SP-Gesundheitsminister Alain Berset (49) verspricht nicht nur einen, sondern gleich mehrere «Freudentage». Etappenweise, aber rasch sollen die meisten Corona-Schutzmassnahmen fallen. Der Grund: eine hohe Immunisierung von rund 90 Prozent in praktisch allen Altersgruppen – entweder durch die Impfung oder eine Infektion.
Zwar haben erst 70 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfdosis erhalten. Doch die durchrauschende Omikron-Welle sorgt für eine Durchseuchung der Bevölkerung – zum Glück mit milderem Verlauf als bei der Delta-Variante.
Damit verlieren viele Massnahmen an Bedeutung. Oder machen gar keinen Sinn mehr, weil die Kosten-Nutzen-Balance nicht mehr stimmt. Blick erklärt, welche Risiken mit Lockerungsschritten verbunden sind.
Homeoffice-Pflicht bremst Mobilität
Schon am Mittwoch dürfte der Bundesrat die Homeoffice-Pflicht aufheben und diese in eine Empfehlung umwandeln. Das Konzept, mit der Homeoffice-Pflicht die Mobilität und damit die Viruszirkulation zu reduzieren, hat teils durchaus Erfolg. In Zürich beispielsweise liegt der Pendlerverkehr noch deutlich unter Normalwert. Bei der Zählstelle Hardbrücke beträgt die Nutzerfrequenz derzeit über 80 Prozent. Im ersten Lockdown lag sie aber 2020 nur bei 40 Prozent. «Die Homeoffice-Pflicht hat einen gewissen Effekt, wird aber nicht mehr derart ernst genommen», sagt Peter Moser (58) vom Zürcher Statistik-Amt. «Die Leute machen auch eine Risikoabschätzung – und das Risiko scheint ihnen mittlerweile offenbar weniger hoch zu sein.»
Mit der Aufhebung der Homeoffice-Pflicht wird auch die ÖV-Nutzung wieder ansteigen. «In den letzten Wochen hat bereits ein Aufwärtstrend eingesetzt, dieser wird sich nach dem Ende der Pflicht noch rascher fortsetzen», sagt Moser. Nach den Sportferien rechnet Moser mit einer Normalisierung der ÖV-Nutzung. Das dürfte Läden und Gastronomie freuen – weil die Kunden wieder da sind.
Quarantäne bringt nur noch wenig
Neben der Homeoffice-Pflicht wird die fünftägige Quarantäne hinfällig. Bereits in der Konsultation Anfang Jahr hatte sich die Mehrheit der Kantone hinter den Schritt gestellt: Mit 17 zu 8 unterstützten sie den Vorschlag, dass eine Selbstquarantäne ohne behördliche Anordnung reicht. Mit 13 zu 12 befürwortete eine Mehrheit gar eine Abschaffung der Quarantäneregeln.
Das Risiko ist vertretbar. In ihrem wissenschaftlichen Update von Mitte Januar kam die Corona-Taskforce des Bundes zum Schluss, dass der Nutzen der Quarantäne angesichts der hohen Inzidenz nur noch minim ist. Kommt hinzu, dass nur eine Minderheit der Quarantäne-Pflichtigen positiv getestet wird – etwa ein Fünftel, wie Zahlen aus dem Kanton Solothurn zeigen.
«Die Quarantäne hat als Einzelmassnahme nicht mehr die gleiche Wirkung wie bei früheren Wellen», sagt der ehemalige Basler Kantonsarzt Thomas Steffen (60) zu Blick. Zwar habe sie auch jetzt eine gewisse Bremswirkung, aber nicht derart, dass sich das Virus aufhalten lasse. «Eine Aufhebung lässt sich daher verantworten.»
In der Abwägung liegt der Fokus mittlerweile zudem stark auf der Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur. Viele Kantone haben deutlich gemacht, dass gesunde oder nur leicht erkrankte Menschen nicht unnötig aus dem Arbeitsprozess herausgerissen werden sollen.
Zertifikatspflicht wird obsolet
In Zeiten der gefährlichen Delta-Variante war die Zertifikatspflicht berechtigt. Bei der 2G-Regelung steht nicht nur der Schutz der Geimpften und Genesenen im Fokus, sondern noch mehr jener der Ungeimpften. Letztere wurden vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, um sie vor einer schweren Erkrankung zu schützen – und damit die Spitäler vor einer Überlastung.
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Angesichts der aktuellen Entwicklung – der leichteren Übertragung von Omikron auch durch Geimpfte, aber auch des schwächeren Verlaufs der Infektion – wird die Zertifikatspflicht zunehmend obsolet, gerade bei den Jüngeren. Entscheidend bleibt der Schutz der Risikogruppen und damit der älteren Bevölkerung. Hier zeigt sich: 91 Prozent der über 65-Jährigen sind vollständig geimpft und 74 Prozent bereits geboostert.
Trotzdem warnt Steffen vor einer allzu raschen Aufhebung der Zertifikatspflicht. «Es besteht die Gefahr, dass wir zu viele Massnahmen auf einmal über Bord schmeissen», sagt er. «Die Zertifikatspflicht ist aber ein wichtiger Bremsklotz für das Virus.» Gerade beim Abbau der Zertifikatspflicht plädiert er deshalb für einen «schrittweisen und überschaubaren Abbau». Was sicher ist: Wenn, dann fällt das Zertifikat nur im Inland. Fürs Reisen ennet der Grenze wird es weiterhin notwendig sein.
Isolation weiterhin wichtig
Die fünftägige Isolation bei einer Infektion will der Bundesrat beibehalten. Diese Abschottung macht durchaus Sinn, um die Corona-Welle abzudämpfen. Die Corona-Taskforce des Bundes verweist in ihrem wissenschaftlichen Update von letzter Woche zwar auf eine tiefere Virenlast bei Omikron im Vergleich zur Delta-Variante. Die Dauer der infektiösen Phase wird aber nur einen Tag kürzer geschätzt – zehn statt elf Tage. Das heisst: Bereits die Verkürzung auf fünf Tage Isolation führt zu mehr Ansteckungen. Das Risiko würde sich bei einer gänzlichen Aufhebung nochmals verschärfen.
«Bei Infizierten ist die Chance wirklich gross, dass sie andere anstecken», macht sich Steffen für die Beibehaltung der Isolationspflicht stark. «Sie sollten deshalb keinen Kontakt zu anderen Personen haben.»
Maskenpflicht fällt zuletzt
Nachdem in Dänemark und Grossbritannien der Entscheid bereits gefallen ist, wird das Ende der Maskenpflicht auch bei uns zum Thema. Allerdings: Grossbritannien hat den Höhepunkt der Omikron-Welle bereits überstanden, und Dänemark weist eine deutlich höhere Impfrate als die Schweiz auf. Experten raten denn auch noch zur Zurückhaltung.
«Aus epidemiologischer und gesundheitlicher Perspektive wäre ein solcher Schritt verfrüht», sagt Urs Karrer von der Corona-Taskforce. «Wir würden in Kauf nehmen, dass sich das Infektionsgeschehen noch einmal beschleunigt.»
Mehr Spielraum dank Omikron
Während einzelne Länder also bereits auf Tutti gehen, ist in der Schweiz weiterhin ein vorsichtiges Vortasten angesagt. Das betrifft etwa auch Lockerungen bei privaten Treffen oder Grossveranstaltungen.
«Omikron gibt uns zweifellos mehr Spielraum als frühere Varianten, die Massnahmen relativ rasch zurückzufahren», sagt Steffen. Wenn man sehe, wie viele Leute geimpft oder genesen seien, sei die Immunität in der Bevölkerung schon weit vorangeschritten.
Steffen geht davon aus, dass die Spitze der Omikron-Welle nun etwa erreicht ist. Jetzt sei es wichtig, dass die Fallzahlen ein paar Tage deutlich runtergingen. «Wenn wir sehen, dass der Trend gebrochen ist, können wir über den Abbau der Massnahmen reden», sagt er. «Mitte Februar ist ein grösserer Schritt wohl möglich – und Anfang März sind wir vielleicht schon völlig maskenfrei.»