Zögern, zweifeln, zaudern
Ignazio Cassis findet keine Linie zum Krieg

Das Jahr als Bundespräsident wollte Ignazio Cassis zur Imagepolitur nutzen. Doch seit Beginn des Ukraine-Kriegs sucht der Aussenminister seinen Weg.
Publiziert: 07.04.2022 um 01:35 Uhr
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Aktualisiert: 07.04.2022 um 07:21 Uhr
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Ein Auftritt, der nicht in guter Erinnerung bleibt: Ignazio Cassis trat am 24. Februar vor die Medien – und verliess danach, ohne Fragen zu beantworten, den Raum.
Foto: Keystone
Sermîn Faki, Daniel Ballmer und Lea Hartmann

Am frühen Dienstagabend publizierte der «Tages-Anzeiger» einen Artikel über Bundespräsident Ignazio Cassis (60). Dieser schlage ein temporäres Verbot von Waffenexporten vor, hiess es darin. Später publizierte das Medium ein Korrigendum: Der Artikel basiere auf mündlichen Informationen, die sich im Nachhinein als zu wenig erhärtet herausgestellt hatten.

Cassis wollte also kein Moratorium für Waffenexporte. Nur: Erstaunt hätte dies nicht. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs lässt der Bundespräsident und Aussenminister einen klaren Kurs vermissen – und droht sich zu verirren.

Ohne Antworten abgerauscht

Zuerst lieferte er einen schwachen Auftritt ab, als er am 24. Februar verkündete, dass der Bundesrat nicht gedenke, die EU-Sanktionen gegen Russland zu übernehmen, dann abrauschte und überforderten Bundesbeamten das Feld und die Erklärungen überliess. Den Begriff «Krieg» mied Cassis dabei wie der Teufel das Weihwasser – um Russland nicht zu verärgern.

Als die Landesregierung wenige Tage später erneut vor die Medien trat und sich nach grossem Druck aus dem In- und Ausland plötzlich doch den Sanktionen anschloss, rechtfertigte Cassis das Zögern. «Die Neutralität verpflichtet dieses Land zu einer differenzierteren Position», sagte er. «Und das ist in dieser Situation nicht einfach.»

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Umstrittener Auftritt

Erst so zurückhaltend, überraschte der Bundespräsident dann vor drei Wochen mit seinem Auftritt an der Demonstration auf dem Berner Bundesplatz. Plötzlich zelebrierte er Nähe zur Ukraine und nannte den live zugeschalteten Präsidenten Wolodimir Selenski (44) «meinen Freund».

Die Emotionen übermannten Cassis auch kurz darauf in Polen. Der Aussenminister reiste nach Osteuropa, um sich selbst ein Bild von der Lage an der Grenze zur Ukraine zu machen. Das Schicksal der Geflüchteten in einem Flüchtlingszentrum rührte ihn zutiefst.

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Keller-Sutter glänzt, Cassis zaudert

Der Krieg geht Cassis persönlich sehr nah. Umso erstaunlicher, dass in seinen Taten und Worten als Aussenminister nur wenig davon zu spüren ist. Nach Bekanntwerden der Gräueltaten in der nordukrainischen Stadt Butscha, wo Zivilpersonen grausam hingerichtet wurden, wollten Cassis und sein Aussendepartement partout nicht von Kriegsverbrechen sprechen. In der Diplomatie gelte es «kühlen Kopf zu bewahren», erklärte Cassis seinen Verzicht auf deutliche Worte – für den er harsch kritisiert wurde.

Nicht zum ersten Mal sprang Justizministerin und Parteikollegin Karin Keller-Sutter (58) in die Bresche. Als Erste sprach sie sich für Sanktionen aus, sprach öffentlich von einem Krieg und nannte dann auch die Kriegsverbrechen beim Namen. Sie lässt ihren Parteikollegen damit noch mehr als Zögerer und Zauderer dastehen.

Die nächsten Wahlen im Blick

Das kommt nicht von ungefähr. Schliesslich stehen die FDP-Magistraten Cassis und Keller-Sutter in direkter Konkurrenz zueinander. Die Beziehung zwischen den beiden soll schon länger frostig sein. Gerade auch, weil Ende 2023 einer von ihnen aus dem Bundesrat fliegen könnte, wenn die grünen Parteien weiterhin zulegen und die FDP noch mehr verliert. Je näher der Wahltermin rückt, desto mehr kommt es zu Gifteleien und Gerüchten, die vom jeweiligen Umfeld gestreut werden.

Und so bleibt es für Cassis nicht einfach. Erst scheiterten die Gespräche mit der EU. Dann blieb der ehemalige Tessiner Kantonsarzt auch in der Corona-Krise blass. Das Präsidialjahr wollte er nun zur Imagepolitur nutzen, so wie das SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin (62) vorgemacht hatte.

Cassis wollte sichtbarer werden und so seine Wiederwahl sichern. Bis jetzt aber will das nicht so recht klappen. Cassis sucht noch immer seinen Weg.

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