Seit Anfang Jahr ist Schluss mit kostenlosen Corona-Tests. Bezahlt werden sie nur noch auf medizinische Anordnung. Mit Folgen: Die Testzahlen sind eingebrochen. Liessen sich Ende 2022 noch wöchentlich über 60'000 Personen auf das Coronavirus testen, sind es nun unter 20'000. Die Fallzahlen sind zuletzt auf weniger als 1000 bestätigte Neuinfektionen pro Woche gesunken.
Klar ist: Aufgrund der Test- und Infektionszahlen lässt sich die Pandemieentwicklung nicht mehr verlässlich einschätzen. Stattdessen ist das Abwassermonitoring zu einem entscheidenden Faktor geworden. «Seit der Aufhebung der besonderen Lage im April 2022 hat Einschätzung der relativen Viruslast aus dem Abwasser an Bedeutung gewonnen», sagte Simon Ming vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) unlängst dem Blick. Und: «Auch in Zukunft wird das nationale Abwassermonitoring eine zentrale Rolle bei der Beurteilung von Sars-Cov2 und auch weiteren Erregern spielen.»
Das Abwassermonitoring gilt als Zaubermittel für die Früherkennung des Infektionsgeschehens. Diesbezüglich ist nun auch der Bundesrat auf den Geschmack gekommen. Er gibt einem Vorstoss aus der nationalrätlichen Gesundheitskommission grünes Licht, welcher das Abwassermonitoring sowie die Sequenzierung institutionalisieren will.
Bundesrat prüft Ausweitung
Im Rahmen der Revision des Epidemiengesetzes soll der Bundesrat prüfen, «ob es nicht sinnvoll wäre, die Untersuchung des Abwassers auf Sars-Cov-2 und andere Krankheitserreger auszuweiten, um übertragbare Krankheiten frühzeitig erkennen und überwachen sowie die Abwasserproben regelmässig sequenzieren zu können», fordern die Gesundheitspolitiker. Sie denkt dabei etwa auch an Polio-, Grippe- oder Affenpockenviren.
Ein Frühwarnsystem für die Erkennung und das Monitoring von Krankheitserregern trage zur Sicherheit der Schweiz bei. «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Pandemie ausbricht», urteilt die Gesundheitskommission. Die Covid-19-Krise habe das grosse Potenzial des Monitorings aufgezeigt. «Dank einem Frühwarnsystem mit Abwassermonitoring – einschliesslich Sequenzierung – können Leben gerettet und Folgekosten für die Wirtschaft vermieden werden.»
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Auch ausserhalb von Krisen habe die Überwachung einen konkreten Nutzen. «Die Schweiz könnte mithilfe von Abwasser beispielsweise Antibiotikaresistenzen oder chemische Verunreinigungen überwachen», argumentiert die Kommission.
Damit stiess sie offene Türen ein. Gesundheitsminister Alain Berset (50) zeigt sich in seiner Antwort zu einer «vertieften» Prüfung bereit.
Nationalfonds-Projekt gestartet
Tatsächlich stecken Epidemiologen grosse Hoffnungen in das Abwassermonitoring und nehmen bereits weitere Erreger unter die Lupe. So beobachtet etwa das Wasserforschungsinstitut Eawag auch die zwei Grippeviren Influenza A und B sowie das Respiratorisches-Synzytial-Virus (RSV) via Abwasserproben.
Und ein Team um Biostatistikerin Tanja Stadler (42) von der ETH Zürich will das Monitoring in einem Nationalfonds-Projekt neben Corona und Influenza auf weitere Krankheitserreger – etwa Noroviren und andere Durchfallerreger – ausdehnen.
Das nützt auch dem Bund. «Wir werden Erkenntnisse aus der abwasserbasierten Epidemiologie direkt an das für Epidemien zuständige Bundesamt für Gesundheit und die relevanten Entscheidungsträger weitergeben», heisst es im Projektbeschrieb. «Somit bieten wir für die hier überwachten Aspekte eine weitere daten-gestützte Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen.»
SVP stellt sich dagegen
Das Projekt könnte denn auch die Basis sein für ein schweizweites Überwachungssystem in der abwasserbasierten Epidemiologie. Daran denkt auch die Gesundheitskommission. «Das laufende Forschungsprojekt könnte als wissenschaftliche Grundlage für die Ausdehnung des Abwassermonitorings dienen», so sie Kommission.
Allerdings muss der Vorstoss noch vom Nationalrat abgesegnet werden. Auch wenn sich in der Kommission eine Minderheit aus SVP und teils FDP gegen das Postulat gestellt hat, dürfte ein Ja des Parlaments Formsache sein.