Josef Ender (51) nahm vor eineinhalb Jahren zum ersten Mal in seinem Leben an einer Demonstration teil. Heute kämpft der Bauernsohn aus dem Muotatal an vorderster Front gegen das Covid-Gesetz – und Bundesrat Alain Berset.
Er sitzt an einem kleinen Tisch im leeren Personalrestaurant des Schweizer Fernsehens. Vor Josef Ender stehen ein Spiegel und eine hohe Lampe, die grell-weisses Licht auf sein kantiges Gesicht wirft. Hier wird er an diesem Freitagabend für seinen Auftritt in der «Arena» zum Covid-Gesetz geschminkt.
In den Raum, in dem die «Arena»-Gäste normalerweise geschminkt werden, darf Josef Ender nicht. Er hat kein Covid-Zertifikat, und er weigert sich, eine Schutzmaske zu tragen. In einer knappen Stunde wird ihn ein Redaktor der «Arena» abholen und durch den Hintereingang ins Studio schleusen – vorbei am silbernen Mercedes von Bundesrat Alain Berset (49).
Corona-Herbst-Serie
Bauernsohn aus dem Muotatal
Eigentlich ist Ender unkompliziert. Aufgewachsen ist er auf einem Bauernhof im Muotatal, südlich der Mythen im Kanton Schwyz. Als er zur Schule ging, besuchte ab und zu ein Arzt die Klasse und impfte alle Schülerinnen und Schüler. Später, als seine beiden Töchter zur Welt kamen, vertraute er auf die Meinung des Kinderarztes und liess auch sie gegen die üblichen Krankheiten impfen. «Ich habe mir damals gar nicht gross Gedanken gemacht», sagt er.
Das hat sich mit der Pandemie radikal geändert. Heute steht Josef Ender als Sprecher des Aktionsbündnisses Urkantone an der Spitze der Gegner des Covid-Gesetzes, er misstraut den meisten Wissenschaftlern und sagt Sätze wie: «Für unter 70-Jährige liegt das Risiko von Covid-19 im Bereich der Alltagsrisiken wie Autofahren oder Bergwandern.» Jeder müsse daher selber entscheiden, ob er sich impfen lassen wolle. Er selbst sei gesund und tue es angesichts der unbekannten Langzeitfolgen sicher nicht.
Es ist am 28. November bereits das zweite Mal, dass die Stimmbevölkerung über das Covid-Gesetz entscheidet. Die Änderungen gegenüber März 2021, um die es diesmal geht, betreffen vorab das Covid-Zertifikat. Gerade dieses ist den Gegnern ein Dorn im Auge.
Es geht aber noch um einiges mehr. So wurden auch die Hilfsmassnahmen für von der Krise besonders Betroffene ausgeweitet. Die Härtefallgelder wurden aufgestockt, der Kreis der Selbständigen, die Erwerbsersatz erhalten, wurde erweitert. Zudem hat das Parlament eine Gesetzesgrundlage geschaffen, um Veranstaltern oder freischaffenden Künstlern unter die Arme zu greifen.
Es ist am 28. November bereits das zweite Mal, dass die Stimmbevölkerung über das Covid-Gesetz entscheidet. Die Änderungen gegenüber März 2021, um die es diesmal geht, betreffen vorab das Covid-Zertifikat. Gerade dieses ist den Gegnern ein Dorn im Auge.
Es geht aber noch um einiges mehr. So wurden auch die Hilfsmassnahmen für von der Krise besonders Betroffene ausgeweitet. Die Härtefallgelder wurden aufgestockt, der Kreis der Selbständigen, die Erwerbsersatz erhalten, wurde erweitert. Zudem hat das Parlament eine Gesetzesgrundlage geschaffen, um Veranstaltern oder freischaffenden Künstlern unter die Arme zu greifen.
Demo-Organisator in Bern
Jede und jeder Vierte in der Schweiz denkt ähnlich wie Ender. 26 Prozent der Erwachsenen sind immer noch nicht gegen Corona geimpft. Die Lautesten unter ihnen strömen am 23. Oktober zu Tausenden auf den Münsterplatz in Bern. Es sind Menschen vom Land, die Trycheln und Schweizer Fahnen mitgebracht haben, genauso wie Alternative, die Sonnenblumen «zur Deeskalation» an Demonstranten verteilen. Gemeinsam rufen sie immer wieder laut «Li-ber-té» in die kalte Herbstluft.
Mittendrin steht Josef Ender, mit einer orangen Weste über der Jacke und einem gelben Funkgerät um den Hals. Er, der vor Corona noch nie an einer Demonstration war, hat die grösste Corona-Demo im Land mitorganisiert. Er sagt: «Wir machen hier Abstimmungskampf. Die Menschen sollen sehen, dass es viele gibt, die nicht einverstanden sind mit der herrschenden Diskriminierung und der Zweiklassengesellschaft.»
Mein Corona-Herbst
Hass gegen Medien und Politik
Eine Frau, die unweit von Ender steht, zeigt auf ihn und sagt zu ihrer Begleiterin: «Siehst du, der Mann dort ist Josef Ender.» Als wir von ihr wissen wollen, weshalb sie hier sei, sagt sie: «Von welcher Zeitung sind Sie? Vom Blick? Dann rede ich nicht mit Ihnen.»
Sie ist nicht die Einzige, die sich weigert, mit uns zu sprechen. Angefeindet werden nicht nur Medienschaffende, sondern auch Bundesrat Alain Berset. Demonstranten halten Transparente in die Luft, auf denen steht «Alain Berset, fick dich» und «Ade Berset – der Lügenbaron muss gehen.»
Mehrheit für Covid-Gesetz
Der Abstimmungskampf dreht sich längst nicht nur um das Covid-Gesetz. Es ist vielmehr eine Abstimmung über die Corona-Politik des Bundesrates. Wer hinter der Regierung steht, stimmt Ja, wer ihren Kurs ablehnt, stimmt Nein.
Im Moment sind die Verhältnisse klar: Die ruhige Mehrheit unterstützt den Bundesrat. Rund 60 Prozent wollen laut Umfragen am 28. November Ja sagen. Auch Gesundheitsminister Berset erhält in Umfragen gute Noten für seine Arbeit.
Gesundheitsminister im Hintergrund
Berset hält sich im Abstimmungskampf allerdings zurück. Die Fernsehansprache zum Covid-Gesetz in der Deutschschweiz hält Sportministerin Viola Amherd (59), die nationale Impfwoche präsentiert Bundespräsident Guy Parmelin (62), und als Blick TV Berset während des Abstimmungskampfes mit der Kamera begleiten möchte, sagt er ab.
Stattdessen fokussiert er sich auf das epidemiologische Geschehen. «Man kann bei einer Pandemie nicht mit Ja oder Nein entscheiden, dass sie stoppt», sagt er. Bei seinen Auftritten vor den Medien muss er ab Mitte Oktober regelmässig auf die steigenden Fallzahlen hinweisen. Auch die Spitaleinweisungen nehmen wieder zu. An einer Medienkonferenz letzte Woche sagte Berset: «Die fünfte Welle ist da.»
Meinungen sind gemacht
Doch während Österreich angesichts explodierender Fallzahlen einen Lockdown für alle und eine Impfpflicht beschliesst und Deutschland die 3G-Regel auf den öffentlichen Verkehr ausweitet, tut der Bundesrat nichts. «Im Moment drängen sich keine zusätzlichen Massnahmen auf», sagte Berset vor einer Woche.
Manche werfen dem Bundesrat deshalb vor, er warte mit der Einführung neuer Massnahmen, bis die Abstimmung zum Covid-Gesetz vorüber sei. Allerdings haben die meisten ihre Meinung sowieso längst gemacht. Laut der aktuellsten Umfrage der SRG weiss nur ein Prozent der Bürgerinnen und Bürger noch nicht, wie abstimmen. Die persönliche Betroffenheit ist so hoch wie nie.
Deshalb kommt es am 28. November vor allem darauf an, wer an die Urne geht. Es sei wahrscheinlich, dass viele Menschen abstimmten, die sonst ein distanziertes Verhältnis zur Politik hätten und ein Zeichen setzen wollten, sagt Lukas Golder vom Meinungsforschungsinstitut gfs.bern. Aber: «Die Mobilisierung in den Skeptikerkreisen müsste unglaublich hoch sein, um das Ja-Lager noch einzuholen.»
Ender trifft Berset in der «Arena»
Josef Ender glaubt dennoch unbeirrt an den Sieg, als er im «Arena»-Studio zwischen zwei Plexiglasscheiben steht. Als Berset das Studio betritt, geht er direkt auf Ender zu und unterhält sich mit ihm. Es ist das erste Zusammentreffen der beiden.
In der Sendung wird schnell klar, wer mehr Erfahrung hat. Ender ringt zu Beginn um Worte, ist nicht so schlagfertig wie üblich. Erst als es um Datenschutz und das digitale Contact Tracing geht, wird der IT-Unternehmer sicherer.
Ender unzufrieden
Berset tritt zwar souverän auf, kann aber nicht auf grosse Unterstützung aus dem Ja-Lager zählen. GLP-Nationalrat Martin Bäumle (57) spricht zu gerne über sein CO2-Messgerät, um das es im Gesetz nicht geht, und Mitte-Vertreterin Priska Wismer-Felder (51) wirkt ähnlich blass wie die Ja-Kampagne der vergangenen Wochen.
Dennoch ist Josef Ender nach der Sendung nicht zufrieden. «Es hätte besser laufen können», sagt er. «Es ist halt immer schwierig, die Argumente parat zu haben.» Und worüber hat er als Bauernsohn aus dem Muotatal mit dem Bundesrat gesprochen? «Über die Mythen, ganz einfach.» So tief ist die Spaltung im Land vielleicht doch nicht.
Mehr zum Covid-Gesetz