An einem Tag seien in ganz China nur zwei Menschen an Covid verstorben, meldeten Parteiorgane der Kommunistischen Partei. Fachleute und Wissenschaftler sprachen hingegen eine völlig andere Sprache: Mindestens 2700 Menschen sind ihrer Einschätzung nach alleine in Peking umgekommen.
Eine Hochrechnung der Universität Hongkong kommt zu dem fatalen Schluss, dass Chinas Covid-19-Öffnung diesen Winter eine Million Menschen das Leben kosten könnte. Machthaber Xi ist abgetaucht, in seinem letzten öffentlichen Statement am 10. November rühmte er noch seine Null-Covid-Politik als der Weisheit letzter Schluss.
Dann kamen die Proteste, und der Nomenklatura wurde schlagartig klar, dass sie mit dem Einsperren der Menschen, das vor fast drei Jahren begonnen hat, so nicht mehr weitermachen kann. Der Wegfall des ganzen Gängelungsapparats hat schnell offengelegt, dass Peking keine wirkliche Strategie im Umgang mit der Omikron-Variante des Virus hat. Die Partei sagt: Nun müssen alle in China für sich selbst kämpfen. Videos zeigen überfüllte Krankenhäuser, Leichensäcke und Krematorien am Limit. Das alles ist Xi Jinpings Schuld.
Die Chinesinnen und Chinesen glauben der staatlichen Propaganda nicht mehr, die ihnen weismachen will, alles laufe grossartig. Gleichzeitig haben Abermillionen Menschen auf die Unterstützung und Führung der Partei vertraut. Sie sind es nicht gewohnt, jetzt für sich alleine entscheiden zu müssen. Die Partei hat die Bevölkerung verloren, und das kann der Anfang vom Ende der kommunistischen Gewaltherrschaft über China sein. Ob Xi abtreten muss, um den Fortbestand der Partei zu gewährleisten, das werden die kommenden Wochen entscheiden.
*Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York. Vor kurzem erschien sein Buch «Alarmstufe Rot: Warum Pekings aggressive Aussenpolitik im Westpazifik in einen globalen Krieg führt».