Der Jüngste will die Altersvorsorge retten
Der Coup des Andri Silberschmidt

Andri Silberschmidt im Hoch: Wie der Freisinnige einen unerwarteten Erfolg erzielte – deshalb nun aber Überstunden schieben muss.
Publiziert: 11.06.2023 um 20:18 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2023 um 16:18 Uhr
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Damit hat niemand gerechnet, nicht mal Andri Silberschmidt: Der Nationalrat will einen Gegenvorschlag zur Renten-Initiative der Jungfreisinnigen.
Foto: keystone-sda.ch
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Peter AeschlimannRedaktor

Andri Silberschmidt (29) hatte weiche Knie und einen kühnen Plan: einfach nochmals abstimmen. Am vergangenen Montag hatte der Nationalrat im ersten Anlauf eine Rückweisung der Renten-Initiative abgelehnt – mit 90 zu 89 Stimmen. Es seien nicht alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Saal gewesen, argumentierte Silberschmidt – und kam damit durch.

Was dann geschah, heisst bei der FDP inzwischen «Wunder von Bern». Der Rat wollte einen Gegenvorschlag und bediente sich dazu eines Vorschlags aus der Altersvorsorge 2020. Damals blieb der Gesetzentwurf chancenlos. Nun bescherte ihm der Nationalrat ein zweites Leben: Mit 93 zu 92 Stimmen erteilte die grosse Kammer der zuständigen Kommission den Auftrag, einen Entwurf für eine AHV-Schuldenbremse auszuarbeiten.

Auf dem Papier hat er die nötige Mehrheit

Die Zeit drängt. Bereits morgen Montag trifft sich die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N) über Mittag zu einer ausserordentlichen Sitzung. Diese hat die Dauer eines Fussballspiels – nach 90 Minuten muss der Text stehen. Auf dem Papier hat Silberschmidt die nötige Mehrheit: 13 der 25 Kommissionsmitglieder gehören FDP, GLP und SVP an, die für Rückweisung und Gegenvorschlag votierten. Dennoch gilt es alles andere als sicher, dass am Ende des Treffens ein zählbares Resultat herausschauen wird.

Drei Tage nach dem Coup schlendert er über das Gelände des Swiss Economic Forum in Interlaken BE. Stadler-Rail-Patron Peter Spuhler (64), Yves-Klein-blauer Anzug und weisse On-Sneakers, klopft ihm auf die Schulter. Silberschmidt mache einen grossartigen Job in Bern, so der alt SVP-Nationalrat: «Gut jedenfalls, gibt es dort nicht nur junge linke Frauen.»

Während Silberschmidt Kontakte mit einstigen Banker-Kollegen und Start-up-Leuten pflegt, isst er ein Glace und tippt Notizen fürs anschliessende Panel ins Handy. Was er Gründerinnen und Gründern verspreche, wird der Nationalrat auf der Bühne gefragt werden. Und Silberschmidt wird sagen: «Dass die Schweiz künftig nicht nur drei oder fünf Unicorns haben wird, sondern zwanzig.» Unicorns sind Start-ups, deren Wert über der Milliardengrenze liegt.

Selber Gründer eines Start-ups

Es ist seine Welt. Mit Freunden gründete er vor ein paar Jahren das Gastro-Start-up Kaisin, das an mittlerweile zehn Standorten Poké Bowls serviert, Umsatz: 7,5 Millionen Franken. Derzeit wirkt er als Sekretär des Verwaltungsrats beim Logistikunternehmen Planzer, ist im VR der Jucker Farm AG, Stiftungsrat der Stiftung Wohnungen für kinderreiche Familien in Zürich, präsidiert den Dachverband der Absolventinnen und Absolventen der Fachhochschulen und setzt sich mit der NGO Aiducation dafür ein, dass Talente aus Kenia oder von den Philippinen an Stipendien kommen.

«Ich tanze auf vielen Hochzeiten», sagt Silberschmidt. Mit 29 Jahren hat er bereits so viel bewegt wie andere in einem ganzen Leben. Kein Alkohol unter der Woche, viel Sport und acht Stunden Schlaf – das sei sein «Zaubertrick», das mache ihn leistungsfähig. «Während andere ausnüchtern und chillen, schreibe ich ein Positionspapier.»

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«Während andere chillen, schreibe ich ein Positionspapier.»
Andri Silberschmidt
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Das war aber nicht immer so. Als Teenager trug Silberschmidt Baggy Pants, hörte Rapmusik und kiffte. Nach zwei Jahren Latein schmiss er das Gymnasium. Am ersten Tag seiner Banklehre bei der ZKB sagte ihm Herr Widmer, der damalige Lehrmeister: «So läuft das hier aber nicht.»

Nach der 1.-August-Rede auf dem Bürkliplatz, die er als Stift halten durfte, habe es Klick gemacht, sagt Silberschmidt: Er war kein Sozialist, die junge SVP war ihm zu konservativ, also trat er den Jungfreisinnigen bei. In Hinwil ZH, wo er aufgewachsen ist, gründete er eine Bezirkspartei. Mit 22 war er Präsident der Jungfreisinnigen, mit 23 wurde er ins Stadtzürcher Parlament gewählt, ein Jahr später in den Nationalrat. Aus dem Hänger war ein Streber geworden.

Verbündete fand Silberschmidt mit den Grünliberalen

Kommt ein Gegenvorschlag zur Renten-Initiative zustande, könnte Silberschmidt seine erste Legislatur mit einem Grosserfolg krönen. Aber leicht wird es nicht. Die SP kündigte bereits Fundamentalopposition an: «Wir werden uns mit Händen und Füssen gegen eine Erhöhung des Rentenalters wehren», sagt Mattea Meyer (35).

Als Angehörige der SGK-N wird die Co-Präsidentin der SP morgen ebenfalls über den Gegenvorschlag befinden: «Einen Automatismus zur Erhöhung des Rentenalters oder Rentenkürzungen lehnen wir kategorisch ab.»

Verbündete fand Silberschmidt mit den Grünliberalen. Vizepräsidentin Melanie Mettler (45) sagt es so: «Die Initiative hat ein Problem benannt.» Für die AHV-Renten der langlebigen Babyboomer reichen die Lohnbeiträge der geburtenschwachen Jahrgänge nicht. Obwohl die 30- bis 55-Jährigen heute rechnerisch ein steigendes Arbeitsvolumen leisten, drohe bis 2050 eine Finanzlücke von rund hundert Milliarden Franken, sagt die Berner Nationalrätin. «Bei diesen Jahrgängen arbeitet zwar ein höherer Anteil zu höheren Prozentsätzen, aber weil es einfach so viel weniger Personen sind als bei den Babyboomern, reicht es trotzdem nicht.»

Finanzierung der AHV ist eine Hauptsorge der Schweizer

Eine Erhöhung des Rentenalters kommt für Mettler dennoch nur als letzte Option in Frage. Denn die bringe nicht den erhofften Effekt: «Wer es sich leisten kann, geht schon heute früher in Rente.» Zudem treffe eine temporäre Massnahme wieder dieselben geburtenschwachen Jahrgänge. Für Mettler ist der Gegenvorschlag ein «reiner Impuls», der die Politik zum Handeln zwinge: «Es geht um Fairness zwischen den Generationen.»

Silberschmidt ist es ernst. Die Finanzierung der AHV gehöre zu den Hauptsorgen des Landes. «Machen wir nichts, schwindet die Kaufkraft, der Wohlstand wird weniger.» Der Gegenvorschlag enthalte einen «Sicherheitsmechanismus»: Kommt vom Bundesrat keine Reform, greifen Automatismen. Wie die genau aussehen, sei noch offen, die Erhöhung des Rentenalters sei nur ein Instrument von vielen. «Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass niemand in den nächsten zehn Jahren bis 67 arbeiten werden muss.»

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