Blick: Frau Lebrument, es sieht schlecht aus für das Medienpaket. Welche Folgen hätte ein Nein zum Mediengesetz für Somedia?
Susanne Lebrument: Wir müssten bald die Frühzustellung unserer Zeitungen in verschiedenen Regionen stilllegen, denn da legen wir seit Jahren drauf. Das heisst: Die Zeitung käme mit der Post und läge nicht mehr auf dem Zmorgetisch. Auch die Zusammenlegung von Zeitungen wäre eine Option. Und für die Digitalisierung in den Talschaften hätten wir kein Geld mehr.
Warum fehlt das Geld?
Im Jahr 2007 nahm die gesamte Schweizer Medienbranche über alle Kanäle – Zeitungen, Radio, TV – gesehen 2,5 Milliarden Franken aus Werbung ein. Jetzt ist es ein Drittel, also zwei Drittel weniger, wobei Milliarden in die Online-Erlöse fliessen und damit zu Facebook, Google. Dazu kommt der Rückgang der Abonnemente. Sehen Sie: Die Somedia hatte in ihrer langen Geschichte mehrere existenzielle Krisen. In der Erdölkrise etwa wusste mein Vater nicht, wie er die 13. Monatslöhne bezahlen soll. Auch 2018, als wir das Ruder übernahmen, befand sich das Unternehmen in einer existenziellen Krise. Wir hatten Kaufangebote auf dem Tisch. Wir fragten uns wirklich, ob wir selbst weitermachen sollen. Ich sage das nicht, um zu jammern. Was ich sagen will: Ein Medienunternehmen zu führen, ist mit enormen Risiken verbunden.
Warum haben Sie nicht verkauft?
Weil klar war, was passieren würde: Dann hätte man eine einzige Zentralredaktion geschaffen und nicht mehr 18 verschiedene Standorte gehabt, die gut in den Regionen verankert sind. Wir stellen Tag für Tag fünf bis sieben Seiten regionale Nachrichten, ein bis zwei regionale Kulturseiten und ein bis zwei regionale Sportseiten her. Das gilt für jede Regionalausgabe. Dies alles würde verschwinden, davon bin ich überzeugt. Nebst einer geschrumpften Berichterstattung gingen viele Arbeitsplätze verloren. Das haben wir bei Calanda Bräu gesehen. Dazu ein kleines Beispiel: In Südbünden gibt es kaum eine Kantonsberichterstattung – die Covid-Krise hat aber gezeigt, wie wichtig diese wäre. Nun schauen wir, ob wir mit der Zeitung «Il Grigione Italiano» in Poschiavo irgendwie kooperieren können. So könnten auch die 20'000 italienischsprachigen Bündner eine Berichterstattung aus dem Rest des Kantons erhalten. Würde das ein Zürcher Medienunternehmen machen? Kaum. Wir, das Somedia-Team, kämpfen mit ganzem Herzen für die Region.
Vielleicht sind Sie einfach zu wenig innovativ. Kleine Start-ups zeigen, dass Medien ohne staatliche Unterstützung existieren können. Und wenn man konsequent auf digitale Produkte setzt, entfallen Druck- und Zustellungskosten.
Wir haben seit fünf Jahren keine Dividende mehr aus dem Unternehmen genommen und investieren jeden Franken in Innovation. Wir haben ein achtköpfiges Team aufgebaut, das sich um Digitalabos und Social Media kümmert. Und zu digitalen Produkten: Wir haben Tablets verschenkt, um unsere E-Paper zu pushen. Die Tablets wollte niemand. Die Menschen in ländlichen Regionen wollen eine Zeitung auf dem Tisch. Ausserdem haben Geschäftsmodelle, die in Zürich und Basel funktionieren, in unseren dünn besiedelten Gebieten wie der Val Lumnezia und im Kanton Glarus keine Chance. Die Somedia ernährt 650 Mitarbeitende. Das ist nicht zu vergleichen mit einem Start-up.
DCX STORY: doc7jeq5r9nwb9v2llyljs [Susanne Lebrument]
Wie läuft die Diskussion übers Medienpaket in Graubünden?
Graubünden mit seinen 150 Tälern ist eine kleine Schweiz mit einer hohen Gemeindeautonomie, das ergibt sich schon aus der Geschichte Graubündens. Es gibt 29 Zeitungstitel, Radio- und Fernsehsender und Online-Portale in drei Sprachen. Die Leute schätzen das – und wissen, was auf dem Spiel steht. Es ist daher schwierig, einen Bündner Gegner des Pakets zu finden. Doch Graubünden wird die Abstimmung nicht entscheiden.
Wenn die Bevölkerung diese Vielfalt so schätzt: Warum ist sie nicht mehr wert? Sie könnten die Abopreise erhöhen. Warum soll es Geld aus Bern regnen?
Weil das nicht mehr funktioniert. Heute muss man nur googeln – und findet ganze Zeitungsseiten der Südostschweiz auf Linkedin, Facebook und Google – natürlich ohne unser Einverständnis. Wer will, kann alles gratis haben – und es gibt viele, die nicht mehr bereit sind, für Nachrichten zu zahlen. Ganz ehrlich: Die Medien haben diese Gratis-Generation auch selbst herangezogen.
Aber Sie verdienen doch immer noch Geld mit dem Journalismus.
Journalismus trägt mehr als die Hälfte zum Gewinn bei, ja. Aber der Anteil ist stark rückläufig. Währenddessen bauen Unternehmen und Verbände mächtige PR-Apparate auf. Ohne gut ausgebildete, kritische Journalisten machen die mit uns, was sie wollen! Das gilt auch für politische Parteien und Behörden. Es braucht jemanden, der ihnen auf die Finger schaut und die Bevölkerung unabhängig informiert. Wir haben gesehen, wie lange es brauchte, bis der Klimawandel ernst genommen wurde. Schon in den 60er-Jahren warnten Wissenschaftler vor der drohenden Erwärmung. Oder die Tabakindustrie – die Lobby war so stark, dass es Jahrzehnte brauchte, bis die Branche reglementiert wurde.
Können Medien diese Rolle noch wahrnehmen, wenn sie Geld vom Staat bekommen? Werden sie die Hand beissen, die sie füttert?
Wir berichten unabhängig. Bei uns hat noch nie ein Bundesrat angerufen und den Tarif durchgegeben. Ich kann nur sagen: SP, Mitte, FDP und SVP – alle sind ständig hässig auf uns. Solange alle Parteien unzufrieden sind, machen wir guten, unabhängigen Journalismus.
Aber auch künftig? Können Medienschaffende noch kritisch über Subventionen für Landwirtschaft oder Bergbahnen berichten, wenn sie selber abhängig sind?
Bei Somedia ist klar: Die Redaktionen sind sakrosankt, denen wird nicht dreingeredet. Auch künftig nicht. Das ginge gar nicht anders: Würden wir Skandale unter dem Deckel behalten oder Gefälligkeitsjournalismus machen, käme das sofort raus und unsere Glaubwürdigkeit wäre dahin. Abgesehen davon, dass unsere Journalisten das nicht mitmachen und kündigen würden.
Mehr zum Medienpaket
Regionalmedien geniessen einen Sympathiebonus. Aber ist es wirklich nötig, Millionen in die Sonntagszustellung zu buttern?
Alle Sonntagszeitungen kommen aus grossen Zürcher Verlagen – von Tamedia, der NZZ und Ringier, das den Blick herausgibt.
Die grossen Verlage bekommen heute etwa 20 Prozent der indirekten Presseförderung, 80 Prozent gehen an die kleinen und mittleren Unternehmen. Die Sonntagszustellung dürfte den Anteil der Grossen auf
25 Prozent erhöhen. Heisst: Noch immer bekommen den Löwenanteil die Kleinen.
Aber brauchen die Grossen das Geld?
Auch die grossen Verlage leisten viel für die kleinen und mittleren Verlage. So kommt etwa der Mantel – also alles Überregionale – beim «Walliser Boten» von CH Media. Auch Tamedia führt viele kleinere Regionaltitel.
Ohne die grossen Verlage gebe es vielleicht auch viele kleine nicht mehr.