Blick: Am 13. Februar stimmt die Schweiz über die Abschaffung der Emissionsabgabe ab. Wieso wollen Sie ausgerechnet nach den Milliardenausgaben für Corona-Hilfen auf jährlich 250 Millionen Franken verzichten?
Ueli Maurer: Der Zeitpunkt ist eigentlich ein Zufall, zugegeben kein glücklicher. Die Vorlage stammt von 2012, wurde aber erst jetzt im Parlament fertig beraten. Wichtig ist: Im Moment bedeutet der Verzicht auf die Emissionsabgabe einen Steuerausfall, es ist aber eine Investition in den Werkplatz Schweiz, und zwar mindestens für die nächsten zehn Jahre. So gesehen macht die Abschaffung eben sehr viel Sinn.
Die Abgabe beträgt ein Prozent auf aufgenommenes Kapital, bei einer Freigrenze von einer Million. Niemand wird deswegen auf eine Investition verzichten!
Möglich. Es sind auch nur 2500 Firmen im Jahr betroffen. Aber es sind diejenigen, die investieren! Neben Griechenland, Liechtenstein und Spanien erheben wir als einziges Land in Europa eine Steuer beim Unternehmensstart oder bei Kapitalaufstockungen. Das ist kein wirtschaftsfreundliches Signal.
Also geht es um Psychologie?
Die psychologischen Aspekte darf man nicht unterschätzen. Die Wirtschaft ist ein Biotop, in dem man sich wohlfühlen muss. Ich gebe zu: Man sollte den Einfluss der Emissionsabgabe nicht überschätzen – aber eben auch nicht unterschätzen. Was die Schweiz gern unterschätzt: dass andere Länder ihre Rahmenbedingungen laufend verbessert haben. Wir büssen an Vorsprung ein und sollten dort Anpassungen vornehmen, wo wir Attraktivität steigern können, ohne dass sie uns viel kostet.
Die Emissionsabgabe bezahlen Unternehmen, wenn sie Eigenkapital aufnehmen, also wenn sie Aktien am Unternehmen verkaufen, um so an mehr flüssige Mittel zu kommen. Die Emissionsabgabe beträgt 1 Prozent des aufgenommenen Kapitals. Wer also Aktien im Wert von 10 Millionen Franken herausgibt, muss 100'000 Franken Emissionsabgabe bezahlen. Diese Steuer fällt nur an, wenn das aufgenommene Kapital über 1 Million Franken beträgt.
Gemäss Zahlen der Steuerverwaltung haben im Jahr 2020 rund 2300 Unternehmen eine Emissionsabgabe bezahlt. Dabei handelt es sich vorwiegend um mittlere und grosse Unternehmen. Der Bund nimmt damit etwa 250 Millionen Franken im Jahr ein.
Der Bundesrat, die bürgerliche Mehrheit des Parlaments sowie die grossen Wirtschaftsverbände wollen diese Steuer abschaffen und so die Standortattraktivität der Schweiz erhöhen.
SP, Grüne und die Gewerkschaften wollen die Abschaffung mit dem Referendum verhindern. Sie behaupten, dass vor allem international tätige Grosskonzerne, Banken und Versicherungen von der Abschaffung der Stempelsteuer profitieren würden. Die Bürgerinnen und Bürger müssten dafür höhere Steuern bezahlen oder einen Abbau von staatlichen Leistungen in Kauf nehmen. (sf)
Die Emissionsabgabe bezahlen Unternehmen, wenn sie Eigenkapital aufnehmen, also wenn sie Aktien am Unternehmen verkaufen, um so an mehr flüssige Mittel zu kommen. Die Emissionsabgabe beträgt 1 Prozent des aufgenommenen Kapitals. Wer also Aktien im Wert von 10 Millionen Franken herausgibt, muss 100'000 Franken Emissionsabgabe bezahlen. Diese Steuer fällt nur an, wenn das aufgenommene Kapital über 1 Million Franken beträgt.
Gemäss Zahlen der Steuerverwaltung haben im Jahr 2020 rund 2300 Unternehmen eine Emissionsabgabe bezahlt. Dabei handelt es sich vorwiegend um mittlere und grosse Unternehmen. Der Bund nimmt damit etwa 250 Millionen Franken im Jahr ein.
Der Bundesrat, die bürgerliche Mehrheit des Parlaments sowie die grossen Wirtschaftsverbände wollen diese Steuer abschaffen und so die Standortattraktivität der Schweiz erhöhen.
SP, Grüne und die Gewerkschaften wollen die Abschaffung mit dem Referendum verhindern. Sie behaupten, dass vor allem international tätige Grosskonzerne, Banken und Versicherungen von der Abschaffung der Stempelsteuer profitieren würden. Die Bürgerinnen und Bürger müssten dafür höhere Steuern bezahlen oder einen Abbau von staatlichen Leistungen in Kauf nehmen. (sf)
Die Umfragen deuten darauf hin, dass die Vorlage abgelehnt wird. Warum?
Das Referendum wurde von links ergriffen. Sehr viele Medienschaffende haben mehr Sympathien für die Linken und nehmen deren Argumente besser auf als unsere. Fakt ist aber, dass zum Beispiel die meisten Firmen, die wir mit Covid-Krediten unterstützt haben, über kein Eigenkapital verfügten. Wir brauchen jedoch Firmen, die mit ihrem Eigenkapital robust sind für Krisen, und deshalb ist diese Vorlage eine Einladung, um mehr Eigenkapital zu bilden.
Ist es nicht vielmehr so, dass die Wirtschaft derart an Vertrauen eingebüsst hat, dass sie ihre Anliegen nicht mehr durchbringt?
Es geht uns wirtschaftlich enorm gut. Deshalb fehlt das Bewusstsein, wie wichtig Firmen sind, die Arbeitsplätze schaffen. Wirtschaft und Sozialstaat sind siamesische Zwillinge: Nur starke Firmen schaffen Arbeitsplätze, zahlen gute Löhne und bieten Ausbildungsplätze. Und das Sozialste, was wir in unserem Land haben, ist, dass jede und jeder aus verschiedenen Berufen und Arbeiten aussuchen kann. Wir brauchen die guten Firmen, sonst verlieren wir eine der grössten Errungenschaften unseres Staates.
Die Linke kritisiert aber, dass die Balance zwischen der Besteuerung der Privaten und der Firmen nicht mehr stimmt.
Das Gegenteil ist der Fall! Die Unternehmenssteuereinnahmen des Bundes wachsen ständig, weil wir aufgrund unserer Standortattraktivität mehr Firmen angezogen haben. Dadurch konnten wir die Privaten in den letzten 15 Jahren dauernd entlasten. Die Steuersätze für die natürlichen Personen wurden in fast allen Kantonen gesenkt.
Trotzdem hat der Büezer den Eindruck, er müsse immer mehr krampfen: für Krankenkassenprämien, CO2-Abgabe, höhere Mehrwertsteuer …
Den Leuten geht es trotz allem besser. Wenn man zehn Jahre zurückschaut, haben alle profitiert. Aber wir entscheiden heute, wie es uns morgen geht. Und da muss ich sagen: Wir haben die Tendenz, in satter Zufriedenheit Entwicklungen zu verschlafen. Die grossen Industrien sind nicht mehr hier, die grossen IT-Konzerne sind zum Beispiel alle in den USA.
Wer in den USA ein Unternehmen gründet und scheitert, gründet eben ein neues. Hier ist jeder nach einem Konkurs stigmatisiert. Sind wir zu wenig mutig?
Wir haben eine andere Mentalität. Gerade letzte Woche traf ich einen Botschafter in der Schweiz. Er sagte: Wenn Schweizer auf einen Baum klettern möchten, prüfen sie zuerst, ob sie wieder herunterkommen. Das kann ein Vorteil sein, aber dadurch verpassen wir auch Chancen.
Nehmen Sie es persönlich, falls es am 13. Februar ein Nein gibt?
Ich habe in meinem Leben mehr Abstimmungen verloren als gewonnen. Es geht doch nicht um mich, sondern um die Zukunft der Schweiz! Aber ich stelle einmal mehr die Tendenz fest, dass wir sagen: Wir machen nichts, es geht dann schon, ist ja nicht so wichtig. Doch! Gopfridstutz, es ist eben alles wichtig für die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts! Die Welt verändert sich in immer höherem Tempo. Deshalb müssen wir einfach schneller sein als die anderen.
Es sind ja noch zwölf weitere Steuersenkungen in Arbeit.
Also von den zwölf Steuerprojekten, die da jetzt zirkulieren, müssen wir ein einziges tatsächlich umsetzen – das ist die OECD-Steuerreform. Alle anderen sind Aufträge des Parlaments. Es ist also nicht die Agenda Bundesrat oder die Agenda Maurer, sondern diejenige des Parlaments. Aber nehmen Sie jetzt die Emissionsabgabe: Von den meisten, die sich im Parlament vehement dafür eingesetzt haben, hören Sie nun herzlich wenig!
Sie sind von Natur aus ein Sparfuchs. Der Staat wächst und wächst – wie sehen Sie das grosse Bild?
Der Staat darf nicht wachsen, weil wir mittelfristig mehr Geld für die Sozialwerke brauchen. Wenn wir es mal fertigbringen würden, fünf Jahre lang alle Ausgaben einzufrieren, dann wären wir schon unglaublich gut. Aber das ist wohl ein frommer Wunsch!
Ueli Maurer (71) ist sozusagen von Amtes wegen Sparfuchs: Seit 2016 steht der SVP-Bundesrat dem Finanzdepartement vor. Zuvor war er sechs Jahre lang Verteidigungsminister. Maurer ist der amtsälteste unter den amtierenden Bundesräten – und macht nicht den Eindruck, als sei er amtsmüde. Der Zürcher ist verheiratet und Vater von sechs Kindern.
Ueli Maurer (71) ist sozusagen von Amtes wegen Sparfuchs: Seit 2016 steht der SVP-Bundesrat dem Finanzdepartement vor. Zuvor war er sechs Jahre lang Verteidigungsminister. Maurer ist der amtsälteste unter den amtierenden Bundesräten – und macht nicht den Eindruck, als sei er amtsmüde. Der Zürcher ist verheiratet und Vater von sechs Kindern.
Die Corona-Schulden sollen allein über Kreditreste, Überschüsse und Gelder der Nationalbank getilgt werden. Kann das funktionieren?
Ja, kann es, aber das muss erst noch durch das Parlament. Wir müssen einfach schnell wieder robust werden, damit wir auch der nächsten Krise trotzen können. Wie wichtig das ist, haben wir bei Corona gesehen.
Waren aus heutiger Sicht all die Corona-Massnahmen nötig? Die Horrorszenarien aus der Wissenschaft sind ja nie eingetroffen.
Weder die der Wissenschaft noch die von Blick … Alles in allem waren die Entscheide zum jeweiligen Zeitpunkt in Ordnung. Wir werden wohl in ein paar Monaten feststellen, dass wir hier und dort etwas zu grosszügig waren, weil wir den Ausstieg nicht fanden.
Warum ist der Ausstieg so schwierig?
Die Experten – deren Meinung ich kaum mehr zur Kenntnis nehme – scheinen für mich nicht in der realen Welt zu leben. Nun sprechen sie von einer neuen Variante, B2. Und jetzt haben alle wieder Angst. Mein Weltbild ist ein anderes: Die Leute sind eigenverantwortlich und schauen selber. Ein Risikopatient muss vorsichtiger sein als jemand, der gesund ist. Wir aber haben jede und jeden an die Hand genommen und bemuttert.
Alain Berset kündigte am Freitag die Aufhebung von Quarantäne und Homeoffice-Pflicht an. Gewerbekreise fordern gar, dass alle Massnahmen aufgehoben werden. Das unterstützen Sie bestimmt ...
Es ist eine Möglichkeit. Wenn wir wollen, dass der Staat das Vertrauen der Bürger nicht ganz verliert, dann müssen wir schnell zurück zur Normalität. Aber wir können den Hebel nicht gleich ganz umlegen.
Das heisst?
Es gibt auch Leute, die nehmen das nicht auf die leichte Schulter. Daher werden wir in Etappen vorgehen müssen. Diese sollten wir jetzt beschleunigen und dabei gleich gewisse Widersprüche beseitigen: Ich staune immer noch, dass das Virus nur oberhalb von 1,20 Metern fliegt. Wie sonst ist es zu erklären, dass ich in der Beiz beim Sitzen keine Maske tragen muss, sobald ich aufstehe aber schon? Je schneller wir solche Widersprüche beseitigen, desto besser.
Es gab viele Widersprüche, die ständig korrigiert werden mussten. Etwa als die Läden plötzlich um 19 Uhr schliessen mussten und die Leute sich kurz vor Ladenschluss auf den Füssen herumstanden.
Im Nachhinein haben Sie recht. Ich muss zugeben, dass ich auch nicht immer wusste, was jetzt diese Woche gilt. Dabei habe ich mitentschieden! Doch der Druck war schon sehr hoch: Die Situation hat sich oft sehr schnell verändert, der Bundesrat musste schnell entscheiden. Und die Kantone haben es nicht einfacher gemacht. Da hatte man dann nicht 26, sondern 50 Meinungen auf dem Tisch.
Ist die Pandemie in ein paar Wochen vorbei?
Die Phase der intensiven Massnahmen können wir bald abschliessen. Die eigentliche Pandemie haben wir weltweit wohl erst in drei, vier Jahren unter Kontrolle. Das heisst, wir werden uns eine Impfstrategie überlegen müssen. Dabei muss die Verantwortung vom Staat wieder zurück zu den Leuten, den Eltern, den Hausärzten.
Welche Massnahme muss zuerst fallen?
Volkswirtschaftlich gesehen kostet die Quarantäne am meisten. Mir geht es aber um die Gesellschaft, die gespalten ist wie nie. Ich kenne Menschen, die gemeinsam ein Haus gebaut und 40 Jahre friedlich Tür an Tür gewohnt haben und sich jetzt nicht einmal mehr Grüezi sagen. Kinder, die Angst haben und fragen, ob sie mit Maske ins Bett gehen müssen … Das sind Schäden, die uns sehr lange beschäftigen werden.
Haben Sie das auch persönlich erlebt?
Sicher. Ja, sicher. In meinem Umfeld auf dem Land haben die Leute das Gefühl, sie seien robust. Je mehr Druck es vom Staat gegeben hat, desto mehr Widerstand gab es. Ich habe Kollegen, die deswegen aus der freiwilligen Feuerwehr ausgetreten sind. Ich weiss nicht, ob wir diese Gräben wieder zuschütten können. Ich will wirklich keine Medienschelte betreiben – aber ihr lebt von diesen Konflikten.