In der Corona-Debatte vom Mittwoch liess SP-Bundesrat Alain Berset (48) bereits durchblicken, in welche Richtung die Lockerungs-Reise am Freitag aus seiner Sicht gehen soll: «Möglicherweise wird das, was sich jetzt im Moment abspielt und im April abspielen wird, entscheidend dafür sein, ob wir im Sommer eine gute Situation haben oder nicht.» Damit spielte der Gesundheitsminister auf die sich abzeichnende dritte Welle an – steigen die Fallzahlen doch seit Tagen wieder. Die wissenschaftliche Taskforce spricht in ihrer neusten Lageeinschätzung bereits von einem «exponentiellen Wachstum».
Mit Blick auf den zweiten Öffnungsschritt machte Berset klar: «Drei der vier Richtwerte sind negativ!» Das gilt auch am Tag vor der entscheidenden Bundesratssitzung:
- Die 14-Tage-Inzidenz ist mit per 18. März 187 Neuansteckungen auf 100'000 Personen höher als noch am 1. März mit 166.
- Der Reproduktionswert liegt mit 1,12 im 7-Tage-Schnitt klar über 1.
- Die Positivitätsrate erfüllt mit 4,3 Prozent bei den PCR-Tests und 5,1 Prozent bei den Antigen-Schnelltests die Vorgabe von unter 5 Prozent ebenfalls nicht ganz.
- Einzig die Zahl der Covid-Intensivpatienten liegt im 15-Tagesschnitt mit 169 klar unter der Obergrenze von 250. Ein Kriterium, welches die Kantone und Bürgerliche besonders stark gewichten wollen.
Berset betonte zwar, dass mit den Richtwerten kein Automatismus verbunden ist. Doch die Regierung ist in der Zwickmühle. «Ist es besser, jetzt zu öffnen, um dann wieder für zwei Monate zu schliessen? Oder ist es besser, jetzt noch ein bisschen langsamer vorzugehen, um danach schneller zu öffnen?», so der SP-Magistrat im Nationalrat. «Ich weiss es nicht.»
Mehrere Varianten
Diese Unsicherheit spiegelt sich nun auch in den Vorschlägen, die Berset seinen Gspänli präsentiert. BLICK-Informationen zufolge unterbreitet er ihnen mehrere Varianten, bei welchen er mal mehr aufs Gas oder eben auf die Bremse drückt. Es liege alles auf dem Tisch, heisst es in Bundesbern.
Zur Diskussion steht, ob die Lockerungen in etwa so erfolgen sollen, wie sie vor einer Woche in die Konsultation gegeben wurden. Will heissen:
- Terrassen: Restaurants sollen ihre Terrassen wieder öffnen dürfen. Dabei soll aber eine Sitzpflicht gelten – und die Maske darf nur bei der Konsumation ausgezogen werden. Pro Tisch gilt eine 4-Personen-Regel.
- Publikumsveranstaltungen: Mit Einschränkungen sollen Veranstaltungen wieder möglich werden. Vorgesehen sind 150 Personen bei Events draussen wie etwa Fussballspielen und Open-Air-Konzerten. 50 Personen sollen an Veranstaltungen erlaubt sein, die in Gebäuden stattfinden – beispielsweise in Kinos, Theatern und Konzertlokalen. Allerdings darf maximal ein Drittel der Kapazität genutzt werden.
- 15 Personen: Neben den bereits zulässigen privaten Veranstaltungen sowie den sportlichen und kulturellen Aktivitäten sollen auch andere Veranstaltungen mit bis zu 15 Personen wieder erlaubt werden. Dazu gehören zum Beispiel Führungen in Museen, Treffen von Vereinsmitgliedern oder weitere Veranstaltungen im Unterhaltungs- und Freizeitbereich.
- Private Treffen: Private Treffen mit Freunden und Familie in Innenräumen sollen wieder mit 10 Personen möglich sein. Draussen gilt bereits heute eine Einschränkung für 15 Personen.
- Sport und Kultur auch für Erwachsene: Auch Erwachsene sollen wieder Sport betreiben oder sich kulturell engagieren dürfen. Dabei gelten aber strikte Schutzregelungen, zudem darf die Gruppenanzahl nicht grösser als 15 Personen sein.
- Präsenzunterricht an Hochschulen: An Hochschulen soll wieder vor Ort unterrichtet werden – aber nur beschränkt. So dürfen sich beispielsweise nicht mehr als 15 Personen in einem Schulzimmer aufhalten. Es gilt strikte Maskenpflicht.
- Reduzierte Maskenpflicht in Altersheimen: Für geimpfte Bewohnerinnen und Bewohner wird die Maskenpflicht aufgehoben.
Lockerungen auf ein, zwei Monate verteilen
Doch schon jetzt hört man in Bundesbern, dass eine solche Turbovariante keine Chance hat. Als weitere Option steht ein gemächlicheres Tempo zur Debatte, wonach die angedachten Lockerungen auf ein bis zwei Monate erstreckt werden sollen.
Durchsetzen dürfte sich am Freitag eine Langsam-Variante. Falls überhaupt schon Lockerungen kommen, fallen diese klein aus. Allenfalls könnte neu die 10-Personen-Regel für private Treffen als erstes Zückerchen dienen. Auf der Kippe steht die Öffnung der Aussenterrassen. Im Wissen darum, dass nur wenige Betriebe diese Schönwetter-Option nutzen können oder wollen. «Für die überwiegende Mehrheit funktioniert dieses Modell nicht», räumte selbst Berset in der Debatte ein.
Kein grosser Öffnungsschritt
Der SP-Gesundheitsminister verfolgt dem Vernehmen nach wie bis anhin eine strikte Haltung und will mit den Öffnungen weitgehend zuwarten, da die Richwerte nicht erfüllt sind. Angesichts der drohenden dritten Welle sind auch seine Gspänli wieder vorsichtiger geworden.
SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga (60) und Mitte-Magistratin Viola Amherd (58) fahren auch diesmal eine vorsichtige Linie. SVP-Finanzminister Ueli Maurer (70) hingegen dürfte für eine Turboöffnung plädieren. SVP-Bundespräsident Guy Parmelin (61) befürwortet tendenziell zwar ein schnelleres Vorgehen, hält sich in seiner Funktion als Landesvater aber zurück.
Offen ist, wie sich die beiden FDP-Bundesräte Karin Keller-Sutter (57) und Ignazio Cassis (59) positionieren. Als früherer Kantonsarzt hat sich Cassis immer wieder offen für ein vorsichtiges Vorgehen gezeigt, gerade dann, wenn sich die epidemiologische Lage verschlechterte – wie es aktuell der Fall ist.
Klar ist: Die Corona-Problematik führt immer wieder zu intensiven Diskussionen im Bundesrat, der Ausgang ist selten voraussehbar. Allerdings hat sich Berset mit seiner härteren Linie öfters durchgesetzt.
Homeoffice-Pflicht soll bleiben
Die Wirtschaftsverbände und verschiedene Kantone machen zudem Druck, dass die Homeoffice-Pflicht wieder in eine dringliche Empfehlung abgeschwächt werden soll. Hier will Berset offenbar nicht nachgeben, die Homeoffice-Pflicht soll bleiben. Offen ist, ob das seine Bundesratskollegen auch so sehen.
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