Das Comeback der Lisa Mazzone
Sie soll die Grünen aus dem Tal der Tränen führen

Nach ihrer Abwahl wollte sie der Politik den Rücken kehren. Jetzt deutet alles darauf hin, dass Lisa Mazzone neue Grünen-Präsidentin wird. Der Job birgt Risiken.
Publiziert: 28.01.2024 um 00:07 Uhr
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Aktualisiert: 05.02.2024 um 14:33 Uhr
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Sie ist wieder da: Lisa Mazzone erklärte vergangene Woche ihren Rücktritt vom Rücktritt.
Foto: Keystone
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Peter AeschlimannRedaktor

Delegiertenversammlung der Grünen gestern in Luzern. Vorne redet Noch-Präsident Balthasar Glättli (51) ein letztes Mal die Wahlniederlage schön, die Kameras im Paulusheim sind aber alle auf die Türe ganz hinten im Saal gerichtet. Kommt sie? Kommt sie nicht?

Gut achtzig Tage ist es her seit dem Betriebsunfall. Seit jenem Sonntag im November, als die bis dahin stets steil nach oben verlaufende Politkarriere der Lisa Mazzone abrupt gestoppt wurde. Die Hoffnungsträgerin der Grünen verpasste überraschend die Wiederwahl in den Ständerat, belegte im Kanton Genf nur den dritten Platz hinter Carlo Sommaruga (SP) und Mauro Poggia vom Mouvement Citoyens Genevois (MCG). «C’est fini pour moi», sagte Mazzone damals mit Tränen in den Augen, für sie sei es das gewesen.

Dann betritt Lisa Mazzone den Raum. Mit 23 wurde sie in den Gemeinderat gewählt, mit 25 ins Kantonsparlament, mit 27 in den Nationalrat, mit 31 in den Ständerat. Und jetzt, mit 36, soll die Genferin die Grünen als nächste Parteipräsidentin aus dem Tränental führen.

Nach Wochen des Schweigens bestätigte Mazzone am Dienstag zeitgleich im «Tages-Anzeiger», bei «Le Temps» und RTS, womit zuletzt eigentlich alle gerechnet hatten: Sie bewirbt sich fürs Präsidium der Grünen. Nachdem sämtliche anderen aussichtsreichen Kandidatinnen und Kandidaten einen Rückzieher gemacht hatten, war das keine Überraschung mehr. Und Mazzone, auch das kein Geheimnis, ist so gut wie gewählt. Die Frau hat ihre Partei im Griff, sie hatte vorgespurt und ist wieder auf Kurs.

Nicht viel zu verlieren

Von Balthasar Glättli («Ich bin das Gesicht dieser Niederlage») würde Mazzone eine Partei übernehmen, die bei den letzten Wahlen herbe Verluste hinnehmen musste. Gegenüber Blick dreht sie diese Hypothek ins Positive: «Die Grünen haben viel zu gewinnen!» Sie wolle ihren Beitrag leisten, sagt sie, als hätte sie es auswendig gelernt: den Klimakollaps abwenden, die Biodiversitätskrise, Autobahnen und das Comeback der Atomkraft bekämpfen. Es herrsche starker Gegenwind. «Aufgeben ist keine Option.»

Lisa Mazzone hat aber zwei Probleme: Ihr Lebensmittelpunkt befindet sich in Genf, am westlichsten Zipfel der Schweiz. Dort wohnt sie mit ihrem Partner und den beiden Kindern, dort, im links-feministischen Zentrum, ist ihre politische Heimat. Das ist weit weg von den Machtzentren in Bern oder Zürich, und noch weiter weg von der Realität eines Grünen-Wählers im Kanton Appenzell Innerrhoden. Dass sie den urban-ruralen Spagat beherrscht, hat sie im Ständerat bewiesen. Dort galt sie als Brückenbauerin, die auch mit konservativen Kollegen wie dem Walliser Beat Rieder (Mitte) Deals schmieden konnte.

Doch einfach würde es bestimmt nicht. Das hat mit ihrem zweiten Problem zu tun. Jenem, das wohl schwerer wiegt: Eine Parteispitze ohne Parlamentsmandat birgt Risiken. Entscheidendes passiert in den Kommissionen beider Räte, und was dort verhandelt wird, ist theoretisch geheim. Wenn es dumm läuft, würde Mazzone eine Parteipilotin im Blindflug. Prominentes Beispiel: Ursula Koch, die erste SP-Präsidentin, versuchte es von 1997 bis 2000. Es ging bekanntlich schief, die Zürcherin musste auf internen Druck zurücktreten.

Eine aus dem Volk

Wer sich nicht an den Ratsdebatten beteiligen muss, hat allerdings auch einen Vorteil: mehr Zeit und vielleicht auch mehr Gespür fürs «Big Picture», die grossen Linien und die Anliegen der Parteibasis in den Kantonen. Balthasar Glättli gilt als Intellektueller, als brillanter Stratege, allerdings ohne strassentaugliche Rhetorik. Würde Lisa Mazzone am 6. April zu dessen Nachfolgerin gewählt, müsste sie wieder vermehrt die Nähe zur Basis suchen. Als eine aus dem Volk, ohne Bundeshaus-Badge, dürfte ihr das sogar besser gelingen.

Nötig wärs. Denn Teile dieser Basis werden immer ungeduldiger mit der Politik. Seit der Klimawahl 2019 ist die Stimmung zwischen aktivistischer Basis und Partei merklich abgekühlt. Kürzlich hat die Gruppierung Klimastreik Schweiz die nächste Eskalationsstufe gezündet: Der Systemwandel sei nicht mehr nur eine Option – sondern neu eine «notwendige Bedingung dafür, dass wir Klimagerechtigkeit und Netto-Null erreichen können».

Das klingt mehr nach Karl Marx als Bundesbern. Doch wie steht Lisa Mazzone, die noch nicht gewählte nächste Grünen-Präsidentin, zu diesem Systemwandel, dem «System Change»? Vor gut einem Jahr, zum Auftakt des Wahlkampfs 2023, sagte sie an der Seite Balthasar Glättlis: «Ja, wir wollen den System Change, ja, wir wollen den grünen Aufbruch für Klimaschutz, wir wollen Freiheit für alle.» Bahnt sich hier eine Versöhnung der kommenden Parteileitung mit der aktivistischen Basis an?

Lisa Mazzone hat für die Anliegen des Klimastreiks durchaus Gehör: «Wir teilen das Ziel einer lebenswerteren und gerechteren Zukunft für alle. Dazu gehören wichtige Veränderungen.» Welche Strategie zu diesem Ziel führt, sei eine andere Frage. Die Grünen hätten den institutionellen Weg gewählt – und dabei in der Vergangenheit auch immer wieder Erfolge erzielt. Etwa beim Mantelerlass, bei der Kreislaufwirtschaft oder der Reform des Sexualstrafrechts.

Am 7. April wählen die Grünen ihre neue Präsidentin. Alles deutet darauf hin, dass Lisa Mazzones Politkarriere nach einem kurzen Stottern weitergeht. Offen wäre dann einzig noch die Frage nach ihrem Lohn. Von den 28 000 Franken, die Balthasar Glättli fürs Amt bekommen hat, kann Mazzone als Berufsparteipräsidentin nicht leben. Doch auch für dieses Problem werden die Grünen für ihren auferstandenen Superstar eine Lösung finden.

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