Bis im Sommer soll geimpft sein, wer sich impfen lassen will! Das verspricht Nora Kronig (40), Vizedirektorin des Bundesamt für Gesundheit, im BLICK-Interview. Fragt sich bloss, wie viele sich wirklich impfen lassen wollen. Denn die Impfskepsis hierzulande ist gross: Nur jeder Zweite will sich impfen lassen.
Was, wenn dies so bleibt? Dann stellen sich rasch mal heikle Fragen: Sollen Geimpfte gewisse Privilegien erhalten – etwa rascher Sport- und Kulturveranstaltungen besuchen können? Oder darf ein Beizer nur für Geimpfte öffnen, um seine Kunden zu schützen?
Da findet man sich schnell mal im juristischen Dschungelkampf wieder. Die Meinungen gehen nämlich auseinander.
Besonders schützenswerte Daten
Dass Private quasi eine systematische digitale Impfausweispflicht einführen, hält Datenschützer Adrian Lobsiger (61) für unzulässig. «Ich bin der Meinung, dass das gegen das Datenschutzgesetz verstossen würde.» Im Datenschutzgesetz werden Gesundheitsdaten explizit als «besonders schützenswerte Personendaten» ausgewiesen.
Für eine Bearbeitung von Gesundheitsdaten brauche es gesetzliche Vorgaben, so Lobsiger. Im BLICK-Interview regte er an, dass der Bund rasch entsprechende Regelungen beschliessen sollte, um ein Wirrwarr zu verhindern.
Bund macht Auslegeordnung
Jetzt kommt Bewegung in die Sache. «Das Thema wird in der Bundesverwaltung intensiv diskutiert», sagt Ingrid Ryser vom Bundesamt für Justiz (BJ) auf Anfrage. Bereits vor Weihnachten habe das BJ den Bundesrat über die vorläufige Analyse der geltenden Rechtslage in Sachen Gleich- beziehungsweise Ungleichbehandlung von geimpften und nicht geimpften Personen informiert. Seit diesem Zeitpunkt würden auch intensive Gespräche mit dem eidgenössischen Datenschützer laufen.
«Letzten Mittwoch wurde der Bundesrat zudem darüber informiert, dass an einer Auslegeordnung über allfällige Regelungen und deren Konsequenzen gearbeitet wird», so Ryser. «Mögliche Optionen werden dem Bundesrat nächstens unterbreitet.»
Unterscheidung je nach Fall zulässig
Gemäss der vorläufigen Analyse erachtet der Bund eine Unterscheidung je nach Situation durchaus als zulässig. «Grundsätzlich ist es nicht ausgeschlossen, geimpfte und nicht geimpfte Personen rechtlich anders zu behandeln», so Ryser.
Im Verhältnis zwischen zwei privaten Personen – beispielsweise bei einem Coiffeur- oder Restaurantbesuch oder auch bei einer Grossveranstaltung – «gilt das Prinzip der Privatautonomie». Ryser macht klar: «Solange nichts anders geregelt ist, hat jede und jeder die Freiheit zu entscheiden, mit wem man einen Vertrag abschliessen will.» Konkret brauche es also eine gesetzliche Regelung, um eine Ungleichbehandlung auszuschliessen. Das heisst also: Ein Beizer kann Nicht-Geimpften den Zugang durchaus verweigern.
Datenschutz bleibt wichtig
Doch wie steht es um den von Lobsiger ins Feld geführte Datenschutz? «Datenschutzrechtliche Grundsätze sind in jedem Fall zu beachten. Es geht hier um Gesundheitsdaten, die besonders geschützt sind und nicht ohne Weiteres herausverlangt werden dürfen», betont auch Ryser.
«Damit keine Verletzung des Rechts auf die eigenen Daten vorliegt, müssen namentlich zwei Voraussetzungen eingehalten werden», sagt Ryser. «Diejenige Person, die Einsicht nehmen will, muss dazu einen guten Grund haben.»
Beim Beispiel des Beizers wäre dies etwa der Fall, wenn er seine eigene Gesundheit schützen wolle. «Oder wenn er damit ein weniger strenges Schutzkonzept einhalten muss und so mehr Kunden gleichzeitig bedienen kann.» In diesem Fall spreche man von einem sachlichen Zusammenhang zwischen den Gesundheitsdaten und dem Grund, in diese Einsicht zu nehmen.
Auch die Schutzwirkung spielt eine Rolle
Als zweite Voraussetzung gilt, dass die betroffene Person freiwillig in ihre Daten Einsicht gewährt. Das heisst auch: Man muss die Möglichkeit haben, die gleiche Dienstleistung bei jemand anderem zu beziehen – also auf eine andere Beiz ausweichen können, wo keine Impfpflicht gilt.
Ryser unterstreicht aber, dass es sich dabei um eine Einschätzung der jetzigen Lage handle. Diese könne sich auch wieder ändern – je nach Resultat der neuen Auslegeordnung. «Das hat unter anderem damit zu tun, dass es noch viele offene Fragen zur Impfung gibt, zum Beispiel zur Schutzwirkung», so Ryser. «Ob die Impfung verhindern kann, dass Geimpfte das Virus weitergeben können oder nicht, ändert auch die rechtliche Beurteilung.»
Was für Private gilt, gilt nicht für Staat
Klar ist hingegen: Was für Private möglich ist, gilt nicht für die öffentliche Hand: «Im Bereich von staatlichen Aufgaben wäre eine gesetzliche Regelung notwendig, falls geimpfte und nicht geimpfte Personen unterschiedlich behandelt werden sollten», so Ryser. Etwa bei der Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung.