharmariesen Novartis und dem Agrarkonzern Syngenta. Auf der SonntagsBlick vorliegenden Liste stehen auch Roche, Schokoladenhersteller Barry Callebaut, Lebensmittelhändler Nestlé oder Ems Chemie.

Die Aktivitäten der Konzerne in Russland sind legal, weil nicht von den Sanktionen betroffen. Doch sind sie legitim? Nein, findet Andrii Onopriienko (43), Ökonom in Kiew. «Wir fordern alle Konzerne auf, sich aus Russland zurückzuziehen. Unsere Daten zeigen, dass ausländische Unternehmen 2022 ihren Umsatz gegenüber 2021 sogar gesteigert haben.»

Was sagen die Schweizer Konzerne dazu? Japan Tobacco International (JTI) bestreitet die von Kiew genannte Zahl, wonach der Konzern 2022 knapp acht Milliarden Dollar Umsatz in Russland erwirtschaftet habe. JTI geht von zwei Milliarden aus. Allerdings bestätigt der Konzern: Das Russland-Geschäft macht elf Prozent des Umsatzes aus – und ist damit im Vergleich zu anderen Schweizer Konzernen überproportional gross.

Ems-Gruppe hat Russlandpräsenz reduziert

Glencore betont, der Konzern habe «keine operative Präsenz» in Russland, wolle aber den «rechtlichen Verpflichtungen aus vorbestehenden Verträgen nachkommen». Syngenta sagt: «Wir wollen den Bauern in Russland helfen, ihre Ernten nicht zu verlieren.» Der Schokoladenkonzern Barry Callebaut teilt mit: «Die Fortführung unserer Tätigkeit in Russland in dieser schwierigen Zeit ist auf unser Engagement zurückzuführen, unsere Kunden mit Lebensmitteln zu beliefern.» Die Ems-Gruppe lässt wissen: «Inzwischen ist das Geschäft zusammengebrochen. Der Mitarbeiterbestand reduzierte sich auf rund 35 Mitarbeiter.»

Yale-Professor Jeffrey Sonnenfeld (69) führt seit Kriegsausbruch eine schwarze Liste mit in Russland aktiven internationalen Unternehmen. Laut Sonnenfeld haben sich in die Kiewer Daten Fehler eingeschlichen. Dennoch kritisiert er mit scharfen Worten die in Russland verbleibenden Firmen: «Das ist zynisch und irreführend, weil ihre Präsenz Putins Kriegsmaschinerie anheizt.» Auch Schweizer Unternehmen sollten Russland verlassen, um so Druck auf die russische Gesellschaft auszuüben. Alles andere sei eine «Komplizenschaft mit Putins blutiger Invasion».

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