Bundesrat weckt Hoffnung
Hintertürchen für russische Deserteure

Russische Kriegsdienstverweigerer sind zu Zehntausenden auf der Flucht vor dem Ukraine-Krieg. In der Schweiz hatten sie bisher kaum Chancen, Schutz vor Putin und seinen Schergen zu erhalten. Das scheint sich zu ändern.
Publiziert: 20.02.2023 um 16:45 Uhr
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Aktualisiert: 10.03.2023 um 12:08 Uhr
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Der russische Präsident Wladimir Putin hatte im September eine erste Teilmobilmachung der Streitkräfte angeordnet. Ein Ende des Krieges ist weiterhin nicht absehbar.
Foto: imago/Russian Look
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Zu Zehntausenden haben sie Russland verlassen. Spätestens als Machthaber Wladimir Putin (70) im September die Teilmobilisierung ausrief, flohen Männer, um nicht im Ukraine-Krieg ihr Leben zu lassen. Wer erwischt wird, dem drohen drakonische Strafen.

Während sich Deutschland früh offen zeigte für die Aufnahme russischer Deserteure, war Bern zurückhaltender. Zwar können Russen bei einer Schweizer Botschaft aus humanitären Gründen ein Visum beantragen. Ihre Erfolgschancen sind aber gering – Kriegsdienstverweigerung reicht als Asylgrund nicht aus. Und geht es nach dem Bundesrat, soll das auch so bleiben.

Chance auf vorläufige Annahme

Auch mit der neu zuständigen SP-Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider (59) hat die Regierung nicht vor, etwas an der gängigen Asylpraxis zu ändern. Dient eine Strafe nur zur Sicherstellung der Wehrpflicht, ist sie für den Bundesrat kein Asylgrund. Das würde dem Schutzgedanken der Flüchtlingskonvention widersprechen, betont der Bundesrat.

Erst wenn die Person «als politischer Gegner angesehen und unverhältnismässig schwer bestraft und menschenrechtswidrig behandelt wird», gilt dies als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung.

Dennoch lässt der Bundesrat ein Hintertürchen offen: Bestünden Hinweise, dass ein Betroffener im Rahmen seiner Wehrdienstpflicht mit hoher Wahrscheinlichkeit Kriegsverbrechen ausüben muss, könne ihm allenfalls eine vorläufige Aufnahme gewährt werden. Die Chancen stünden damit gut, dass er zumindest so lange in der Schweiz bleiben könnte, bis der Krieg beendet ist.

Zahlreiche Hinweise auf Kriegsverbrechen

«Die Tonalität hat sich hier klar geändert», stellt Céline Widmer (44) fest. Die Zürcher SP-Nationalrätin hat seit Kriegsbeginn schon mehrere Anläufe unternommen, das Asylgesetz anpassen zu lassen. Kriegsdienstverweigerung solle nicht mehr als Asylgrund ausgeschlossen sein, «wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass die betroffene Person an Kriegsverbrechen teilnehmen müsste».

«Langsam scheint auch beim Bundesrat das Bewusstsein für das Problem gewachsen zu sein», sagt Widmer. Immerhin gibt es zahlreiche Hinweise auf Kriegsverbrechen durch russische Truppen in der Ukraine. Für Widmer ist es daher stossend, dass nach heutigem Asylgesetz auch Personen, die mit grosser Wahrscheinlichkeit an solchen Kriegsverbrechen teilnehmen müssten, in der Schweiz eigentlich nicht geschützt wären.

Eine vorläufige Aufnahme verhindere zumindest, dass Betroffene zurückgeschickt werden. Dennoch würde SP-Nationalrätin Widmer eine klare Gesetzesanpassung bevorzugen.

So gelten beispielsweise in Deutschland andere Regeln. Der Europäische Gerichtshof habe 2015 festgehalten, dass ein Dienstverweigerer Anspruch auf Asyl hat, wenn er damit rechnen muss, dass seine Truppe Kriegsverbrechen begeht.

Russen fliehen kaum in die Schweiz

Bis heute seien aber ohnehin keine russischen Staatsangehörigen nach Russland zurückgeschickt worden, nachdem sie Desertion oder Wehrdienstverweigerung geltend gemacht hätten, betont der Bundesrat.

Zudem sei ein Ansturm russischer Asylsuchender in der Schweiz bisher ausgeblieben. Im ganzen vergangenen Jahr waren es 265, erklärt das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf Anfrage. Das entspricht etwa einem Prozent aller Asylanträge.

Ein Anstieg sei nicht feststellbar. Und der Bundesrat macht auch deutlich, dass er wenig Interesse hat, mit einer aktiven Asyl-Lockerung etwas daran zu ändern.

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